Martin Schulz "Wir müssen uns nicht dafür schämen, erfolgreich zu sein"

Seite 2/2

Kleines politisches Kunststück

Und noch etwas anderes kommt einem sehr bekannt vor: Auch Schulz‘ Rede ist von einem unerschütterlichen Fortschrittsglauben erfüllt. Für einen Sozialdemokraten ist die Gegenwart, so gut sie schon sein mag, immer nur unreformierte Zukunft, ein Versprechen auf einen noch schöneren Morgen. „Wer sich auf dem Erreichen ausruht“, so klingt das bei Schulz, „macht den ersten Schritt zum Abstieg.“

Überhaupt: Ein „Auf Sicht fahren“ reiche nicht mehr aus, es müsse Schluss sein mit dem „Durchwurschteln“. Das ist nun erkennbar gegen Angela Merkel gerichtet, die er sonst fast gänzlich ignoriert. Die Botschaft ist vollkommen klar: Wer den behaglichen Status quo einfach erhalten will, braucht mich nicht zu wählen.

Feige ist Schulz bei seinem Auftritt tatsächlich nicht. Da wäre zum Beispiel seine Forderung, die Krankenkassenbeiträge in Zukunft wieder hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlen zu lassen. Er wisse, dass er dafür hier keinen Applaus erwarten dürfe, weil es die Wirtschaft Geld koste. Aber er verteidigt seinen Vorstoß. Außerdem erteilt Schulz „Steuergeschenken mit der Gießkanne“ eine deutliche Absage. Ja, es werde „Entlastungskomponente“ geben, aber das ist es dann auch.

Stattdessen: Investieren! Über nichts redet Schulz bei der IHK so lange wie über Investitionen, Bildung und Innovation. Bezeichnenderweise erhält der SPD-Chef nur ein einziges Mal Szenenapplaus – und zwar in dem Moment, als er davon spricht, dass Bildung eine gesamtstaatliche Aufgabe sein müsse.

Schulz verspricht, „Digitalisierung zur Chefsache“ zu machen – es klingt so,  als wolle er als Kanzler mindestens einen Staatsminister für Digitalisierung ernennen. Er will außerdem ein „Entbürokratisierungsprogramm forcieren“ – auch gegen eine übergriffige EU-Kommission. Und er verspricht die steuerliche Forschungsförderung, zu deren Durchsetzung sich die große Koalition nicht imstande sah.



Das heikelste Manöver bewahrt sich Schulz für den Schluss auf. Er wisse, dass sich viele hier im Raum mit einer Frage trügen: Ob er, wenn er Kanzler würde, eine Koalition einginge, die den Unternehmen im Land schaden könne? Dass muss man ihm lassen: der Diskussion um Rot-Rot-Grün weicht er nicht aus. „Die Antwort lautet: Nein“, sagt Schulz. Er werde nur einer Regierung vorstehen, die pro-europäisch sei und „ökonomische Vernunft walten lässt“.

Diese Antwort ist ein kleines politisches Kunststück, das es lohnt ganz von Nahem betrachtet zu werden. Denn der Satz klingt wie eine harte Absage an die – gerade unter Unternehmern – zutiefst gefürchtete Koalition mit Sahra Wagenknechts Linke und deren Umverteilungsplänen. Eigentlich aber schließt er nur einen Zusammenschluss aus, in dem sich die Linke mit Kernforderungen durchsetzen würde.

Martin Schulz tut also so, als schlüge er eine Tür mit viel Aplomb zu. Tatsächlich lehnt er sie nur behutsam an.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%