Materiallage „dramatisch schlecht“ So steht es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr

Von insgesamt 72 Transporthubschraubern des Typs CH-53 konnten im Schnitt 16 tatsächlich für Ausbildung und Einsatz genutzt werden. Quelle: dpa

Die Bundeswehr kämpft weiter mit der mangelnden Einsatzfähigkeit etlicher ihrer Hauptwaffensysteme. Nach der herben Kritik wirbt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erneut um Nachsicht.

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„Wir können nicht in wenigen Jahren alles aufholen, was zuvor 25 Jahre lang abgebaut und gespart worden ist“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der „Passauer Neuen Presse“. Bei Ausrüstung im Gesamtwert von rund 200 Milliarden Euro sei die vollständige Modernisierung „ein langsamer und mühsamer Weg“. Sie betonte, der Modernisierungskurs müsse beharrlich fortgesetzt werden.

Das spiegelt sich auch im "Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr 2017" des Verteidigungsministeriums wieder, der der Nachrichtenagentur Reuters vorlag: Von einem Gesamtbestand von 128 Eurofightern seien im vergangenen Jahr durchschnittlich 39 Jets einsatzbereit gewesen. Von den älteren Tornado-Kampfjets waren danach durchschnittlich 26 von insgesamt 93 Flugzeugen einsatzbereit. Von insgesamt 72 Transporthubschraubern des Typs CH-53 konnten im Schnitt 16 tatsächlich für Ausbildung und Einsatz genutzt werden. Trotzdem sei die Einsatzbereitschaft der Truppe in den Auslandseinsätzen und bei Verpflichtungen wie der Beteiligung an der Nato-Eingreiftruppe VJTF gewährleistet, schreibt das Ministerium. Dies gehe aber "natürlich zulasten des Grundbetriebs".

Das Verteidigungsministerium erklärt die Materialprobleme unter anderem mit einer verstärkten Abnutzung der Waffensysteme durch die gestiegene Zahl von Übungen und Einsätzen im Zusammenhang mit der verschlechterten Sicherheitslage seit der Ukraine-Krise. "Im Ergebnis ist eine höhere Beanspruchung nahezu aller Waffensysteme im Vergleich zu vorherigen Berichten zu beobachten", schreibt das Ministerium. Weitere Gründe seien zu geringe Ersatzteilvorräte nach langem Sparkurs sowie das schlichte Alter der Waffensysteme, die teils seit vielen Jahrzehnten bei der Bundeswehr im Einsatz sind. Wie groß die Probleme der Bundeswehr bei Rüstungsprojekten ist, zeigt eine umfangreiche Analyse der WirtschaftsWoche.

von Melanie Bergermann, Rüdiger Kiani-Kreß, Elisabeth Niejahr

Dennoch habe sich die Einsatzbereitschaft des Geräts im Vergleich zum vorherigen Bericht für das Jahr 2016 bei der überwiegenden Zahl der Waffensysteme verstetigt, heißt es in dem Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft. Beim neuen Transporthubschrauber NH90 und den alten Transall-Flugzeugen gebe es einen Aufwärtstrend. Negative Entwicklungen seien dagegen bei den sechs U-Booten zu verzeichnen, von denen derzeit keines einsatzbereit ist, und beim Kampfpanzer Leopard. "Unverändert bewahren Waffensysteme in den Auslandseinsätzen eine weit überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft", schreibt das Ministerium. Mit Blick auf die laufenden Einsätze sei die Einsatzbereitschaft der Truppe gewährleistet. Auf dieser Basis könne Deutschland auch Verpflichtungen wie die Beteiligung an der schnellen Eingreiftruppe der Nato, der sogenannten VJTF, sowie die militärische Präsenz in Litauen zur Abschreckung Russlands erfüllen. Die Bereitstellung des Geräts für die Einsätze gehe jedoch "natürlich zulasten des Grundbetriebs". Eine nachhaltig positive Wirkung des Kurswechsels in der Rüstungspolitik sei erst mittelfristig zu erwarten. Als ein Auslöser der Probleme gelten unter anderem die jahrzehntelangen Einsparungen bei der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges, die erst durch die Ukraine-Krise beendet wurden.

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) hatte zuletzt in seinem Jahresbericht festgestellt, die Materiallage bei der Bundeswehr bleibe „dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter geworden“. Nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Dienstag) sind viele Waffensysteme der Bundeswehr nur beschränkt einsetzbar. So waren demnach etwa im vergangenen Jahr durchschnittlich nur 13 von 58 Transporthubschraubern vom Typ NH90 einsatzbereit. Von 128 Eurofightern hätten 2017 durchschnittlich nur 39 genutzt werden können.

Der Grünen-Haushalts- und Verteidigungsexperte Tobias Lindner warf Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor, sie habe es nicht geschafft, die Probleme abzustellen. "Viele Verpflichtungen und hohe Übungstätigkeiten belasten das Material ohne Zweifel, aber darauf muss die Bundeswehr proaktiv reagieren und nicht bloß zuschauen, wie ihr Material ausfällt", erklärte er. "Dass vor acht Jahren keine Ersatzteile bestellt wurden, reicht heute nicht mehr als Begründung aus." Die Debatte über die niedrige Einsatzbereitschaft laufe nun schon viele Jahre, in denen Teile bestellt und geliefert hätten werden können. "Es kann nicht sein, dass neue Hubschrauber, Transportflugzeuge oder Schützenpanzer gekauft werden, während es für diese anscheinend keine Ersatzteile gibt."

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