
Dem Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, geht das Plädoyer der Bundesbank für Lohnerhöhungen in Deutschland von rund drei Prozent nicht weit genug. „Vier bis fünf Prozent Lohnsteigerungen sind für die nächsten zehn Jahre mindestens notwendig, allein schon um die explosive Gefahr der Euro-Krise zu entschärfen“, sagte Gysi Handelsblatt Online. Zur Begründung fügte er hinzu, dass die Lohnstückkosten in Deutschland seit 2000 um 15 bis 20-Prozentpunkte weniger gestiegen seien als in allen anderen Euro-Ländern. „Dieser unfaire Wettbewerb gegenüber dem Ausland muss zurückgefahren werden.“
Deutschland habe zudem einen beständig viel zu hohen Leistungsbilanzüberschuss, gegenwärtig von mehr als sieben Prozent, sagte Gysi weiter. Dies habe dazu geführt, dass der kumulierte Außenhandelsüberschuss seit 2000 auf 1,6 Billionen Euro angewachsen ist. „Spiegelbildlich führte dies in die Verschuldung der Euro-Krisenstaaten“, meint Gysi und resümiert: „Ohne höhere Löhne in Deutschland wird die Euro-Krise nicht überwunden.“
Gysi ist überzeugt, dass mit deutlichen Lohnerhöhungen endlich die Binnennachfrage und damit die Binnenwirtschaft in Deutschland angekurbelt werden könnten. „Die Absatzchancen für das Ausland bei uns würden verbessert und viele Produkte, die bislang im Ausland abgesetzt wurden, würden wieder in Deutschland verkauft werden“, sagte er.
Kritisch sieht der Linksfraktionschef, dass die Bundesbank ihren Lohn-Appell an den falschen Adressaten, nämlich an die Gewerkschaften, richte. IG Metall und IG BCE wiesen zu Recht darauf hin, dass die Lohnabschlüsse in ihren Branchen zumindest den verteilungsneutralen Spielraum aus Produktivität plus Preissteigerung ausgeschöpft hätten.
Mittlerweile, betonte Gysi, arbeiteten aber rund 50 Prozent der Beschäftigten nicht mehr unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages. „Für sie sind die Löhne in den letzten zehn Jahren in den freien Fall geraten“, konstatierte er. Es gehe daher auch um soziale Gerechtigkeit. Und Deutschland müsse endlich aufhören, das EU-Mitgliedsland mit dem größten Niedriglohnsektor zu sein.
Der Bundesbank-Chef Jens Weidmann hatte sich für deutliche Lohnerhöhungen von um die 3 Prozent im Rahmen der Summe aus Inflationszielrate und Produktivitätswachstum ausgesprochen. Hinter den auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) geteilten Einschätzungen der deutschen Währungshüter steht die Erwartung, dass hohe Lohnabschlüsse in Deutschland die ungewollt niedrigen Verbraucherpreise im Euroraum wieder nach oben treiben könnten. Weidmann hatte aber auch vor Abschlüssen weit oberhalb der Produktivitätszuwächse gewarnt.