Malta-Masche Rechtsextreme Reichsbürger fordern Bundesregierung heraus

Fingierte Schadenersatzforderungen der rechtsextremen Reichsbürger-Bewegung gegen Richter alarmieren die Politik. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty fordert von der Bundesregierung, dem Treiben ein Ende zu setzen.

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Als „Reichsbürger“ bezeichnen sich Deutsche, die von einem Fortbestand des Deutschen Reiches ausgehen und daher die Bundesrepublik und ihre Institutionen nicht anerkennen. Quelle: dpa

Sie überziehen die Gerichte mit abstrusen Schreiben, beschimpfen Richter im Internet oder in der Gerichtsverhandlung, verschleppen Verfahren durch abwegige  Diskussionen über die Legitimation des Staates und seiner Justiz oder machen frei erfundene Schadenersatzforderungen gegen Richter geltend: Die Probleme der Justiz mit der rechtsextremen Reichsbürgerbewegung „nehmen spürbar zu“, klagt der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Bisher sei lediglich von Einzelfällen die Rede gewesen. Doch inzwischen berichteten Justizmitarbeiter diverser Gerichte aus verschiedenen Bundesländern über Reichsbürger, „die sehr konfrontativ auftreten und sie unter Druck setzen“, so Rebehn. „Mehrere Justizministerien haben darauf bereits reagiert und Leitfäden für die Gerichte zum richtigen Umgang mit Reichsbürgern herausgegeben oder angekündigt.“ Als „Reichsbürger“ bezeichnen sich Deutsche, die von einem Fortbestand des Deutschen Reiches ausgehen und daher die Bundesrepublik und ihre Institutionen nicht anerkennen.

Als besonders problematisch gilt die sogenannte Malta-Masche, mit der die Reichsbürger von Justizangestellten in Deutschland Geld einfordern, obwohl weder Schuld noch ein entstandener Schaden nachgewiesen werden kann. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Joachim Gauck sowie Unternehmen und Privatpersonen sind schon auf diese Weise bedroht worden. Die Reichsbürger bedienen sich dabei eines juristischen Winkelzugs.

Sie tragen ihre willkürliche Forderung in das amerikanische Online-Schuldenregister Uniform Commercial Code (UCC) ein. Bei den UCC-Registern handelt es sich um eine Art Pfandregister der US-Bundesstaaten. In diese Verzeichnisse können ohne materiell-rechtliche Prüfung Sicherheiten an beweglichen Sachen eingetragen werden. Dort muss nur angegeben werden, dass der Schuld bislang nicht widersprochen wurde. Anschließend werden die Forderungen an ein von sogenannten Reichsbürgern gegründetes Inkassounternehmen abgetreten.

Das Inkassounternehmen bekommt dann von einem Gericht in Malta ungeprüft die Berechtigung, die erfundenen Schulden in Deutschland einzutreiben. Dies soll einem Versäumnisurteil ähnlich sein. Zwischen dem 15. und 30. Tag nach der Zustellung müssen Betroffene in Malta erscheinen und die Ansprüche bestreiten. Dafür wird jedoch ein in Malta zugelassener Anwalt benötigt. Die Initiatoren der „Malta-Masche“ spekulieren darauf, dass der Schuldner der angeblichen Forderung der gerichtlichen Ladung nicht nachkommt, mit der Folge, dass ohne eine inhaltliche Prüfung ein vollstreckbares Urteil ergeht.

NRW ruft Bund zu Hilfe


Dass Malta die Reichsbürger gewähren lässt, ist für den nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) ein Unding. Zwar seien bislang alle Versuche der Reichsbürger, eine „Fantasieforderung“ in Malta einzuklagen und in Deutschland zu vollstrecken, gescheitert. „Dennoch muss verhindert werden, dass sich deutsche Justizbedienstete in Malta überhaupt Fantasieforderungen vor Gericht ausgesetzt sehen und sich die Bundesländer länger damit herumschlagen müssen“, sagte Kutschaty dem Handelsblatt. „Hier sehe ich den Bund in der Pflicht, mit Malta zu einer Lösung zu kommen, um dem Treiben der Reichsbürger dort ein Ende zu setzen.“

Der Handlungsspielraum der Bundesregierung ist jedoch äußerst begrenzt. So räumt das Justizministerium in einer dem Handelsblatt vorliegenden Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion-Abgeordneten Halina Wawzyniak ein, nicht direkt auf die Geschäftstätigkeit des Inkasso-Unternehmens Einfluss nehmen zu können. Die maltesischen Behörden seien aber darauf aufmerksam gemacht worden, „dass die Geltendmachung unberechtigter Forderungen gegen deutsche Amtsträger nach deutschem Strafrecht unter bestimmten Umständen eine strafbare Handlung sein könnte (…)“. Zumal, wie das Ministerium weiter erklärt, dass Inkassounternehmen „nur zu dem Zweck gegründet worden sei, um den Druck auf die Amtsträger zu erhöhen und dass es von dem möglicherweise strafbaren Verhalten derjenigen profitiere, welche die fiktiven Forderungen abtreten“.

Auch sieht das Justizministerium keine Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den US-Behörden zukünftig Eintragungen von fingierten Schadenersatzansprüchen in das UCC-Schuldenregister zu unterbinden. Das Register sei „vollständig computergesteuert“ und es sei „gerade sein Zweck, Eintragungen für jedermann einfach online zu ermöglichen“, zitierte das Ministerium zur Begründung die für das Register zuständige Behörde in Washington. Eine „Kontrolle mittels Filter“ sei demnach ebenfalls nicht möglich. Allerdings könnten unberechtigte Forderungen auf Antrag „sofort gelöscht“ werden.

