Lkw-Attacke in Berlin Mit Routine gegen die Angst

Die Attacke auf den Weihnachtsmarkt in Berlin könnte ein Anschlag sein. Umso bemerkenswerter findet unser Chefreporter, wie besonnen die Berliner reagieren, wie routiniert die Polizei. Ein Bericht aus der Hauptstadt.

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"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
Frank-Walter Steinmeier Quelle: REUTERS
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Heiko Maas Quelle: dpa

Irgendetwas stimmt hier nicht, bemerke ich gegen halb neun am Abend. Eben stand ich fast fünf Minuten Schlange, um Glühwein zu kaufen. Kaum trinke ich den ersten Schluck, leert sich schlagartig der Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt – und wer noch hier ist, schaut auf sein Handy. Also greife ich zu meinem iPhone. Die Eilmeldungen springen sofort ins Auge: Ein Lkw ist in einen Weihnachtsmarkt gerast, mitten in Berlin. Nicht in diesen, das hätten wir ja gehört, sondern in einen Markt nahe Ku’Damm.

Und dann setzt eine massenmediale Routine ein: News checken, was überhaupt passiert ist. Präventive WhatsApp an die noch unbesorgten Eltern, dass ich anderswo meinen Glühwein trinke. Schauen, ob Facebook den Safety-Radar schon angeschaltet hat. Wir diskutieren, ob wir gehen oder bleiben – und bleiben. Vor Terroristen knicken wir nicht ein! In diesem Sinne: noch einen Glühwein auf die Freiheit!

Berlin sieht das offenbar genauso. Auf der Bühne vor dem Konzerthaus singen drei attraktive junge Damen mit Nikolaus-Mütze ihre Weihnachtslieder, als wäre nichts geschehen. Nur am Rande des umzäunten Markts hören wir die Lautsprecher-Durchsagen: Sicherlich hätten alle gehört, dass am Breitscheidplatz ein schrecklicher Anschlag geschehen sei, hören wir eine Frauenstimme sagen. Hörbar bewegt fährt sie fort: „Unser Markt wird wie sonst auch bis 22 Uhr geöffnet sein, und morgen sehen wir weiter. Wir werden uns den Terroristen nicht beugen!“

Terror erreicht die Hauptstadt

Die Frau, der die Stimme gehört, sitzt in einem Containerhäuschen am Gendarmenmarkt und sagt mehr, als die Polizei zu diesem Zeitpunkt weiß. Deren Sprecher wiederholt drei Kilometer westwärts immer wieder, ein tragischer Unfall sei ebenso wenig auszuschließen wie ein Terroranschlag. Das Gefühl, dass IS-Terror dahinter steckt, macht sich breit. Ein Sattelschlepper, das weiß der Berliner, rast am kurvigen Breitscheidplatz nicht versehentlich in den Weihnachtsmarkt. Das geht gar nicht!

Berlin und die Berliner sind vorbereitet auf die Ankunft des Terrors in der Hauptstadt. Der Innenminister, die Dienste, die Medien, Sicherheitsexperten – alle warnen seit Monaten vor Anschlägen in der 3,6-Millionen-Stadt. In Deutschland hatten die Sicherheitsbehörden einige Attacken vereiteln können, meist aus einer Mischung aus Glück und solider Arbeit. Aber die Deutschen sind nicht anders als Franzosen, Briten oder Amerikaner erklärtes Ziel dieser islamistischen Wirrköpfe. Das muss man wissen, aber das darf einen nicht verunsichern.

Berlin reagiert besonnen

Und das geschieht auch nicht. Berlin wirkt ruhig und besonnen, als ich kurz vor Schließung des Weihnachtsmarkts eine Freundin nach Friedrichshain fahre. Ich kurve quer durch die Stadt gen Osten, dann wieder in den Westen – nirgendwo gibt es Straßensperren oder Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht. Auch am belebten Gendarmenmarkt war nichts zu sehen von Uniformierten. Nur das Gelände rund um den Breitscheidplatz ist weiträumig abgesperrt.

Natürlich ist die Berliner Polizei da. Aber weniger sichtbar, ohne Blaulicht und Sirenen. Das lässt sie weitaus cooler und besonnener wirken als die Münchner, die im Juli mit riesigem Bohei auf eine Terrorlage reagierten, die sich als Amoklauf herausstellte. Die Berliner Polizei twittert, man möge keine Gerüchte verbreiten und zu Hause bleiben. An diesem Abend halten sich die meisten daran. Derweil tun die Rettungskräfte am Breitscheidplatz, was sie können.

Zwölf Tote und fast 50 Verletzte fordert die Terrorattacke auf den Weihnachtsmarkt hier in Berlin bis zu diesem Moment. Der Anschlag ist widerwärtig, der Täter möge lange im Knast schmoren. Aber bei allem Beileid für die Betroffenen und allem Zorn bin ich auch ein wenig stolz, dass Berlin so routiniert gegen den Terror vorgeht: Panik und Angst sind das, was die Terroristen schüren wollen. Es ist ihnen wieder nicht gelungen.



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