Maut, Raser, Bahn Die fünf größten Baustellen des Andreas Scheuer

Schlecht gelaufen: Verkehrsminister Scheuer kämpft mit mehreren Großprojekten gleichzeitig, Quelle: imago images

Als Maut-Minister wird Andreas Scheuer wohl irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen. Dabei kämpft er noch an ganz anderen Fronten. Ein Überblick.

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Es gibt Dinge, die lassen sich wegen Corona wohl nie ganz aufklären. Zu diesen Was-wäre-wenn-Szenarien gehört zum Beispiel die Frage, wie knapp Verkehrsminister Andreas Scheuer einer Abberufung aus dem Kabinett entgangen ist. Anfang März, so ist selbst von Verkehrspolitikern der Union zu hören, sei es richtig eng geworden. CSU-Chef Markus Söder hatte bereits Anfang des Jahres eine Kabinettsumbildung ins Spiel gebracht. Nicht wenige schlossen daraus, er habe insbesondere seinen Parteifreund Scheuer öffentlich angezählt.

Dann aber kam Corona, der Minister sicherte die Versorgung der Republik, holte Masken nach Bayern – und keiner sprach mehr von Rücktritt. Allein: die Schonzeit währte nur kurz. Auch in der neuen Normalität der Pandemie klingen Schlagzeilen über den Verkehrsminister seit einigen Wochen wieder wie zuvor: Der Druck auf Andreas Scheuer wächst. Neue belastende Unterlagen im Maut-Untersuchungsausschuss aufgetaucht. Oder: Warum ist Scheuer noch im Amt?

Es geht bei der Kritik nicht immer nur um die gescheiterte Pkw-Maut. Ein Verkehrs- und Infrastrukturminister muss sich qua Jobbeschreibung um viele Baustellen kümmern. Doch bei Scheuer kann man schnell den Überblick verlieren, welche gerade die größte Aufmerksamkeit verlangt. Zeit für einen Überblick – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Das Desaster: Täglich grüßt die Maut

Es wäre wohl einiges anderes gekommen für Scheuer, hätte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juni 2019 nicht das CSU-Herzensprojekt Ausländer-Maut gekippt. Journalisten hätten vielleicht weiter über sein ehrliches Interesse an Verkehrspolitik berichtet und über ein bisschen Aufklärungswillen im Diesel-Skandal. Die Opposition wäre zwar nicht weniger kritisch gewesen – aber ohne diesen Dauerdruck und Jagdinstinkt, den ein Untersuchungsausschuss auslöst.

Dass es anders kam, daran hat Scheuer selbst seinen Anteil. Die Befragungen des Untersuchungsausschusses zeigen, dass es nicht nur problematisch war, das EuGH-Urteil nicht abzuwarten – sondern bereits bei den Verhandlungen mit den Betreiberfirmen einiges schief lief. Die Opposition und auch der Bundesrechnungshof sind inzwischen überzeugt, dass Scheuer und sein Ministerium Haushalts- und Vergaberecht gebrochen haben.

Den Steuerzahlern droht ein Schaden in hoher dreistelliger Millionenhöhe. Im Oktober soll sich Scheuer zum ersten Mal im Untersuchungsausschuss zu den Vorwürfen äußern.

Die Posse: Revision für Raser

Eigentlich gab es viel Lob für die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO). Vor allem Radfahr-Verbände jubelten über größere Abstandsregeln für überholende Autos und neue Fahrradzonen. Dann aber schrieben die Länder im Bundesrat noch einige höhere Strafen für Raser hinein. Scheuer passte das nicht. Er ließ die Novelle zwar durchgehen, kündigte aber wenig später Nachverhandlungen an. Die meisten Bundesländer wiederum zeigten sich daran nicht interessiert.

Dann aber fiel dem ADAC ein Formfehler in der Eingangsformel der neuen StVO auf. Die Regeln wurden daraufhin bundesweit außer Kraft gesetzt. Wenn man so will, nutzt Scheuer jetzt einen Fehler seines Ministeriums, um die Rücknahme der Raserstrafen durchzudrücken. Eine Einigung ist nicht vor Herbst zu erwarten. Die ersten Länder geben inzwischen Führerscheine wieder zurück, die bei Verstößen bereits nach den Regeln der neuen StVO einbehalten wurden.

CSU-Chef Söder nannte die Novelle „schlecht gelaufen“ und forderte Aufklärung: „Das ist sehr, sehr ärgerlich, und es muss auch aufgearbeitet werden. Ich finde, der Andi Scheuer hat jetzt die Möglichkeit, das aufzuklären“, sagte Bayerns Ministerpräsident im ZDF-„Sommerinterview“.

Die Mammutaufgabe: Die Klimakrise wartet nicht

Auf der Prioritätenliste eines Verkehrsministers im Jahr 2020 sollte die Klimakrise mit großem Abstand an der Spitze stehen. Denn kein anderer Politikbereich ist so stark gefragt, endlich zu liefern – sollte Deutschland seine Klimaziele irgendwann einhalten wollen. Bis 2030 müssten dazu die CO2-Emissionen im Verkehr um 40 Prozent zurückgehen. Zuletzt lag der Ausstoß bei etwa 170 Millionen Tonnen pro Jahr.

