Meerestechnik Rostock und der Schatz im Meer

Quelle: imago-images, PR

In Rostock entsteht ein „Ocean Technology Campus“ samt Unterwasserlabor. Ein Institut wie viele? Nein. Forscher, Unternehmen und Start-ups schaffen hier gemeinsam eine ganz neue Branche. Teil 16 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

Die Zukunft liegt 15 Meter unter der Wasseroberfläche: Auf dem Grund der Ostsee, acht Kilometer westlich von Warnemünde, entsteht ein modernes Unterwasserlabor; dort sollen autonome Roboter und U-Boote zu Testfahrten aufbrechen, könnten neue Gezeitenkraftwerke ausprobiert werden, wird Platz sein für moderne Formen der Aquakultur. 

Bereits vor knapp zwei Jahrzehnten ist hier das künstliche Riff Nienhagen aufgeschüttet, worden. Genutzt wurde das Areal bisher vor allem für die Fischereiforschung. Nun soll die Fläche zum Digital Ocean Lab ausgebaut werden, für Wissenschaftler und Unternehmen. Das Ziel: bis zu 300 Hektar Topforschung inmitten der Wellen.

„Viele Fragen, die unsere Gesellschaft bewegen, können wir nur beantworten, wenn wir stärker Richtung Meer blicken“, sagt Uwe Freiherr von Lukas. Der Informatiker leitet den Rostocker Standort des Fraunhofer Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD), koordiniert die Fraunhofer-Gesellschaft für Unterwasserforschung und lehrt als Professor an der Universität Rostock. Von Lukas ist gewissermaßen Expeditionsleiter eines ambitionierten Vorhabens: In den kommenden Jahren soll Rostock zum Zentrum für Meerestechnik werden und dem Standort ein maritimes Alleinstellungsmerkmal verleihen.

Herzstück dieser Entwicklung ist ein Areal mit viel Platz für Forschung und Firmen, mit gemeinsam genutzten Labors, direktem Zugang zum Wasser – und einem Kontrollraum, mit dem sich das Geschehen ein paar Kilometer draußen unter dem Meer überwachen und steuern lässt. Dafür wird der alte Fischereihafen in der Hansestadt zum Ocean Technology Campus umgerüstet. Es ist ein ambitioniertes Projekt, denn Rostock setzt mit dem Unterfangen auf eine Branche, die gerade erst beginnt, sich zu entfalten - ja, vielleicht durch das Vorhaben überhaupt erst richtig zu einer wird.

Zwar sind die Offshore-Energiegewinnung und die Container-Schifffahrt bereits heute stetig wachsende Sektoren. Das Potenzial, seltene Erden unter Wasser abzubauen und medizinische Wirkstoffe aus Algen zu gewinnen, steht dagegen noch am Anfang. Direkt oder indirekt hängen an der Meerestechnik 180.000 Arbeitsplätze, schätzt das Bundeswirtschaftsministerium, sorgt die Branche für mehr als 34 Milliarden Euro Umsatz – Tendenz steigend.

„Wir wollen ein Stück von dem Kuchen nach Rostock holen“, sagt von Lukas. Damit solle auch Deutschland im internationalen Wettbewerb in eine gute Position gebracht werden. In Norwegen und Kanada beispielsweise sind ähnliche Zentren bereits entstanden.

Die Startbedingungen in Mecklenburg-Vorpommern sind dabei gut. Schon lange lebt die Region von der Nähe zum Meer. Fischerei und Schiffbau haben eine lange Tradition. Doch die Werften stecken in der Krise – und so sucht man dort nach neuen Wegen, das Meer zu nutzen. An der Rostocker Universität gibt es außerdem Fakultäten für Schiffbau, Meerestechnik und Meeresbiologie. Die Windparks in der Ostsee haben in den vergangenen Jahren neues Wachstum gebracht. Dennoch sei Rostock als Standort für den Ocean Technology Campus nicht ohne Wettbewerb ausgewählt worden, sagt Projektkoordinator von Lukas, sondern habe sich gegen Kiel und Bremen durchgesetzt.

