Matthias Müller VW-Chef wehrt sich gegen Diesel-Nachrüstungen – und nennt Volkswagen „systemrelevant“

VW-Chef Müller präsentiert Argumente gegen Diesel-Umrüstungen. Dadurch werde die Fahrzeugleistung gedrosselt – und Kunden würden das nicht mögen.

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Berlin Vorne am Eingang steht Bernhard Mattes und wartet auf die Gäste. Der 61-Jährige schüttelt Hände, begrüßt mit einem schüchternen Lächeln im imposanten Markgrafen-Palais direkt am Berliner Gendarmenmarkt, in der Lobbyzentrale der Autobauer. Es ist Freitag, der 2. März 2018, Tag zwei für den neuen Chef-Lobbyist der heftig kritisierten Leitindustrie des Landes. Formal nennt er sich Präsident des Verbands der Automobilindustrie.

Mattes hat einen schweren Abend hinter sich. Er musste sich im ZDF-Talk stellen und gegen scharfe Kritiker der Autobauer anreden: den Verbraucherschutzpräsidenten Klaus Müller (Grüne), den Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Mattes ließ sogar zu, dass Resch ungestraft von „kriminellen Kartellen“ sprechen durfte.

All das scheint inzwischen erlaubt in der aufgehetzten Diskussion um saubere Luft in Städten. Für die Luftqualität sollen plötzlich die Autobauer zuständig sein und nicht etwa der Gesetzgeber, der die Abgasregeln festlegt und im Zweifel auch Grauzonen zulässt, die derzeit allerorten kritisiert aber nicht geschlossen werden. So mancher in der Branche kam zu einem vernichtenden Urteil ob des kleinlauten und zaghaften ersten Auftritts des Präsidenten.

„Die Debatte war nicht unbedingt von Sachargumenten geprägt, sondern von vielen Vorurteilen und Verdächtigungen“, sagt Mattes an diesem Freitag. Heute hat zum Glück nicht Maybrit Illner eingeladen, sondern der VDA selbst – so wie er es seit Ausbruch der Dieselkrise schon fünf Mal getan hat, um über die „Mobilität von morgen“ zu reden. So nennt sich das Format.

Daimler- und Bosch-Chefs im Publikum

Ein exklusiver Kreis von rund 50 Gästen, darunter Politiker, Beamte aus den Ministerien und Lobbyisten aus der Branche sind eingeladen. Zu den Gästen gehören Dieter Zetsche (Daimler), Kanzleramtschef Peter Altmaier und Bosch-Chef Volkmar Denner.

Auf dem Podium stellt sich Matthias Müller. Der einstige Porsche- und amtierende VW-Chef, darf die Scherben aufsammeln, die die Branche und allen voran Volkswagen mit der Manipulation von Software für Abgasreinigungsanlagen verursacht haben. Sein Kontrahent ist ebenfalls eine entscheidende Figur: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Er ist Ministerpräsident im Autoland Nummer eins mit den Konzernzentralen von Daimler, Porsche, Bosch und anderen Zulieferern, die maßgeblich von der Dieseltechnologie leben. Denen will Kretschmann auf der einen Seite helfen, auf der anderen Seite muss er aber auch für saubere Luft in der Landeshauptstadt Stuttgart aber auch in Reutlingen und anderswo sorgen.

Erstaunlich versöhnlich beginnt die Runde. VW-Chef Müller erklärt reuig, dass sein Unternehmen schwere Fehler begangen habe und sich bereits ändere. „Es sind keine Zeiten für einfache Antworten und für Alleingänge“, sagt er dann und reicht die Hand. „Es ist an der Zeit, die Distanz zur Politik wieder abzubauen“, sagt er. Ohne Kumpanei. „Es geht um eine Innovationspartnerschaft.“

Denkanstöße ohne Beliebtheitspreis

Der 64-jährige Müller gilt in der Branche als unberechenbar. Vergangenes Jahr forderte er im Handelsblatt den schnellen Abschied von Dieselsubventionen und dem Umstieg auf das Elektroauto, ohne vorher mit BMW-Chef Harald Krüger oder Daimler-Chef Dieter Zetsche zu reden.

„Natürlich war mir klar, dass man mit solchen Denkanstößen keinen Beliebtheitspreis gewinnt“, sagt er an diesem Freitag. „Aber, wer es ernst meint mit der Elektromobilität, muss die Weichen jetzt stellen. Mit Besitzstandswahrung macht man keine Zukunft.“, sagt er.