Dessen ungeachtet steht die Regierung nicht nur „in ständigem Kontakt mit den hier zuständigen Landesjustizverwaltungen zur Reichsbürger-Problematik, um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Amtsträgern und Behördenbediensteten durch sogenannte Reichsbürger und mit ihnen verbundene ausländische Inkassounternehmen zu verhindern“.

Wegen des sogenannten Malta-Inkasso sei man auch „in engem Kontakt“ mit der maltesischen Regierung. „Das maltesische Außenministerium hat mitgeteilt, dass die zuständigen maltesischen Behörden (Präsident des obersten Gerichtshofs, Generalstaatsanwalt) über die rechtliche Problematik informiert sind.“ Bisher sei es weder zu Zustellung einer Klageschrift oder eines europäischen Zahlungsbefehls aus Malta an beklagte Amtsträger in Deutschland gekommen.

„Geschlossenes rechtsextremes Weltbild“


Experten, wie die Kanzlei Luther, warnen jedoch davor, die Gefahr der Malta-Masche zu unterschätzen. Denn sie „kann tatsächlich dazu führen, dass ein vollstreckbarer Titel bezüglich einer an sich rein fiktiven Forderung ergeht“, erklärte das Unternehmen kürzlich in einer Mitteilung. „In der Praxis scheiterte die Vollstreckung entsprechender Urteile bisher anscheinend nur an Formfehlern.“

Um sich wirksam gegen diese „Schikane“ zu verteidigen, müssten daher rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden. „Insbesondere eine Vereitelung missbräuchlicher UCC-Registereinträge, eine einstweilige Verfügung sowie eine geeignete Verteidigung vor dem maltesischen Gericht kommen hierfür in Betracht“, schlägt die Kanzlei vor. Gegebenenfalls könnten auch strafrechtliche Schritte eingeleitet werden. „Nur auf diese Weise können die Betroffenen den Risiken der Malta-Masche wirksam begegnen. Denn nicht jeder kann sich – wie die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident – darauf verlassen, dass die entsprechenden Einträge in den UCC-Registern auf Druck der Bundesregierung unbürokratisch gelöscht werden.“

Die Reichsbürger stehen schon länger im Fokus der Sicherheitsbehörden. Bei ihnen handelt es sich, wie Justizminister Kutschaty sagte, um Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern, die in einer „krankhaften Fantasiewelt“ lebten und „keinesfalls harmlos“ seien. „Auch wenn es im Gegensatz zu anderen Teilen Deutschlands nur wenige von ihnen in Nordrhein-Westfalen gibt“, so Kutschaty, „machen sie der Justiz und Behörden Arbeit, die in keinem Verhältnis zu ihrer Bedeutung steht: Eingabeflut, Störung von Gerichtsverhandlungen und irre Fantasieforderungen gegen Richter und Staatsanwälte.“

Die Ideologie der Reichsbürger, Reichsdeutschen oder auch Germaniten speist sich vor allem daraus, dass sie sich als Bürger des Deutschen Reichs sehen und die Bundesrepublik für einen Unrechtsstaat halten. In ihren Reihen finden sich auch Personen, die sich gewaltbereit zeigen oder schlicht rechtsextrem agieren. Bis zu 1000 Menschen aus der Reichbürgerszene hätten ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“, sagte kürzlich der Rechtsextremismus-Experte Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung. „Die Szene wächst.“

Allerdings sei die Bewegung sehr heterogen und zersplittert, sagte eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Von Spinnern bis Rechtsextremen sei alles vertreten. Zahlen will die Behörde nicht nennen. „Was wir aber feststellen, ist ein stetiger Anstieg von wechselnden Gruppierungen in der Reichsbürgerbewegung.“

Sänger Xavier Naidoo und AfD mit Kontakten zu Reichsbürgern


In NRW wird derzeit eine Handreichung für Justizbedienstete mit Tipps für den Umgang mit dieser schwierigen Klientel. Es soll um Informationen und Handlungsanregungen für Gerichte, Staatsanwaltschaften und Gerichtsvollzieher gehen, wie Störungen durch Reichsbürger, die auch in NRW in den unterschiedlichsten Schattierungen auftreten, begegnet werden kann. 

Denn Reichsbürger fallen nicht nur durch die „Malta-Masche“ auf. Sie versuchen in Deutschland behördliche Abläufe zu behindern. Gerichtsverhandlungen werden gestört, oder es werden auch unerlaubte Aufnahmen wie Bild- und Tonmitschnitte gemacht, die dann später häufig im Internet wiederzufinden sind und von Beleidigungen und Schmähkommentaren begleitet werden.

Das Handlungsfeld ist vielfältig. Dementsprechend vielfältig sollen auch die Handlungsempfehlungen sein. Andere Bundesländer planen Ähnliches oder haben schon entsprechende Broschüren aufgelegt. „Man sollte nicht alle Reichsbürger als Spinner abtun“, sagte jüngst ein Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. „Einige der Gruppierungen und Organisationen lassen eine verfassungsfeindliche Einstellung erkennen.“

Den Reichsbürgern gelang es vor zwei Jahren bundesweit für Aufsehen zu sorgen – mit prominenter Unterstützung. Der Sänger Xavier Naidoo trat damals, am Tag der Deutschen Einheit, vor Anhängern der Bewegung auf, sprach über die von den USA besetzte Bundesrepublik und rief zum Widerstand auf. Ein Reichsbürger tauchte auch schon im Dunstkreis eines AfD-Politikers auf. Der Jura-Professor Ralph Weber, der bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ein Direktmandat holte, ließ in einer seiner Vorlesungen an der Universität Greifswald einen Reichsbürger auftreten.

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