Fischen nach Fördergeldern

Ein neues Cluster zu etablieren erfordert natürlich Geld. Millionen, die weder das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern noch die regionale Wirtschaft ohne Weiteres investieren können. Also suchten die Verantwortlichen nach weiteren Quellen: Im Februar setzte sich der Campus als eines von sechs Projekten beim Förderprogramm Clusters4Future der Bundesregierung durch. Das bringt der Initiative 15 Millionen Euro für die kommenden Jahre. Auch an einem Förderprogramm rund um die staatliche Cloud-Initiative Gaia-X ist Rostock beteiligt – dabei geht es um die intelligente Vernetzung von Geo- und Objekt-Daten auf dem Meer.

„Am Anfang stand nur die Idee – da war es schwierig, Leute zu begeistern“, erinnert sich Volker Seibert an die Anfänge. Seibert ist Inhaber des Unternehmens ISC Training & Assembly, der Dienstleister schult Menschen, die auf hoher See eingesetzt werden, und entwirft Sicherheitskonzepte für Windparks. „Als Rostocker Unternehmen haben wir ein großes Interesse daran, den Standort weiterzuentwickeln“, sagt Seibert. Deshalb mache er auch mit.

Noch ist der Zusammenschluss klein. Knapp 30 Akteure zählt das Netzwerk bislang, schätzen die Verantwortlichen. Mittlerweile ist allerdings das erste Gebäude des Campus fertiggestellt, das sogenannte Basecamp. Damit wird das Projekt in der Stadt und in der Branche sichtbar. Nun meldeten sich fast täglich Unternehmen, die dazukommen wollten, berichtet Seibert. Das Fraunhofer-Institut plant in den kommenden zwei bis drei Jahren einen eigenen Neubau auf dem Areal. Angrenzend könnte außerdem die Stadt ein zusätzliches Technologiezentrum schaffen. Das Zentrum werde Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, jubelte Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen im Februar.

Nun will die städtische Wirtschaftsförderung auch etablierte und junge Unternehmen an den Campus andocken. In unmittelbarer Nachbarschaft arbeitet bereits das Start-up Framework Robotics. Die Gründer kennen sich vom Studium an der Uni Rostock und entwickeln ein modulares System für Unterwasserroboter, dessen Struktur im 3D-Drucker entsteht. „Nicht jeder braucht eigene Laboratorien, daher sind die kurzen Wege ein riesiger Vorteil für uns“, sagt Mitgründer Nico Günzel.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

#btw2021


Im Moment besteht sein Team aus fünf Leuten. Nachdem der regionale und mit Landesmitteln finanzierte Wagniskapitalgeber Genius Venture Capital sich an dem Start-up beteiligt hat, will das junge Unternehmen wachsen – und sucht Mitarbeiter. „Wir gucken uns auch nach Maschinenbauern und Elektrotechnikern um“, sagt Günzel. Zur Meerestechnik gehörten alle möglichen Kompetenzen.

Hoffen auf den Netzwerkeffekt

Die Beteiligten hoffen dabei auf einen Netzwerkeffekt, der sich mit jeder Ansiedelung verstärkt. Genug helle Köpfe an den Standort zu locken falle deutlich leichter, „wenn es neben der wissenschaftlichen auch eine wirtschaftliche Strahlkraft gibt“, sagt Koordinator von Lukas. In Zukunft wollen sie daher Reedereien und Konzerne für den Campus gewinnen. Auch Unternehmen aus anderen Branchen, die sich in der Meerestechnik ausprobieren wollen, könnten profitieren – von Lukas denkt zum Beispiel an Autozulieferer, die Alternativen zum Verbrenner suchen.

Da Visionen schneller als Bauverfahren sind, blicken Beteiligte bereits auf die Ausbaupläne. „Es wäre hilfreich, wenn zeitig mehr Flächen zur Verfügung stehen würden“, sagt etwa Gründer Günzel. Der Aufschwung, den der Campus für Stadt und Branche bewirken kann, soll nicht auf den ersten Metern stecken bleiben. Was die passende Infrastruktur angeht, denkt beispielsweise Unternehmer Seibert auch an Hotels, Gastronomie, Kindergärten und an Ärzte, die Englisch sprechen: „Auch eine alleinerziehende Studentin aus Norwegen soll hier alles vorfinden, was sie braucht.“

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