Maulwurf bei Behörde "Ein klares Versagen des Verfassungsschutzes"

Ein Islamist arbeitet beim Verfassungsschutz und plant sogar einen Anschlag. Wie es passieren konnte, dass er durch die Sicherheitschecks rutschte und wie diese aussehen erklärt ein früherer Mitarbeiter der Behörde.

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In das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich ein Maulwurf eingeschlichen. Quelle: dapd

Der beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aufgeflogene Islamist wollte für eine „Gewalttat gegen Ungläubige“ anderen Islamisten Zugang zur BfV-Zentrale in Köln verschaffen. Außerdem schwebte ihm ein Bombenanschlag auf das Bundesamt vor. Dies sei „sicher im Sinne Allahs“. All das schrieb der 51-jährige Mitarbeiter der Behörde in einem Chat. Dass er überhaupt aufgeflogen ist, ist einem glücklichen Zufall geschuldet. Denn sein vermeintlich gleichgesinnter Chatpartner war ebenfalls für den Verfassungsschutz tätig und meldete die Unterhaltung.

Offenbar war es das erste Mal, dass er plauderte. „Bislang haben sich keine belastbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschuldigte bereits zuvor sicherheitsrelevante Kenntnisse an Personen aus der gewaltbereiten salafistischen Szene weitergegeben hat oder andere strafrechtlich relevante Handlungen vorgenommen hat“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Der Beschuldigte war seit April dieses Jahres für den Verfassungsschutz tätig und als Angehöriger eines Observationsteams damit beauftragt, die gewaltbereite salafistische Szene in Deutschland zu beobachten. Mittlerweile befindet er sich in Untersuchungshaft. Trotzdem: Das BfV steht in der Kritik. Mal wieder. Konstantin von Notz, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sagte etwa, es beunruhige ihn, „dass man auf den Verdächtigen offenbar nur durch Zufall aufmerksam geworden ist.“ Die Bundesregierung sieht die Enttarnung hingegen als einen Beleg für funktionierende Schutzvorkehrungen und verteidigt die Behörde.

Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass ein Islamist Teil der Behörde wird, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung schützen soll, erklärt ein früherer Verfassungsschützer der WirtschaftsWoche, der ungenannt bleiben will: „Alle Sicherheitsbehörden stehen vor der großen Herausforderung, bestimmte Milieus zu verstehen und aufzuklären“, sagt er. Dafür braucht es Menschen, die die entsprechenden Milieus, ihre Denkweise und ihre Sprache verstehen. „Diejenigen, die sich in diesen Milieus auskennen, haben in den meisten Fällen eine größere Nähe zu den entsprechenden Milieus. Die Herausforderung besteht darin, jemanden zu finden, der das richtige Maß von Nähe und Distanz hat.“

Das ist nicht einfach und geht nicht immer gut – trotz ausführlicher Sicherheitsprüfung. „Bei jeder Neueinstellung ist zu befürchten, dass man sich einen Maulwurf ins Haus holt. Im Zweifelsfall geht die Behörde lieber kein Risiko ein und verzichtet“, so der frühere Verfassungsschützer.

In diesem Fall sah die Behörde scheinbar keinen Anlass, auf die Anstellung zu verzichten. Wer wie der Beschuldigte Teil eines Observierungsteams ist und mit Aufgaben betraut, die ein hohes Maß an Geheimhaltung und Vertrauenswürdigkeit erfordern, wird der höchsten Sicherheitsstufe zugeordnet und entsprechend intensiv durchleuchtet. „Solche Mitarbeiter müssen ihre komplette Vita offenlegen“, sagt der Experte. Hinzu kommt ein „ausführliches“ Interview mit einem Sicherheitsbeauftragten des Bundesamts.

Konsequenzen für die Einstellungspraxis

Weiter müssen künftige Mitarbeiter drei Personen aus ihrem Umfeld nennen, die sie lange kennen und die die eigenen Angaben bestätigen können. Zwei Sicherheitsbeauftragte befragen die genannten Personen ausführlich. „Die Verantwortlichen betreiben für die Überprüfung großen Aufwand. Wer einen Nachrichtendienst infiltrieren will, muss eine stichhaltige Legende aufbauen. Das ist ziemlich schwierig, wenn 30 Jahre des eigenen Lebens überprüft werden“, so der Experte.

Hinzu kommt: „Gerade diejenigen, die sich in entsprechenden Milieus aufhalten, sind auf dem Radar der Behörden.“ Rechts- oder Linksextreme etwa, die versuchen, den Nachrichtendienst zu unterwandern, werden schon durch die Nachrichtendienstliche Datenbank des deutschen Inlandsgeheimdienstes (NADIS) ausgesiebt.

Wer sich allerdings erst im Laufe seiner Tätigkeit beim Verfassungsschutz oder anderen Behörden radikalisiert, dem ist schwer beizukommen. In der Regel werden Mitarbeiter alle fünf Jahre routinemäßig überprüft.

Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ soll der Beschuldigte erstmals nach der Verhaftung eines Salafisten-Predigers aus Hildesheim am 8. November aufgefallen sein, weil er islamistische Parolen bei Facebook postete. Das war rund acht Monate, nachdem er seinen Dienst antrat. „Dass es danach keine Konsequenzen gab, ist ein klares Versagen des Verfassungsschutzes“, sagt der frühere Mitarbeiter.

Einsatz gegen Terrorverdächtige: Islamisten-Szene verstärkt im Visier

Zumal ein solcher Innentäter eine große Gefahr darstellt. Dass der Beschuldigte Staatsgeheimnisse weitergeben konnte, bezweifelte der Experte zwar, gibt dafür zu bedenken: „Mitglieder von Observierungsteams wissen, gegen welche Personen wie geartete Maßnahmen laufen, wann Teams wo aktiv sind und wie sie sich verhalten. Das sind alles sehr sensible Informationen.“ Würde jemand observiert, der diese Informationen hat, könnte er falsche Fährten legen und seinen eigentlichen Aktivitäten diskret außerhalb des Rahmens der Observierung nachgehen. „Damit können große Teile einer Behörde lahmgelegt werden.“

Doch die Drohungen des Maulwurfs gingen ja noch weiter. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen betonte, nach aktuellem Erkenntnisstand habe es „keine konkreten Planungen“ zu einem Anschlag gegeben – wie etwa dem Bombenanschlag, von dem der Beschuldigte im Chat schrieb. Möglich wäre so etwas aber durchaus, wenngleich auch unwahrscheinlich. „Die Sicherheitsmaßnahme innerhalb der Behörde sind sehr hoch“, sagt der frühere Mitarbeiter. „Nach einer Weile kennt man aber Schlupflöcher, die es überall gibt.“

Maaßen kündigte an, „diesen Vorgang gründlich“ aufzuarbeiten, „um zu sehen, was wir daraus lernen können.“ Abzuwarten bleibe, ob Konsequenzen für die Einstellungspraxis anderer Behörden gezogen werden müssten.

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