Luftreinhaltung Städte distanzieren sich von einem komplett kostenfreien Nahverkehr

Die Beratungen der Bundesregierung mit den Kommunen über einen Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs gehen weiter. Mitte März sollen konkrete Pläne auf dem Tisch liegen.

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In den fünf Teststädten soll der Nahverkehr noch in diesem Jahr kostenlos werden. Quelle: dpa

Berlin Bis Mitte März wollen Bonn und vier weitere Kommunen Vorschläge auf den Tisch legen, wie mehr Menschen zu einem Umstieg auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bewegt werden könnten. Einen flächendeckenden kostenlosen Personennahverkehr unter Einbeziehung beteiligter Verkehrsverbünde sieht der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan kurzfristig jedoch nicht. Es fehle an zusätzlichen Bussen und Straßenbahnen, auch an Personal, sagte er dem Handelsblatt. Zudem bestehe weiterhin eine erhebliche Finanzierungslücke.

Zwar habe der Bund Geld für eine Testphase zugesagt, das aber stehe aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Regierungsbildung unter Vorbehalt und sei außerdem nicht von Dauer. Allein in Bonn beliefe sich der jährliche Zuschussbedarf auf 120 Millionen Euro im Jahr, sagte das Bonner Stadtoberhaupt.

Im Kampf gegen schmutzige Luft in vielen deutschen Städten hatten Beamte des Bundesumweltministeriums am Montagmittag gute zwei Stunden mit den Bürgermeistern von fünf Kommunen über kostenlosen Nahverkehr beraten, den die Bundesregierung in die Diskussion eingebracht hatte. Testgebiete sollten nach den Vorstellungen der Bundesregierung neben Bonn auch die Städte Essen, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen werden.

Die ausgewählten Städte weisen jeweils niedrige, mittlere oder höhere Grenzwertüberschreitungen bei Stickoxiden auf und repräsentieren damit exemplarisch verschiedene Situationen der Luftbelastung. Sridharan sprach von einem „sehr konstruktiven Gespräch“, in dem alle Argumente und Bedenken ausgetauscht worden seien. „Wir müssen mehr Anreize schaffen, dass mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen“, sagte er. Das dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Doch auch wenn ein flächendeckend kostenloser ÖPNV vom Tisch zu sein scheint - stärkere finanzielle Anreize zur Nutzung des ÖPNV sind es nicht. Nachgedacht wird auch über eine Förderung von Fahrradverleihsystemen. Mögliche Pilotvorhaben wird der Bund finanziell unterstützen, um die Abgasbelastung in den Innenstädten weiter zu senken und den Öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und zu modernisieren. Die Projekte sollten sich möglichst noch 2018 und bis spätestens 2020 realisieren lassen, heißt es beim Bundesumweltministerium. Sie müssten sich nachweislich positiv auf die Luftqualität auswirken.

Die Bundesregierung steht unter Druck, die Luft in den Städten zu verbessern, um damit den europäischen Anforderungen zu genügen. Ansonsten drohen bald hohe Strafen aus Brüssel und möglicherweise auch Dieselfahrverbote in einzelnen Städten. Am morgigen Dienstag will das Bundesverwaltungsgericht darüber urteilen, ob die harte Strafmaßnahme ergriffen werden darf. Eine Entscheidung darüber war bereits in der vergangenen Woche erwartet worden, aber aufgrund weiteren Beratungsbedarfs vertagt worden.

Die fünf Bürgermeister waren von der Idee, ihre Städte zu Modellregionen ernennen zu wollen, zunächst völlig überrascht worden. Sridharan ist jetzt aber positiver gestimmt. „Wir werden uns mit den anderen Kommunen abstimmen, welche Maßnahmen wir für sinnvoll halten“, so Sridharan. Mitte März werde weiterverhandelt.

Stephan Kühn, Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, bezeichnete den Vorstoß als „Luftnummer“. Die Bundesregierung stehe aber jetzt erst recht in der Pflicht, den Nahverkehr im ganzen Land nach vorne zu bringen. „Die neue Bundesregierung muss in ihren ersten 100 Tagen ein substanzielles Konzept auf den Tisch legen, wie sie den Nahverkehr in die Offensive bringen will“, sagte Kühn. Notwendig sei eine Verdreifachung des Bundesprogramms für die Infrastruktur des Öffentlichen Personennahverkehrs auf eine Milliarde Euro jährlich. Auch der bestehende Sanierungsstau von rund vier Milliarden Euro in den Nahverkehrsnetzen der Kommunen müsse mit Hilfe des Bundes abgebaut werden.

Fortschritte gibt es bei dem von der Regierung vorgesehenen Sofortprogramm „Saubere Luft“. Es stünden jetzt Fördergelder für die Beschaffung von Elektrobussen bereit, teilte das Bundesumweltministerium am Montag mit. Entsprechend der Förderrichtlinie können bis zu 80 Prozent der Investitionsmehrkosten übernommen werden. Die EU-Kommission habe der Förderrichtlinie zustimmt, so das Ministerium.

Mit der neuen Richtlinie soll die Markteinführung von Fahrzeugen für den öffentlichen Personennahverkehr, die emissionsfrei fahren, unterstützt werden. Voraussetzung einer Förderung ist, dass jeweils mehr als fünf Batterie-Busse angeschafft werden. Die Investitionsmehrkosten umfassen nach Angaben des Ministeriums alle Kosten, die im Vergleich zur Anschaffung eines Diesel-Busses zusätzlich anfallen. Förderfähig sind daher auch die dazugehörende Ladeinfrastruktur sowie weitere Maßnahmen, die zur Inbetriebnahme von Elektrobussen nötig sind, beispielsweise Schulungen und Werkstatteinrichtungen.

Plug-In-Hybridbusse werden wie bisher mit bis zu 40 Prozent der Investitionsmehrkosten gefördert. Elektrobusse, die in Gebieten mit hoher Schadstoffbelastung zum Einsatz kommen, sollen bevorzugt gefördert werden. Gleiches gilt für Gebiete mit einer hohen Lärmbelastung. Die Bundesregierung stellt für die Förderung vorerst kurzfristig 35 Millionen Euro zur Verfügung, eine weitere Aufstockung ist, wie es heißt „zeitnah“ vorgesehen.

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