Damit das gelingt, lässt sich Scheuer von den Experten, Umwelt- und Industrielobbyisten der Nationalen Plattform Mobilität (NPM) beraten – mal mehr, mal weniger. Als einige NPM-Mitglieder etwa ein Tempolimit auf eine Ideenliste setzten, pfiff das Verkehrsministerium seine Berater in aller Öffentlichkeit zurück. Die Vorschläge der NPM, die die Bundesregierung schließlich in ihr Klimapaket aufgenommen hat, werden nach jetzigem Stand nicht ausreichen, die Ziele zu erreichen.

Scheuer mag keine Verbote, das Ordnungsrecht tastet er nicht gerne an. Untätig ist er aber dennoch nicht. Ein Förderprogramm nach dem anderen schickt er zur Genehmigung nach Brüssel. Milliardensummen aus dem Staatshaushalt sollen so den Weg ebnen für E-Autos und Wasserstoff-Lkw, für eine „Zukunft der Mobilität, die Spaß macht“, wie Scheuer gerne sagt.

Der Behördenausbau: Infrastruktur nach Plan

Von seinem Vorgänger Alexander Dobrindt (auch CSU) hat Scheuer ein gebrochenes Versprechen geerbt. Bis 2018 wollte Dobrindt die letzten Funklöcher in Deutschland schließen – ohne Erfolg. Jetzt muss es Scheuer richten und gründet dafür extra eine neue Behörde: die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, kurz MIG. Mit mehr als 90 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Budget pro Jahr ausgestattet, soll sie Fördermilliarden verteilen und Kommunen unterstützen, die „weißen Flecken“ zu schließen. Die SPD hat ihren Widerstand gegen die MIG zwar aufgegeben, befürchtet aber eine neue Mega-Behörde, die kommt, um für immer zu bleiben. Und die Opposition kritisiert: alles überflüssig und viel zu teuer. Mobilfunkausbau in wenig besiedelten Gebieten müsse auch effizienter gehen.

So wie zum Beispiel beim Breitbandausbau. Da funktioniert der flächendeckende Ausbau auch ohne extra gegründete Behörde ganz ordentlich. Dass mittlerweile in vielen ländlichen Regionen Glasfaserleitungen verlegt werden, ist auch Scheuers Verdienst. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit ließ er die entsprechende Förderrichtlinie vereinfachen, was Kreisen und Kommunen Bürokratie und unnötigen Zeitaufwand erspart. Dennoch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich weiter hinterher. Die Coronarezession könnte aber dafür sorgen, dass sich die Auftragslage in der Baubranche entspannt – und staatlich geförderte Projekte dann schneller vorankommen.

Mit einer anderen Behördenreform ist Scheuer bei der Mutter aller Infrastrukturthemen konfrontiert: beim Fernstraßennetz. Eine neue Autobahn-GmbH des Bundes soll ab 2021 von den Ländern die Verantwortung für Planung, Bau, Finanzierung und Verwaltung deutscher Autobahnen übernehmen. Wie häufig im Verkehrsministerium wird diese Reform von externen Beratern begleitet, was vor allem hohe Kosten und zusätzliche Kritik verursacht. Ob die Autobahn GmbH ab Januar wirklich schon all jene Aufgaben übernehmen kann, die ihr zugedacht sind? Eher unwahrscheinlich.

Die Altlasten: Ist die Bahn noch zu retten?

Und falls all diese Baustellen noch nicht leidig genug klangen, nun, dann wäre da zum Abschluss noch die Deutsche Bahn. Die Coronapandemie hat den Staatskonzern noch tiefer in die Krise gedrückt: in Sparzwänge bei zugleich ambitionierten Passagierzielen. 5,5 Milliarden Euro will die Bahn bis 2024 sparen, so hat sie es der Bundesregierung zugesagt. Die will im Gegenzug den gleichen Betrag an frischem Kapital bereitstellen. Mit den insgesamt elf Milliarden Euro will Scheuer den Corona-bedingten Einbruch ausgleichen.

Eine erfolgreiche Bahn ist wichtig, wenn der Klimaschutz gelingen soll. Bis 2030 will das Unternehmen das Passagieraufkommen verdoppeln, hat daher gerade 30 neue ICE-Züge bestellt. Der Umstieg von der Straße auf die Schiene muss jedoch auch und insbesondere im Güterverkehr gelingen. Da aber sieht es düster aus. Die Bahn-Tochter DB Cargo ist vielleicht der größte Problemfall von allen. Und auch im Verkehrsministerium selbst läuft in dieser Hinsicht nicht alles nach Plan. Beachtliche Fördertöpfe für Unternehmen, einen eigenen Gleisanschluss zu reaktivieren oder neu zu bauen, werden kaum nachgefragt. Das viel zitierte „Comeback der Schiene“ hat Scheuer bislang bestenfalls angestoßen.

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