Marktwirtschaftlicher Klimaschutz So funktioniert der CO2-Emissionshandel

Quelle: imago images

Ökonomen sind sich einig: Klimaschutz funktioniert am effektivsten mit Emissionshandel. Doch so wie die EU-Kommission den Handel bisher ausgestaltet, bleiben viele Schwachstellen. Wie funktioniert das System – und was lässt sich noch verbessern?

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Was sind die Vorgaben der EU-Kommission zum Emissionshandel?

Die EU-Kommission hat im Grunde einen neuen Marktplatz geschaffen. Sie legt fest, wie viele Tonnen Emissionen in die Atmosphäre gelangen dürfen und bringt entsprechend Emissionszertifikate in Umlauf. Die Menge der Zertifikate orientiert sich dabei an den Zielen des Pariser Klimaabkommens und sinkt von Jahr zu Jahr, bis 2039 keine neuen Zertifikate mehr ausgegeben werden. Die Kommission legt auch fest, wer sich solche Zertifikate besorgen muss. Aktuell sind das Energieproduzenten und Industrieunternehmen, wie Hersteller von Stahl und Aluminium. Betreiber von Fluglinien zählen auch dazu, aber nur bei innereuropäischen Flügen. Ab 2024 müssen dann auch Reedereien, deren Schiffe an europäischen Häfen anlegen, Zertifikate nachweisen.

Wie läuft der Emissionshandel in der Praxis ab?

Einen Teil der Zertifikate auktioniert die Kommission, den anderen Teil verschenkt sie – das unterscheidet sich je nach Sektor. Energieproduzenten müssen die Zertifikate mittlerweile komplett ersteigern. Industrieunternehmen bekommen kostenlose Zertifikate zugeteilt. Um die Menge der kostenlosen Zertifikate festzulegen, berechnet die Kommission für jeden Teilsektor einen Standard. Dafür schaut sie, wie viele Emissionen die effektivsten Anlagen ihrer Art in diesem Sektor verbrauchen. Unternehmen mit weniger modernen Anlagen müssen also Zertifikate dazu kaufen. Im Flugsektor wird der größte Teil der Zertifikate bisher ebenfalls kostenlos verteilt. Bis 2026 soll dieser Anteil jedoch auf null sinken.

In Deutschland fallen über 1700 Anlagen unter den Emissionshandel, europaweit sind es über 8700. Die Unternehmen erwerben die Zertifikate an der Leipziger Energiebörse EEX oder an der ICE Endex in Amsterdam. Dort lässt sich auch der aktuelle Preis eines Zertifikates ablesen.

Wie hat sich der Preis der Emissionszertifikate entwickelt?

Prinzipiell hängt die Preisentwicklung von Angebot und Nachfrage ab. Sparen Unternehmen CO2 ein oder produzieren weniger, und benötigen dadurch weniger Zertifikate, sinkt der Preis. Das gleiche passiert, wenn die EU-Kommission die Zahl der Zertifikate auf dem Markt erhöht. Rückblickend hat sich der Emissionshandel in vier Phasen entwickelt. Zu Beginn, von 2005 bis 2007, lag der Preis größtenteils unter 20 Euro. Als der Preis zwischenzeitlich auf fast 30 Euro anstieg, machte sich die Sorge breit, die Zertifikate würden zu früh zu teuer. In der zweiten Phase ab 2008 durchkreuzte die weltweite Finanzkrise die Pläne der Kommission: Durch den Konjunktureinbruch waren mehr Zertifikate auf dem Markt als benötigt. Der Preis sank auf phasenweise deutlich unter 20 Euro. In der dritten Phase von 2013 bis 2020 tat sich bei einem Preis von fünf Euro jahrelang nichts, bis die EU 2018 den Emissionshandel reformierte. Die Kommission verabschiedete die so genannte Markt-Stabilitäts-Reserve, die wie eine Art Staubsauger überschüssige Zertifikate aus dem Markt zieht. Allein die Ankündigung reichte aus, um den Preis in die Höhe zu treiben. Seit 2021 läuft die vierte Phase des Emissionshandels. Durch neue Beschlüsse aus Dezember 2022 verknappen sich die Zertifikate, der Preis steigt: Im Mai auf 90 Euro.



Was macht den Emissionshandel so effizient?

Der Emissionshandel stellt Unternehmen vor eine Entscheidung: Ist es günstiger weiterzumachen wie bisher und für die Emissionen zu bezahlen? Oder ist es günstiger Emissionen zu sparen und kein Zertifikat kaufen zu müssen? Diese Abwägung führt dazu, dass zuerst dort Emissionen gespart werden, wo die Umstellung einfach und damit am günstigsten ist – so sind die CO2-Einsparungen im Energiesektor bisher ausgeprägter als in der Industrie: Ein Windrad aufzustellen ist günstiger, als emissionsarmen Stahl zu produzieren. Damit bleiben die Kosten für die Transformation insgesamt geringer, als wenn man auf andere Maßnahmen zurückgreift, wie Subventionen, Effizienzstandards und Verbote. Der Anreiz bleibt auch bestehen, wenn Unternehmen kostenlose Zertifikate erhalten. Dann wägen sie ab, ob sie die Zertifikate behalten (und keine Emissionen sparen) oder die Zertifikate auf dem Markt verkaufen (und Emissionen sparen). Es gilt aber: je höher der Zertifikatpreis, desto höher der Anreiz zur Transformation.

Was sind die Schwächen des Emissionshandels?