Auch hat er nun auch eine andere Haltung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Möglichkeit von Fahrverboten bestätigt hat. „Wir haben nach dem Urteil von Leipzig keine Zeit zu verlieren“, sagt Müller heute und plädiert dafür, Fahrverbote zu vermeiden, etwa durch eine „Verflüssigung“ des Verkehrs und der Umtauschprämie der Hersteller, mit der Halter älterer Diesel-Fahrzeuge neue kaufen.

„Ich bin froh, dass die Sache endlich Dynamik bekommt“, sagt Müller. Am Dienstag hatte er noch gesagt, dass er das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht nachvollziehen könne, aber wohl akzeptieren müsse.

„Es geht nicht um Fahrverbote, sondern um Fahreinschränkungen“, sagt Kretschmann. Es gehe ja nur um „ein paar Straßen. Da muss niemand in Panik um sein Eigentum verfallen.“ Auch werde es seine Zeit dauern und viele Ausnahmen geben: „Selbst für Pizza-Fahrer“. Er wirbt seit langem für die Einführung einer blauen Plakette durch den Bund, um „saubere“ Autos von „schmutzigen“ zu unterschieden.

Die Luft werde zwar jedes Jahr besser. „Sie wird nur nicht schnell genug besser“, sagt der einzige grüne Ministerpräsident. In Stuttgart führen schon 50 Prozent saubere Euro-6-Fahrzeuge. Aber es gebe die Probleme aufgrund der Kessellage der Stadt. „Wir können es ohne bundeseinheitliche Regelung nicht kontrollieren“, sagt er.

Kretschmann spricht sich für den Diesel aus

Vor allem weiß er aber, dass allein bei Bosch 15.000 Arbeitsplätze am Diesel hängen. Deshalb will er „Restverbote“ für alte Autos. Und mit anderen Maßnahmen will er dafür sorgen, dass die modernen, sauberen Diesel auf die Straße kommen und eine Zukunft haben. Und auch Müller zeigt sich da offen, faire Regeln zu schaffen, wer eine Plakette bekommt und wer nicht.

Es gelte für ihn zwar: „Mit Besitzstandswahrung macht man keine Zukunft“, sagt er, stellt aber auch klar: „Auf dem Weg ins emissionsfreie Zeitalter brauchen wir den Diesel, um unsere Umweltziele zu erreichen und weil er Teil der Lösung ist.“

Zumindest für kurze Zeit wird es hitzig, als der Volkswagenchef erklärt, dass sein Unternehmen 2,5 Millionen Fahrzeuge mit Software-Updates umgerüstet habe. „Weil sie mussten“, erwidert Kretschmann. Schließlich waren es die manipulierten Autos. Eine Million rüste Volkswagen noch freiwillig um, schiebt Müller hinterher. Die anderen Hersteller rüsteten gar nicht um, schimpft Kretschmann. „Da geht nichts voran.“

In der Tat geht es langsam voran. Die Hersteller hatten beim ersten Dieselgipfel im August 2017 verpflichtet, mehr als fünf Millionen Fahrzeuge mit einem Softwareupdate zu optimieren. Im Bundesverkehrsministerium hieß es, inzwischen seien 92,3 Prozent der Fahrzeuge von Volkswagen umgerüstet worden.

Weitere 2,84 Millionen Fahrzeuge wollten die Hersteller freiwillig umrüsten. Von ihnen ist laut Ministerium die Hälfte in der Umrüstung oder stünde „kurz davor“. Mit der Maßnahme würden die Emissionen wie von den Autoherstellern zugesagt um 25 bis 30 Prozent sinken. Die Reduktion zumindest bestätigt Müller an diesem Tag auch.

Skepsis gegenüber Software-Updates

Wenn die Umrüstung schon beim Software-Updates so lange dauere, dann sei absehbar, was eine Hardware-Umrüstung bringe, warnt Kretschmann. Er ist „skeptisch“, dass es etwas bringe. Bis die Umrüstung erfolgt sei, sei das Problem vermutlich schon keines mehr.

Müller hört das gern, denn er lehnt Hardware-Umrüstungen ab. Für ihn ist es „eine Operation am Herzen“ und nicht etwa die Aufgabe, einen Harnstofftank in einen Kofferraum zu legen. In der Theorie sei die Umrüstung möglich, „unter bestimmten Rahmenbedingungen“.

In der Realität aber verschlechterten sich die Fahreigenschaften. „Die Kunden sind höchst kritisch bei Veränderungen der Fahreigenschaften“, warnt Müller. Sie seien „weit größer als öffentlich bekannt“. Wenn die Hersteller auch die Garantie und Gewährleistung übernehmen müssten, dauere die Entwicklung zwei bis drei Jahre. „Da frage ich: Macht das wirklich Sinn?“, sagt Müller.

