Mehr Tempo bei der Energiewende Das erwartet der BDI-Chef von Robert Habeck

BDI-Chef Siegfried Russwurm spricht über den Aufgabenkatalog des grünen Wirtschaftsministers. Quelle: dpa

Lob für das Krisenmanagement einerseits, Forderungen zum Schutz der industriellen Basis andererseits: Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie, über den Aufgabenkatalog des grünen Wirtschaftsministers.

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Am Freitagmorgen war es so weit: Robert Habeck verkündete die ersten Kapitel seiner Unabhängigkeitserklärung. Der Wirtschaftsminister stellte den jüngsten Fortschrittsbericht zur Energiesicherheit vor, vier Seiten voller Maßnahmen, um von Kohle, Öl und Gas Abschied zu nehmen, besonders von russischem. Und zwar so schnell wie möglich. 

Habecks Woche endete, wie sie mit der Reise nach Katar am Samstag davor begonnen hatte: voller akutem politischen Krisenmanagement. „Deutschland ist dabei, seine Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo zu verringern und die Energieversorgung auf eine breitere Basis zu stellen“, heißt es im Fortschrittsbericht.

Tempo, in der Tat: Der grüne Wirtschaftsminister, der sein Amt vor allem als oberster Klimaschützer der Regierung angetreten hatte, agiert in diesen Tagen so pragmatisch und realpolitisch, wie er es sich wohl selbst noch vor wenigen Wochen nicht hätte träumen lassen. Die energiepolitische Zeitenwende nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine beschleunigt die deutsche Energiewende immens – und sie wirft vieles der bisherigen Pläne über den Haufen. 

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Auch mit der deutschen Industrie steht Habeck in engem Austausch. Viele Wirtschaftsbosse loben die unerwartete Zugänglichkeit des Grünen; er höre zu, frage nach, schicke SMS, wenn er etwas wissen wolle. Auf seiner Golfreise vergangenes Wochenende begleitete ihn eine hochrangige Wirtschaftsdelegation. Manager wie RWE-Chef Markus Krebber helfen nun wiederum mit ihren Firmen, damit Habeck für die deutsche Gasversorgung zeitnah schwimmende LNG-Terminals nutzen kann. Zeitnah, das bedeutet: womöglich schon im Winter 2022/2023.

Einiges Gutes sieht auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) an der Krisenreaktionspolitik. „Zentral ist eine gesicherte und bezahlbare Energieversorgung – auch und gerade jetzt, in Zeiten des Krieges in Europa. Bei ausbleibenden Energielieferungen drohen Produktionsstopps mit unübersehbaren Folgen für Lieferketten, Beschäftigung und auch die politische Handlungsfähigkeit unseres Landes“, sagt BDI-Chef Siegfried Russwurm der WirtschaftsWoche. Die Stärke Deutschlands beruhe auf seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – die dürfe keinesfalls gefährdet werden. „Nach meinem Eindruck hat die Regierung dies erkannt und bemüht sich um eine möglichst rasche, stärkere Diversifizierung der Lieferwege.“ Die Reisen von Habeck „leisten dazu einen wichtigen Beitrag“.

Doch es gibt aus Sicht des wichtigsten deutschen Wirtschaftsverbandes auch noch einiges zu tun. „Die Unternehmen müssen bei den Energiepreisen dringend entlastet werden“, fordert Russwurm. Erste Unternehmen stellten aufgrund der sehr stark gestiegenen Preise bereits ihre Produktion ein. Wie genau? „Zur Entlastung sollte die Regierung die Strom- und Energiesteuer rasch absenken und die Netzentgelte für alle Verbraucher reduzieren“, sagt Russwurm. „Daneben sollten alle Möglichkeiten des EU-Rechts genutzt werden, um einzelne Unternehmen, deren Existenz von den hohen Energiepreisen akut bedroht sind, zu unterstützen – so wie andere Länder das auch tun.“ 

Der Staat als Retter und Helfer in der Not – der BDI fordert genau das. Habeck wird sich dem im Rahmen des Möglichen und Finanzierbaren sicher nicht verschließen. Sein Haus arbeitet bereits an weiteren Rettungsinstrumenten und bereitet so genannte Klimaschutzverträge als zentrales Subventionierungsinstrument für die Transformation der deutschen Wirtschaft vor.

Zuvor aber kommt noch das Osterpaket, mit dem Habeck den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben und die träge deutsche Genehmigungsbürokratie flott machen will. Anfang April soll es durchs Bundeskabinett. Keinen Moment zu spät, meint BDI-Chef Russwurm: Ein „gewaltiger Genehmigungsmarathon für Infrastruktur- und Industrieprojekte“ sei nötig, um die Transformation hinzubekommen, sagt er. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss sehr viel schneller vorangehen, dafür müssen die Planungs- und Genehmigungszeiten stark verkürzt werden.“



Gleichzeitig müssten Kapazitäten für eine sichere Energieversorgung vorgehalten werden – für den Fall, wenn die Sonne nicht scheine und der Wind nicht wehe. Das zielt auf die jüngsten Regierungspläne ab, mehr Kohlekraftwerke als ursprünglich geplant in einer Sicherheitsreserve zu belassen. Die Regierung müsse „jetzt unterschiedliche Maßnahmen rasch angehen – das Zieljahr 2030 ist aus Investorensicht bereits übermorgen“.

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