Maßnahmen gegen Umfrage-Hoch Grüne blasen zum Angriff auf die Piraten

Dass die Piratenpartei die Grünen überholt hat, schockt die Ökopartei nicht. Dennoch will man sich jetzt dem Höhenflug der Polit-Freibeuter offensiv stellen – um sich künftige Machtoptionen im Bund nicht zu verspielen.

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Ein Luftballon der Piratenpartei steckt auf einem Garderobenständer fest. Quelle: dpa

Berlin Die Grünen sehen den Dauer-Höhenflug der Piratenpartei mit gemischten Gefühlen. Der jüngsten Forsa-Umfrage, die die Piratenpartei bei 13 Prozent sieht, misstraue er genauso, wie damals, als seine Partei bei 28 Prozent gelegen habe, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, Handelsblatt Online. „Fakt ist, dass die  Piraten vor allem von Nichtwählern, FDP, Linken und SPD Wähler mobilisieren. Daher muss uns als Grüne das erst einmal nicht beunruhigen.“

Gleichwohl sieht Beck zwei Herausforderungen, die seine Partei ernst nehmen müsse. „Mit einem Einzug der Piraten in Parlamente werden große  Koalitionen wahrscheinlicher“, sagte er. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setze jetzt schon auf die Stärkung der Piraten zur Fortsetzung  ihrer Kanzlerschaft mit der SPD als Juniorpartner. So habe die letzte große Koalition für Internet-Sperren, Vorratsdatenspeicherung  und den Abbau  von Grundrechten gestanden. „Nicht gerade das, was sich Piratenwähler wünschen“, analysiert Beck. Die Alternative dazu sei daher Rot-Grün mit starken Grünen. „Dafür werden wir werben.“

Als zweite Herausforderung nannte Beck den Umstand, dass die Presse eine „gewisse Anmutungskonkurrenz zwischen Grünen und Piraten“ wahrnehme. „Die Grünen standen bisher allein im Parteienspektrum für programmatische Innovation,  wir galten als kulturell unangepasst und etwas frecher“, sagte der Grünen-Politiker und fügte hinzu: „Hier müssen wir zeigen, dass Lebendigkeit und Konzeptpartei kein Widerspruch sind.“

Zudem gebe es bei den Piraten bei den Themen freies Internet, Transparenz und Bürgerrechte „nichts wirklich Neues unter der Sonne“, sagte Beck weiter. Wer das wolle, könne ebenso gut Grüne wählen. Auf anderen Politikfeldern, etwa bei Fragen zum Bundeshaushalt, bei Freiheit zur Spekulation auf den Finanzmärkten, bei der Sozial-, Steuer-, Europa- und Außenpolitik, müssten sich die Piraten hingegen fragen lassen, wo sie überhaupt stünden. „Die Piraten sind mit sechs Jahren Parteigeschichte nicht mehr so jung, dass eine Frage nach Programmatik zu solchen Themen einer Zumutung gleichkommt“, sagte Beck.

Laut der am Dienstag vollständig veröffentlichten Forsa-Umfrage für den Sender RTL und das Magazin „Stern“ kam die Piratenpartei auf 13 Prozent und wäre damit drittstärkste Kraft hinter Union und SPD bei einer Bundestagswahl. Während die Piraten im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt auf 13 Prozent zulegten, gaben die Grünen zwei Punkte ab auf elf Prozent. Die CSU sieht in diesen Zahlen einen Beleg dafür, dass die Piratenpartei die Grünen dauerhaft überrundet.


FDP auf Erholungskurs

Andere Grünen-Politiker mahnen zur Gelassenheit angesichts der starken Piraten. "Umfragewerte sind vergänglich und stimmungsabhängig", zitiert "Spiegel Online" Tübingens grünen Oberbürgermeister Boris Palmer. Er sehe die Piraten "bundesweit auf Dauer auf sehr viel niedrigerem Niveau" - dennoch sei die Konkurrenz der Freibeuter-Partei "natürlich auch ein Problem". Im Moment könnten die Grünen "noch so gute Netzpolitik machen oder auf mehr Bürgernähe pochen. Die Piraten spielen den Bonus der Neulinge aus, so wie wir vor 30 Jahren", sagte Palmer.

Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz zollte den Piraten Respekt für ihren Erfolg. "Aber wir erleben gerade eine Art Guttenberg-Moment. Vieles von dem, was auf die Piraten jetzt projiziert wird, werden sie nicht erfüllen können. Die Enttäuschung wird groß", sagte der grüne Bundestagsabgeordnete bei "Spiegel Online".

Dennoch stimmt Notz seine Partei schon mal auf eine lange Auseinandersetzung ein. Dabei sieht er allerdings alle Parteien in einem Dilemma. "Auch die CSU ist bedroht, von den Piraten bei der bayerischen Landtagswahl unter 40 Prozent gedrückt zu werden", sagte er. Seiner Partei empfiehlt Notz daher, der eigenen Arbeit zu vertrauen. "Wir sind eine Konzeptpartei, wir müssen dicke Bretter bohren. Langfristig wird sich das auszahlen."

Anders als bei den Grünen seiht es bei den Liberalen aus. Die FDP scheint sich nach der Erhebung aus ihrem Tief herauszuarbeiten. Die Freidemokraten legten zwei Punkte zu und kamen erstmals seit Monaten auf fünf Prozent. Damit hätten sie die Chance, wieder in den Bundestag einzuziehen, wenn am Sonntag Wahl wäre.

Die Union kam nach der Umfrage auf 36 Prozent (plus ein Punkt), die SPD auf 24 Prozent (minus ein Punkt). Die Linkspartei verlor einen Punkt und erhielt acht Prozent. Damit führte die schwarz-gelbe Koalition mit 41 Prozent deutlich vor den Wunschpartnern Rot-Grün mit 35 Prozent. Keines der beiden Lager schaffte also aus eigener Kraft eine Regierungsmehrheit.

Mit den Umfrageergebnissen setzt sich der rasante Aufstieg der Piratenpartei fort, nachdem sie bei der Saar-Wahl aus dem Stand 7,4 Prozent erhielten und in den Landtag einzogen. Die Grünen, deren Aufstieg mit dem Sieg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2011 einen Höhepunkt erreichte, liegen wieder bei Werten wie bei der Bundestagswahl 2009.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sieht in der Entwicklung eine grundlegende Machtverschiebung. „Die Piraten lösen die Grünen als Protestpartei ab“, sagte er der Zeitung „Die Welt“. Zu einer ähnlichen Diagnose kommt Forsa-Chef Manfred Güllner. „Für viele Jugendliche sind die Grünen eine altbackene und eine alt gewordene Partei“, sagte er zu RTL.

Die mögliche Renaissance der FDP erklärte Güllner mit dem strikten Nein der Freidemokraten zu staatlichen Hilfen für die Drogeriekette Schlecker. Damit hätten Mittelständler wieder das Gefühl, die FDP stehe auf ihrer Seite. Zudem komme der FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner, beim Wähler gut an. „Bei Lindner sagen die Leute: Aha, da ist ja doch noch jemand, der die FDP so aufstellt, wie ich es mir wünsche“, erklärte Güllner.

Forsa befragte für die repräsentative Erhebung 2007 Bundesbürger im Zeitraum von 2. bis 4. April.

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