„Mein Kampf“ in Schulen Hitler statt Schiller?

Hitlers „Mein Kampf“ kommt auf den Markt. SPD und Lehrerverband wollen Schulen mit der wissenschaftlich kommentierte Ausgabe ausstatten. Was ein 16-jähriger Oberstufenschüler dazu sagt.

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Im Januar erscheint eine kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“. Womöglich müssen sich bald auch Schüler im Unterricht mit der Hetzschrift auseinandersetzen. Quelle: AFP

Köln „Mein Kampf“ von Adolf Hitler ist das wohl umstrittenste Buch der deutschen Geschichte. Jahrelang hat Bayern versucht, Hitlers NS-Kampfschrift zu unterdrücken – mit mäßigem Erfolg. Das Land hält die Rechte an dem Buch und verweigerte bisher jede Neuauflage.

Doch in den Weiten des World Wide Web ist es schnell auffindbar, für 600 Euro beispielsweise auch bei einem Antiquitätenhändler. Diesen Umweg muss man bald nicht mehr gehen. Denn Anfang 2016 erlischt das Urheberrecht.

Das Institut für Zeitgeschichte München bringt zu diesem Anlass eine wissenschaftlich kommentierte Fassung des Buches auf den Markt. Viele Erklärungen und Kommentare sollen die Propaganda und das schreckliche Gedankengut entlarven.

SPD und Lehrerverband fordern nun, eben diese Fassung verbindlich im Schulunterricht behandeln zu lassen. 2000 Seiten stark ist diese Ausgabe, enthält Passagen der Originalvorlage und einordnende Kommentare des Autorenteams. Doch stellt sich mir die Frage, ob „Mein Kampf“ eine Berechtigung im Schulunterricht hat. Ist Hitlers Werk literarisch hochwertig genug, es im Deutschunterricht ausführlich zu behandeln, es gar in einer Klausur analysieren zu lassen?

In den Deutschunterricht gehört das Buch schon gar nicht. Hitler würde in einer Reihe stehen mit bekannten Autoren der deutschen Literaturgeschichte. Literarisch, stilistisch und grammatikalisch ist Hitlers Hetzschrift eine einzige Müllhalde. Sich in Zeiten von G8 so zeitintensiv mit „Mein Kampf“ als literarisches Werk zu befassen wäre ein Schlag ins Gesicht für Autoren wie Lessing, Goethe oder Schiller, die Hitler weichen müssten.

Die Auseinandersetzung mit der Historie des eigenen Landes, auch mit den schrecklichen Seiten, muss im Geschichtsunterricht stattfinden. Diese Lehrer sind besonders sensibilisiert für die Thematik um das Dritte Reich und wissen damit umzugehen.


Rassenhetze, Menschenverachtung und Grausamkeit

Doch auch hier stellt sich mir die Frage nach der praktischen Umsetzung. Zwei Stunden Geschichtsunterricht in der Woche reichen nicht aus, um sich angemessen mit einem so furchtbaren Buch auseinanderzusetzen. Lediglich im fünfstündig unterrichteten Leistungskurs wäre es Lehrern möglich, die Aussagen einzuordnen und in den richtigen Kontext zu stellen.

„'Mein Kampf' ist ein schreckliches und monströses Buch. Diese antisemitische, menschenverachtende Kampfschrift historisch zu entlarven und den Propagandamechanismus zu erklären, gehört in einen modernen Schulunterricht von dafür qualifizierten Lehrkräften“, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ernst Dieter Rossmann dem Handelsblatt.

Rossmann, die gesamte SPD und der Lehrerverband müssen sich aber die Frage stellen, inwieweit es für Schülerinnen und Schüler einen deutlich höheren Mehrwert bietet, die Gesamtausgabe oder große Teile des Buchs zu lesen. Schließlich finden sich schon heute einzelne Passagen abgedruckt in Geschichtsbüchern wieder.

Um sich mit dem Buch kritisch auseinanderzusetzen, sollte es ausreichen, die Schlüsselszenen zu lesen. Ansonsten müsste ich mich durch hunderte Seiten Rassenhetze, Menschenverachtung und absolute Grausamkeit eines schrecklichen Diktators quälen. Ob mich das in meinem geschichtlichen Bewusstsein ernsthaft weiterbringt, wage ich zu bezweifeln.

Offene Fragen bleiben, deren Antworten uns die Politiker noch schuldig sind. Ob Hitlers Werk so ausführlich im Schulunterricht behandelt werden soll, muss öffentlich diskutiert und darf nicht in Hinterzimmern entschieden werden. Hitler als Schullektüre – dazu ist mir meine Zeit zu kostbar.

Unser Autor ist Redakteur bei Orange by Handelsblatt. Orange erklärt Wirtschaft und Nachrichten aus aller Welt für junge Menschen, beleuchtet Hintergründe, zeigt Zusammenhänge auf. Jeden Morgen frisch serviert von einem genauso jungen Redaktionsteam, editiert von erfahrenen Handelsblatt-Redakteuren. Orange ist auf allen Social-Media-Kanälen zu finden. Wirtschaftlichen Sachverstand gibt es seit vielen Jahren auch bei handelsblattmachtschule.de – ein Angebot speziell für Lehrer und den Unterricht.

Hitlers NS-Kampfschrift im Schulunterricht – eine Frage mit Konfliktpotenzial. Welcher Meinung sind Sie? Schreiben Sie mir eine E-Mail an gottschalk@handelsblatt.com oder melden Sie sich via Twitter:

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