Martin Schulz Parteichef ohne große Zukunft

Der SPD-Parteitag ebnet den Weg für eine neue Koalition mit der Union. Auch wenn Martin Schulz damit seine Partei wohl in die Regierung führt: Er ist nicht mehr als ein Parteichef des Übergangs. Ein Kommentar.

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Trotz der Wiederwahl zum SPD-Chef wird Martin Schulz in breiten Teilen seiner Partei skeptisch gesehen. Quelle: dpa

Berlin Martin Schulz hat zuletzt eine Niederlage nach der anderen erlitten. Erst das Wahldebakel am 24. September. Danach die verpatzte personelle Neuaufstellung der Partei. Und schließlich die 180-Grad-Wende nach seiner zweimaligen Sturzgeburt-Entscheidung, eine Große Koalition auszuschließen.

Was für eine Erleichterung muss es nach dieser Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie da für den SPD-Chef gewesen sein, einmal dieses ungewohnte Gefühl zu erleben, wenn eine Partei tatsächlich ihrem Parteivorsitzenden folgt.

Mit überraschend großer Mehrheit stimmten die Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Berlin für einen Antrag der Parteispitze, „ergebnisoffen“ Gespräche mit der Union für eine Regierungsbildung aufzunehmen. Auf diesen ersten Erfolg folgte kurz darauf ein zweiter: Bei seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender fuhr Schulz ein ordentliches Resultat ein. Die knapp 82 Prozent waren in etwa das „ehrliche Ergebnis“, das er sich gewünscht hatte.

Auch wenn Schulz die beiden entscheidenden Hürden damit genommen hat und die älteste deutsche Partei weitere zwei Jahre führt, ist er doch nicht mehr als das, was er vor dem Parteitag war: ein Parteichef des Übergangs. Denn auch das ordentliche Wahlergebnis konnte nicht übertünchen, wie skeptisch Schulz inzwischen in breiten Teilen seiner Partei gesehen wird. In der Aussprache über das Wahldebakel – nebenbei bemerkt: eine Glanzstunde für eine lebhaft-sachliche innerparteiliche Debattenkultur – hielten gerade etliche jüngere Genossen Schulz den Spiegel vor, in dem all die Fehler der vergangenen Monate zu sehen waren.

Ein Ergebnis dessen: Die SPD-Spitze sah sich gezwungen, nicht wie ursprünglich vorgesehen einen Parteikonvent, sondern einen Sonderparteitag über die Sondierungsgespräche mit der Union abstimmen zu lassen. Damit hat die Basis noch mehr Mitspracherecht bei der Regierungsbildung, die Latte für eine neue Große Koalition liegt noch höher. Denn die Nachwuchsorganisation der Partei und so mancher Landesverband werden nichts unversucht lassen, eine erneute GroKo zu verhindern.

Auch zeigte Schulz auf dem Parteitag erneut eine Schwäche, die ihm führende Genossen schon lange anlasten: einen nicht zu übersehenden Mangel an Ideen. Schulz hielt zwar insgesamt eine ordentliche Rede. Gerade beim Thema Europa lieferte er Reformimpulse, über die man sicher streiten kann, aber die endlich mal nach vorne gehen. Doch für die SPD geht es in diesen schweren Stunden nach dem historischen Wahldebakel von 20,5 Prozent um mehr als um Europa. Es geht um ihre eigene Existenz, um ihre Zukunft als Volkspartei.

Schulz hätte daher eine Zukunftsvision für eine moderne deutsche Sozialdemokratie wenigstens in Ansätzen skizzieren müssen. Doch der Parteichef lieferte dazu nur einen alten Aufguss aus Sozialstaatsromantik und Arbeiter-Kampfrhetorik, angereichert mit einer Prise Umweltbewegung.

Schulz erreichte so zwar sein Ziel, seine Wiederwahl zu sichern. Doch die Herzen der Genossen, die schon längst nicht mehr in ihren einstigen „Gottkanzler“ verknallt sind, eroberte er so nicht zurück. Sie haben gemerkt: Mit Schulz sind nicht nur keine Wahlen zu gewinnen. Der Rheinländer ist auch kein Mann des Aufbruchs, schon gar nicht vom Formate eines Macron. Nur aus Pflichtgefühl und mangels Alternativen stellten sie sich hinter Schulz.

Die so viel beschworene Erneuerung der Partei kann in so einer Konstellation aber kaum gelingen.

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