Markus Söder spricht noch vor dem Papst. Am Abend des Karsamstag, wenn Gläubige wegen der Coronapandemie auf Osterfeuer verzichten und auch den Weg zu Auferstehungsfeierlichkeiten in ihren Kirchen meiden müssen, wird der bayerische Ministerpräsident im Fernsehen eine Osteransprache halten. So hat es die Staatskanzlei in München angekündigt. Söder als Hoher Priester des deutschen Corona-Krisenmanagements, das ist seit Wochen die Paraderolle des 53-Jährigen. Er zeigt den Weg auf, dem dann die Kolleginnen und Kollegen Ministerpräsidenten der anderen Länder folgen – wenngleich manchmal murrend.
Zu Hause kommt das gut an: Sage und schreibe 94 Prozent der Bayern sind derzeit mit Söder zufrieden. Nie zuvor haben der ARD-DeutschlandTrend oder das Umfrageinstitut Infratest dimap eine so hohe Zustimmung für einen Bundes- oder Landespolitiker gemessen. Dabei steigt die Zahl der Infizierten in Bayern nach wie vor: 28.827 zählte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwoch – 1263 mehr als am Vortag. 635 Menschen starben.
Söders Höhenflug als zwar mitfühlender, aber strenger Krisenmanager wurmt vor allem Armin Laschet. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident sieht seine Ambitionen auf CDU-Vorsitz und Kanzleramt gefährdet, seit Söder das Steuer in der Corona-Krise an sich gerissen hat. Der Name des Bayern rückt damit in der Liste der möglichen Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder weit nach oben – auch wenn Söder selbst noch vor Wochen einen Wechsel nach Berlin ausgeschlossen hatte. Aber das war schließlich vor Corona. So ist es deshalb besonders pikant, wenn Laschet eine Exit-Strategie fordert, und ihm Söder in die Parade fährt. Oder wenn Laschet sich gegen eine Maskenpflicht ausspricht, während Söder dafür ist – und damit punktet.
Zu Unrecht punktet, wie Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery findet. „Seine Politik der harten Hand führt offensichtlich nicht zum Erfolg,“ kritisierte er in einem Interview mit der Tageszeitung Münchner Merkur. „Bayern steht bei den Infektionszahlen von allen Ländern am schlechtesten da. Es hat auch die höchste Sterbequote und die niedrigste Verdoppelungszeit bei den Infektionen – das ist in diesem Fall schlecht.“ Dass Söder da Ängste entwickele, könne er, Montgomery, nachvollziehen. „Es hilft aber nichts, das Denken auszuschalten. Wir brauchen Vernunft, keine dramatischen Aktionen,“ forderte der Ärztepräsident.
Tatsache ist, dass Bayern durch seine geographische Nähe zu Österreich und Italien besonders von Corona betroffen ist. Viele Skifahrer, die sich in den Faschingsferien auf den Pisten der beiden Länder und beim anschließenden Après-Ski vergnügt hatten, waren Ende Februar infiziert in den Freistaat zurückgekehrt. Die scheinbare Einkesselung des Virus nach den ersten 15 Erkrankungen im Umfeld des Automobilzulieferers Webasto im Januar machte Bayern natürlich nicht unverletzlich.
„Viele haben gemeint, in drei Wochen ist alles wieder vorbei. Weil man das noch nicht wahrhaben wollte,“ sagt Michael Hölscher. Der Leiter des Tropenmedizinischen Instituts an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität verantwortet eine so genannte Kohortenstudie, die seit Anfang dieser Woche 3000 zufällig ausgewählte Haushalte in München über zwölf Monate hinweg untersuchen wird. Hölscher hält aber auch Söders Timing für Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote für „ziemlich perfekt“. Die Epidemie zu einem sehr frühen Zeitpunkt abzuwürgen, wäre kontraproduktiv gewesen, da die Bevölkerung mangels Impfstoff eine Immunität durch viele Ansteckungen entwickeln müsse. Söders eigenmächtiges Vorgehen Mitte März, ohne auf einheitliche bundesweite Regelungen zu warten, sei mit Blick auf eine drohende Überforderung des Gesundheitswesens ebenfalls richtig gewesen. Nur drei Tage länger zu warten, hätte nach Hölschers Ansicht fatale Folge gehabt.
Gar nicht gut an kommt allerdings der Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten diese Woche auf dem Münchner Flughafen, wo er in Begleitung von CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Lufthansa-Chef Carsten Spohr eine Ladung mit acht Millionen Schutzmasken aus China werbewirksam in Empfang nahm. Als peinliche Selbstinszenierung wird die Aktion in den sozialen Medien gegeißelt. Zumal sich Bundeskanzlerin Merkel und nicht Söder für die Lieferung bei Chinas Staatschef Xi Jingping eingesetzt hatte – und in Bayern ein eklatanter Mangel an Schutzkleidung für Ärzte und Pflegepersonal herrscht. Vor allem Hausärzte beklagen seit Wochen, dass sie als Bollwerk gegen eine Überflutung von Kliniken mit Patienten dienten, aber von der Politik bei der dafür nötigen Ausrüstung im Stich gelassen würden. Noch eine Woche nach Fasching, als die Bedrohung bereits greifbar war, hatte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml auf solche Klagen noch geantwortet, die Bevorratung stehe in der Verantwortung der Ärzte.
Nach wochenlanger, beinahe unheimlicher Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg rührt sich auch im bayerischen Landtag erneut die Opposition. Die FDP fordert Augenmaß bei der Berufsfreiheit und kann etwa nicht verstehen, warum Blumen, Grillkohle und Fahrräder zwar im Supermarkt verkauft werden dürfen, die Fachgeschäfte aber geschlossen bleiben. Die SPD verlangt Transparenz über die Verwendung des einhellig verabschiedeten, 10 Milliarden Euro starken Nachtragshaushalts, bevor über weitere Mittel verhandelt wird. Und die Grünen mahnen etwas weniger Pressekonferenzen und mehr Klarheit in der Kommunikation an.
Dennoch: Sogar die Anhänger der Ökopartei finden Söder zu 94 Prozent gut. Und insgesamt blicken zwei Drittel der Bayern aktuellen Umfragen zu Folge zuversichtlich in die Zukunft des Freistaats. Mehr als zuvor, optimistischer als der Rest der Republik und scheinbar unbeeindruckt von der Krise. Sogar die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus ist in Bayern niedriger als andernorts. Trotz der vielen Infizierten. Die Mehrheit, nämlich 55 Prozent, kann sich auch eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen nach Ostern nicht recht vorstellen. Bei den Grünen-Anhängern sind es sogar 62 Prozent.
Es sieht also so aus, als würde Söder nach seiner Osterbotschaft gestärkt durch den Segen seiner Bürger in das Treffen mit der Bundeskanzlerin und den anderen Ministerpräsidenten gehen. Dann soll beraten werden, wie es weitergeht in der Coronakrise.