Erstens: das Überangebot. Die EU-Kommission hat über Jahre so viele Zertifikate ausgegeben, dass die Preiswirkung auf die emissionsintensiven Sektoren sehr schwach ausgefallen sein dürfte. Studien über den Emissionshandel in Großbritannien haben gezeigt, dass der Preis bei 25 bis 30 Euro liegen muss, um eine Wirkung zu entfalten. Das Überangebot hatte aber seine Gründe: So wollte die Kommission um Akzeptanz bei Unternehmen werben. Das hatte allerdings auch die Konsequenz, dass erstmals Ende 2020 der Preis auf über 30 Euro stieg – 15 Jahre nach Einführung.

Zweitens: Carbon Leakage. Damit der Emissionshandel funktioniert, müsste er weltweit eingeführt werden. Wenn, wie momentan, nur ein kleiner Teil der Länder einem Emissionshandel unterliegen, entstehen Verzerrungen: Emissionsintensive Produkte sind dort plötzlich teurer, als in Ländern ohne CO2-Preis. Dadurch entstehen Wettbewerbsnachteile und emissionsintensive Wirtschaftszweige drohen in unregulierte Länder abzuwandern. Dieser Nebeneffekt, auch Carbon Leakage genannt, macht die Klimaschutzbemühungen zunichte: Unternehmen mit hoher Emissionsintensität verlagern Produktion ins Ausland - und unter dem Strich werden keine Emissionen gespart. Um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen, hat die EU-Kommission eine Formel entwickelt: Wirtschaftszweige, die sehr emissionsintensiv und stark vom Weltmarkt abhängig sind, beispielsweise die Stahl- und Zementproduktion, kommen auf eine Carbon-Leakage-Liste und erhalten kostenlose Zertifikate.

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Drittens: Wichtige Sektoren fehlen noch. Der Emissionshandel muss alle emissionsintensiven Wirtschaftssektoren umfassen, um effizient zu wirken. Wichtige Bereiche wie der Straßenverkehr, der Wärmesektor und die Landwirtschaft fehlen allerdings bisher. Das soll sich nun ändern: Ab 2027 entsteht ein neuer Emissionshandel für Unternehmen, die Benzin und Diesel im Straßenverkehr oder Öl und Gas im Wärmebereich verkaufen. In diesem zweiten Emissionshandel wird es keine kostenlosen Zertifikate geben, weil Carbon Leakage kein Problem darstellt. Schließlich wird nur eine Minderheit zum Tanken an die EU-Außengrenzen fahren. Allerdings gibt es eine Preisobergrenze von 45 Euro. Steigt der Marktpreis über diese Grenze, werden zusätzliche Zertifikate bereitgestellt.



Viertens: die Landwirtschaft. Dieser Sektor trägt in Europa elf Prozent zu den jährlichen Emissionen bei, unterliegt aber noch nicht dem Emissionshandel. Denn Emissionen in der Landwirtschaft sind nur schwer zu bepreisen. Zum einen ist es ein Markt mit sehr vielen kleinen Anbietern. Zum anderen lässt sich nicht genau messen, wie viele Emissionen ein Landwirtschaftsbetrieb produziert. Dazu muss beispielsweise erhoben werden, wie viel Dünger ein Betrieb verbraucht, welche Technik er einsetzt und was Kühe zu fressen bekommen. Die Kommission plant nun in Zukunft zumindest den Düngerverbrauch mit einem CO2-Preis zu versehen.

Fünftens: Gleichgewichteffekte. Neben den Wettbewerbsnachteilen, die durch den international uneinheitlichen Emissionshandel entstehen, gibt es einen zweiten Effekt, der den Klimaschutz schwächen kann. Denn sinkt die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen durch einen erfolgreichen Emissionshandel, sinkt auch deren Preis. Für Länder außerhalb des Emissionshandels wird es dadurch attraktiver, weiter an fossiler Energie festzuhalten. Das grenzt die Wirksamkeit des Emissionshandels weiter ein. Dieser Effekt entsteht aber nicht nur beim Emissionshandel, sondern bei allen Maßnahmen, die Klimaschutz vorantreiben.

Wie geht die EU-Kommission mit diesen Schwachstellen um?

Die Kommission arbeitet an der Verbesserung des Emissionshandels: Um die Ausgabe kostenloser Zertifikate zu verringern, will sie ab Oktober einen Grenzausgleich einführen, auch Carbon Border Adjustment Mechanism genannt. Dieser belegt Unternehmen, die emissionsintensive Produkte in die EU importieren, mit einem Klima-Zoll. Der Zoll soll den Wettbewerbsnachteil ausgleichen und einen Anreiz für ausländische Unternehmen bieten, ebenfalls klimaschonender zu produzieren.

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Wie geht es weiter in Deutschland?

Fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl, Erdgas und Kohle fallen in Deutschland bereits seit 2021 unter den nationalen Emissionshandel für den Gebäude- und Verkehrssektor. So soll der europäische Emissionshandel ergänzt werden. Betroffen sind beispielsweise Gas- und Kohlelieferanten oder Mineralölkonzerne. Die Preisgestaltung für die Zertifikate ist stark reglementiert. In der fünfjährigen Einführungsphase ist der Preis vorab festgelegt und die Versteigerungen ausgesetzt. Von 30 Euro in diesem Jahr steigt der Preis bis 2025 auf 45 Euro. Ursprünglich war 2025 ein Preis von 55 Euro geplant, doch das hatte die Bundesregierung im November 2022 mit Blick auf die extrem gestiegenen Energiepreise zurückgenommen. Ab 2026 unterliegt die Zertifikatversteigerung festen Preisgrenzen: höchstens 65 Euro, mindestens 55 Euro. Wie der nationale Emissionshandel ab 2027 mit dem europäischen ETS-2 verbunden werden soll, ist bisher unklar.

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