Die Kosten lägen zudem je nach Fahrzeug zischen 1.500 bis 7.000 Euro, das möge zwar Vertrauen schaffen, allerdings habe er auch Verantwortung für das Unternehmen, dass er als „systemrelevant“ bezeichnet. Die 25 Milliarden Euro, die in den USA gezahlt werden mussten, reichten. „Wir können nicht auch noch 17 Milliarden Euro für Hardwareumrüstungen zahlen.“


Umwelthilfe beklagt „Hinterzimmer-Regelungen“

Verpflichten kann die Politik die Unternehmen nicht. Und auch mit der Moral endet es, wenn es um solche Summen geht. Auch wenn Müller inzwischen eingesteht, dass die Branche die Probleme „nicht nur technisch und juristisch sehen“ dürfe. „Wir müssen sie auch nach Anstand und Moral bewerten“, gibt er sich zumindest etwas nachgiebig.

Geklärt ist die Frage nach den Hardware-Umrüstungen allerdings noch nicht. Der VDA liefert sicher derzeit eine heftige Lobbyschlacht – hinter den Kulissen. Sie findet im Bundesverkehrsministerium statt, in der sogenannten Expertengruppe I, die nach dem ersten Dieselgipfel im vergangenen Jahr eingerichtet worden war.

Drei weitere Gruppen gab es, die ihre Arbeit längst abgeschlossen haben. Es ging um „Verkehrslenkung, Digitalisierung und Vernetzung“, um den „Umstieg öffentlicher Fahrzeugflotten auf emissionsarme Mobilität“, um die „Optimierung von Antriebstechnologien und alternative Kraftstoffe“ – alles Fragen, die die Politik mit viel Geld schnell beantwortet, indem sie Förderprogramme auflegt.

Kein Wunder, dass diese Gruppen ihre Arbeit längst abgeschlossen haben – nicht aber die Arbeitsgruppe I. Dort geht es um die Autobauer und um das, was sie ablehnen: „Emissionsreduzierung in den im Verkehr befindlichen Fahrzeugflotten“, vulgo: technische Nachrüstungen von alten Dieselautos. Zu teuer, zu kompliziert, sagen die Autobauer.

In der Gruppe sitzt im Übrigen neben Bundes- und Landesministerien, dem ADAC, Umweltverbänden und Verbänden auch Herr Resch von der Umwelthilfe. Er hatte im ZDF-Talk gern wieder behauptet, die Branche treffe „Regelungen im Hinterzimmer“.

Das letzte Treffen, das eigentlich für Mittwoch vorgesehen war, fiel allerdings kurzfristig aus, „wegen unvorhersehbarer Verpflichtungen wesentlicher Sitzungsteilnehmer“, wie es in der Absage hieß. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dienstag steht aber die Forderung nach technischen Umrüstungen wieder deutlich im Raum.

Auswirkungen des Leipziger Urteils

Schließlich hat das Gericht nicht per se Fahrverbote in Städten, in denen die Stickoxidgrenzwerte nicht eingehalten werden, angeordnet. Erst recht sprach es nicht von städteweit pauschal geltenden Fahrverboten.

Es hat vielmehr auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen abgestellt – so dass eine Umrüstung von Fahrzeugen womöglich günstiger ausfallen könnte als der Schaden, der für die fast sechs Millionen Halter von Euro-5-Fahrzeugen entsteht, wenn sie nicht mehr in bestimmte Straßen der Republik fahren dürfen und ihre Autos damit an Wert verlieren.

Es gibt Gutachter wie den renommierten Professor Georg Wachtmeister von der TU München, der die Möglichkeit „theoretisch“ ermittelt hat und die Kosten bei etwas mehr als 2.000 Euro je Fahrzeug sieht. Er spricht in dem Gutachten bei der zusätzlichen Ausstattung mit Reinigungstechnik sei eine „sehr effiziente Maßnahme“. Es gibt den ADAC, der bei einzelnen Fahrzeugen viele Probleme ermittelt hat und doch glaubt, dass es geht für circa 3000 Euro je Fahrzeug.

Müller bleibt in der Frage auch hart. Nach dem ersten Dieselgipfel hatte er klargestellt: „Ich möchte meine Ingenieure gerne zukunftsorientiert arbeiten lassen und nicht rückwärtsgewandt an Motoren, die zehn und 15 Jahre alt sind.“ An diesem Freitag präsentiert er sich als jemand, der für die konsequente Veränderung der Kultur bei Volkswagen steht – und in der Branche. Kretschmann jedenfalls erkennt die Anstrengungen der Branche an. „Es werden jetzt wirklich saubere Diesel produziert.“ Und diese würden in Zukunft auch ordentlich kontrolliert.

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