Mehr Demokratie wagen Wir brauchen das Mehrheitswahlrecht

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Mehrheitswahlrecht gegen Parteienallmacht?

So hat das deutsche Wahlsystem zwei Nachteile:

- Da kleinere Parteien nur über Listen Abgeordnete ins Parlament bekommen, wird praktisch auf Parteitagen über die Wahlchancen von Kandidaten entschieden. Diese Listenkandidaten müssen also nur dafür sorgen, einen guten Platz auf der Landesliste zu bekommen, um mit einiger Sicherheit ins Parlament einzuziehen. Der Wähler entscheidet nicht über Personen, sondern über Listen. Dass, wie im Grundgesetz gefordert, auch diese Listenabgeordneten Vertreter des gesamten deutschen Volkes sind und daher dem gesamtstaatlichen Interesse dienen müssen, ist ein illusorisches Postulat. Die Nominierungsmodalitäten derartiger Listenheinis sind   bekannt.  Sie kommen darin zum Ausdruck, dass es heißt: „Herr oder Frau X sitzt für die SPD/CDU/CSU im Bundestag.“
- Das Mehrheitswahlrecht für die direkt gewählten Kandidaten sieht nicht vor, dass ein Mindestquorum erreicht werden muss. Man kann auch mit 25 Prozent der Stimmen im jeweiligen Wahlkreis in den Bundestag kommen, obschon die nächststärkeren Kandidaten 23 und 24 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten.

Dies alles gilt es im Interesse einer Demokratie des offenen Wettbewerbs zu ändern. Und zwar durch ein Mehrheitswahlrecht, das in zwei Gängen nur solche Kandidaten in die Parlamente schickt, die in der Stichwahl mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen können. So werden Persönlichkeit und Unabhängigkeit honoriert und die Nominierungsmacht der Parteien relativiert.

Das Kabinett im WiWo-Check
Angela Merkel Quelle: dpa
Helge Braun Quelle: dpa
Olaf Scholz Quelle: dpa
Peter Altmaier Quelle: dpa
Heiko Maas Quelle: dpa
Ursula von der Leyen Quelle: dpa
Hubertus Heil Quelle: dpa

Demokratie verlangt Partizipation der Bürger an der Staatsmacht. Dies gelingt nur, wenn die Bürger bei Abgabe ihrer Stimme darüber bestimmen können, wer die Mehrheit im Bundestag stellt und somit regieren soll. Demokratie bedeutet die Bestimmung der Regierung und nicht die Beauftragung der Parteien – eine Regierung noch dazu unter Missachtung des Wählerwillens – auszuhandeln.  Dies lässt sich nur mit dem Mehrheitswahlrecht erreichen, weil es die Unabhängigkeit der Abgeordneten schützt, die adverse Selektion von Kandidaten durch Parteigremien verhindert und damit dem Bundestag seine eigentlich souveräne Funktion als Kontrollorgan der Regierung zurückgibt. Denn ein Bundestag, der nur als Akklamationsorgan für die Regierung dient, aber (obschon höchstes deutsches Entscheidungsorgan) keine eigenständigen Interessen artikuliert, ist sicherlich nicht im Sinne seiner Schöpfer. Mehr noch:  Es wäre sogar des Nachdenkens darüber wert, ob – ähnlich wie beim US-amerikanischen Kongress – das Parlament eine Größe sui generis wird. Also eine Gegenmacht zur Regierung darstellt, die erst dann wirklich eine Bürgermacht wird, wenn sie sich nicht darauf reduziert, allein den Bundeskanzler zu wählen und die Regierung durch bedingungslose Gefolgschaft zu stützen.

In einem aus direkt gewählten Abgeordneten bestehenden Bundestag hätten die Fraktionsführungen – allesamt Parteihanseln – nicht länger das entscheidende Sagen. Der Bundestag wäre endlich das große nationale Forum politischer Diskussion, der natürliche Gegenspieler zu jedweder Regierung und der geborene Mittler von Bürgermacht und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Abgeordneten.

Dass es heute nur wenige Abgeordnete gibt, die den Anforderungen des freien, nur dem gesamten deutschen Volk verpflichteten Mandats genügen, ist das zweifelhafte Verdienst der Parteien und das Ergebnis des Verhältniswahlrechts. Hätten wir ein Mehrheitswahlrecht, würden Charakter und Kompetenz, Persönlichkeit und Zivilcourage prämiert. Aber um dies zu erlangen, müssen wir uns die Freiheit nehmen, das Parteienprivileg über Bord zu werfen.  Dazu wird man die Kontroverse nicht scheuen dürfen. Denn die Parteien sind allesamt der Meinung, ihnen gehöre der Staat. Aber angesichts der Gefahrenlage für die Demokratie wird das deutsche Volk – demokratisch gereift und selbstbestimmt-  gewiss den Mut aufbringen, von seiner Freiheit als Verfassungsgeber Gebrauch zu machen.

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