List-Forscher über die AfD „Auch die Nationalsozialisten haben List missbraucht“

Auch mehr als sechs Jahre nach ihrer Gründung fehlt es der AfD allerdings an einer stringenten Wirtschaftspolitik. Quelle: imago images

Das Wirtschaftskonzept einer AfD-nahen Gesellschaft will, dass Deutschland „souverän und von der EU unabhängig“ agiert – und beruft sich auf den Wirtschaftstheoretiker Friedrich List. Unsinn, sagt ein List-Forscher.

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Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen erzielte die Alternative für Deutschland im Herbst bei Selbstständigen bis zu 30 Prozent Zustimmung. Gerade hat die Partei mit Tino Chrupalla einen Maler- und Lackierermeister an ihre Spitze gewählt – und der sieht mit das größte Wählerpotenzial bei seinesgleichen, bei Handwerkern und mittelständischen Unternehmen.

Auch mehr als sechs Jahre nach ihrer Gründung fehlt es der AfD allerdings an einer stringenten Wirtschaftspolitik. Der Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller hat nun ein Konzept vorgelegt, das er mit der von ihm initiierten und in diesem Jahr gegründeten „Friedrich-List-Gesellschaft zur Förderung der heimischen Wirtschaft“ erarbeitet hat.

„Der arme List wird von allen möglichen Seiten, insbesondere von nationalistischen Vertretern, schändlich missbraucht“ sagt Eugen Wendler. Wendler war Professor für Internationales Marketing, Marktpsychologie und Kommunikationspolitik an der Hochschule Reutlingen. Seit mehr als 40 Jahren erforscht er Leben und Werk des Wirtschaftstheoretikers Friedrich List (1789-1846).

WirtschaftsWoche: Herr Wendler, in ihrem Konzept schreibt die „Friedrich-List-Gesellschaft zur Förderung der heimischen Wirtschaft“, die Welt werde von einer „globalen Finanzoligarchie“ beherrscht. Beruht dieses krude Weltbild auf den Theorien ihres Namensgebers?
Eugen Wendler: List hat zwar einmal die etwas kryptische Formulierung einer internationalen Bank benutzt, die Ersparnisse zunichte gemacht habe. Im Ansatz ist das durchaus Kritik daran, wie es 1837 zum Finanzkrach in den USA gekommen ist – die Präsidenten Andrew Jackson und Martin Van Buren hatten die amerikanische Nationalbank außer Kraft gesetzt. Das Bankensystem, wie wir es heute kennen, hat zu Lists Zeiten aber natürlich noch nicht existiert. Diese Verschwörungstheorie, wie sie in dem Konzept durchklingt, kann man List so auf keinen Fall unterstellen.

Die Autoren des Papiers unterteilen Wirtschaftsakteure pauschal in Konzerne und „Pseudounternehmer“, die leistungslos Geld kassierten, „welches sie zuvor den ehrlich arbeitenden Bürgern über den Umverteilungsstaat weggenommen haben“. Dem gegenüber stünden „echte Unternehmer“ – der Mittelstand, der durch Leistung für seine Kunden sein Geld zurecht verdiene. Erkennen Sie darin Friedrich List?
Ein weiteres Beispiel, warum es problematisch ist, die List’sche Theorie auf die Jetzt-Zeit anzuwenden – und damit Dinge zu unterstellen, die damals noch nicht vorauszusehen waren. Ja, List spricht sich gegen Monopole aus und will eine mittelständische Wirtschaft aufbauen. Aber das Wirtschaftssystem existiert bei ihm ja erst in Anfängen. Ebenso falsch ist der Vergleich übrigens, wenn das Wort Protektionismus auftaucht. Auch dieses Etikett wird sofort auf List projiziert, heute meist im Zusammenhang mit dem US-Präsidenten Donald Trump. Ohne, dass man seine Theorie in den historischen Zusammenhang stellt, missbraucht man List aber schamlos.

Wenn er also nicht den Protektionismus Trump’scher Prägung vorwegnahm – was meinte List dann?
List ging es um temporäre Schutzzölle – und zwar in Ländern, die wirtschaftlich rückständig sind. Er hielt dies für notwendig, damit diese Länder Schlüsselindustrien aufbauen können. Die Japaner und später die Chinesen haben genau das gemacht – wie es die Engländer, Franzosen und Deutschen im 19. Jahrhundert getan hatten. Wer das heute mit Trumps „America first“ gleichsetzt, will die Unterschiede bewusst übersehen.

Als Reformvorschlag führt die „Friedrich-List-Gesellschaft zur Förderung der heimischen Wirtschaft“ die alte Deutschland AG an. Eine neue Deutschland AG solle – „souverän und von der EU unabhängig“ – mit gleichartigen Länder-AGs in den USA, Russland und anderen Ländern zusammenarbeiten. Also ein „Deutschland zuerst“, in Anlehnung an Trump.
List war ein Vordenker der Globalisierung, das wäre ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Für ihn stand fest, dass durch neue Transport- und Kommunikationsmittel wie die Telegrafie die Welt nicht an den Grenzen Halt macht. Er hat in gewisser Weise sogar die EU vorweggenommen: Schon in den 1830er Jahren hat er alle europäischen Nationen aufgefordert, sich zu treffen und ein Handelssystem auszuarbeiten, in dem sie alle die gleichen Rechte hätten. Er sah Brüssel auch bereits als wichtige Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich.

Warum, glauben Sie, hat sich die Gesellschaft trotzdem an seinem Namen bedient?
List sah Deutschland nicht als 38 zerrissene Staaten, sondern als vereinigtes Land mit wirtschaftlichem Potenzial. Ihm schwebte ein Föderativsystem vor. Davon versprach er sich die besten Voraussetzungen dafür, dass dauerhaft Frieden herrschen kann. Wegen dieser Idee der Vereinigung wird er aber immer wieder in Verbindung mit Nationalismus gebracht. Auch die Nationalsozialisten haben List missbraucht. Das Oberkommando der Wehrmacht schickte Walter von Molos List-Roman „Ein Deutscher ohne Deutschland“ als Gabe für die Soldaten ins Feld.

Also wird List schlicht falsch verstanden?
Friedrich List war voll in den Prinzipien Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte verankert. Er hat sich eindeutig und grundsätzlich zum Freihandel und zur europäischen Integration bekannt. Wer anderes behauptet, dem muss widersprochen werden.

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