2000 Euro hat Johannes Reck auf dem Konto, als er sein Start-up gründen will. Niemand glaubt an seine Idee, „nicht mal meine engsten Freunde“, erinnert er sich. Aus dem damaligen Biochemie-Studenten ist heute der Chef eines der erfolgreichsten deutschen Start-ups geworden. Mit mehr als einer Milliarde Euro ist seine Reiseplattform „Get Your Guide“ inzwischen bewertet. Viele Fehler habe er auf dem Weg dahin gemacht, erzählt Reck. Fehler, aus denen nun andere Studierende lernen sollen – im Auftrag des Kanzleramtes.
Mit einem Online-Kurs soll Studentinnen und Studenten Mut gemacht werden, selbst ein Start-up zu gründen. „Makers of Tomorrow“ heißt das Programm, das an die populären „Masterclass“-Kurse erinnert: In kleinen Videoclips erzählen Reck und andere prominente Gründerinnen und Gründern von Erfahrungen, Erfolgen und Hürden.
Von der Gründerwüste zum Start-up-Paradies?
Am Donnerstag wird das Programm offiziell von Angela Merkel (CDU) an der Lüneburger Leuphana-Universität gestartet. Mehr als 80 Hochschulen sind nach Angaben des Kanzleramtes bereits als Partner dabei, mehr als 900 Studierende angemeldet. Die Teilnahme ist kostenlos, Voraussetzung ist lediglich die Registrierung der Universität für das Programm. Wird Deutschland damit nun von der Gründerwüste zum Start-up-Paradies?
Wie groß der Nachholbedarf ist, betont Merkel selbst. Deutschland müsse aufpassen, „nicht zu sehr zurückzufallen“, mahnte sie im Sommer in einer Diskussionsrunde mit Gründerinnen und Gründern. „Wenn man in einer Phase der Geschichte sehr stark war, dann ist das gerade kein Automatismus, dass man das auch immer bleibt“, sagte sie mit Blick auf die Großkonzerne, deren Gründung teils Jahrhunderte zurückreicht. Durch die Digitalisierung seien technologische Sprünge heute schneller möglich – entsprechend groß sei der Transformationsdruck.
Doch viele Studierende wollen lieber Beamte als der nächste Jeff Bezos werden. Von 2000 Studentinnen und Studenten gaben 26 Prozent im Rahmen einer Umfrage des Beratungsunternehmens EY Ende 2020 an, dass sie am liebsten im Öffentlichen Dienst arbeiten wollen. Selbst Arbeitgeber werden? Das Risiko erschien vielen jungen Menschen schon vor der Coronakrise zu groß.
„Bist Du verrückt geworden?“, diesen Satz habe sie sich mehrfach anhören müssen, erzählt Eva-Maria Meijnen, die von der Angestellten zur Unternehmerin geworden ist mit ihrem Zahnschienen-Start-up PlusDental. Wie sie mit solchen Zweifeln umgehen können, das sollen die Kurs-Teilnehmer unter anderem lernen.
In zehn Modulen erzählen Gründerinnen und Gründer von ihren Erfahrungen. Rund eine Stunde lang geht es um Themen wie Mentalität, aber auch um Prototypen, Kunden, Investoren und Wachstum. Aber kann man „Gründen“ lernen wie einen Grundkurs BWL?
Merkel und die Macher wollen weniger ein Curriculum von A bis Z, sondern vor allem einen Schubser zum ersten Schritt. Ob jemand eine Gründung wage, sei oft eine Frage der Einstellung, sagte Merkel. Diese Kultur müsse in Deutschland „geboostert“ werden, der Online-Kurs solle deshalb ein „pragmatischer Einstieg“ ins Unternehmertum sein.
Wie der gelingen kann, davon berichten neben Reck und Meijnen beispielsweise Amorelie-Gründerin Lea-Sophie-Cramer, Celonis-Gründer Bastian Nominacher, die Soundcloud-Gründer Eric Quidenus-Wahlforss und Alexander Ljung, der KI-Experte und Unternehmer Richard Socher, die Risikokapitalexpertin Margit Wennmachers und Robotik-Experte Sebastian Thrun.
Insbesondere hofft das Kanzleramt, Studierende von „gründungsfernen“ Fächern anzusprechen, etwa in der Biologie und Medizin – denn wie groß das Potenzial dort ist, zeigt etwa der BionTech-Erfolg.
„In Deutschland tragen Gründer Anzüge“
„In Deutschland tragen Gründer Anzüge, in den USA laufen sie in T-Shirts rum“, das ist ein Spruch, den sich Ijad Madisch gemerkt hat mit Blick auf die niedrige Gründungsquote in naturwissenschaftlichen Bereichen. Der Chef des Wissenschafts-Netzwerks ResearchGate ist Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung, gemeinsam mit Co-Beirätin und Gründerin Stephanie Kaiser treibt er den Online-Kurs voran.
Bisher ist der Digitalrat nach Außen hin wenig mit Erfolgen aufgefallen. Es sei vor allem um die Wirkung in die Regierung hinein gegangen, heißt es von den Mitgliedern – dennoch soll mit dem Kurs nun offensichtlich zum Ende der Regierungszeit hin noch ein prominenter Aufschlag gelingen. Rund 200.000 Euro fließen aus dem Budget des Kanzleramtes in das Programm, die Gründer selbst erhalten kein Honorar.
Werden Start-ups Chefsache?
Federführung zuständig für das Thema Gründungen ist eigentlich das Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU), mit Thomas Jarzombek (CDU) wurde sogar erstmals ein Start-up-Beauftragter eingesetzt – und nun mischt trotzdem noch die Regierungszentrale mit. Werden Start-ups künftig also Chefsache? Das wünscht sich zumindest Christian Miele, Chef des Start-up-Verbands. Der künftige Regierungschef müsse sich als Start-up-Kanzler verstehen, hatte er kürzlich im WiWo-Interview gefordert.
Ob das Olaf Scholz (SPD) als möglichem Merkel-Nachfolger gelingt, wird sich zeigen. Bis Ende Februar 2022 läuft der Online-Kurs vorerst, für die Absolventen gibt’s ein Zertifikat – und womöglich Ideen fürs nächste BionTech.
Mehr zum Thema: Eigentlich will die Regierung Start-ups fördern, auch über öffentliche Aufträge. Doch wie oft Innovatoren zum Zuge kommen, weiß sie nicht – denn bisher hat sie nicht einmal geklärt, was überhaupt ein Start-up ist.