
Wer sich für Datenschutz interessiert, kann dazu ein Stückchen Parlamentarismus nachlesen, das nie stattgefunden hat. Am 28. Juni, dem Abend des EM-Habfinals Deutschland-Italien beriet der Bundestag kurz vor 21 Uhr über ein neues Meldegesetz. Besser gesagt: Er simulierte Beratung. Die Reden dazu sind nie gehalten worden, es gibt auch keine Phoenix-Aufzeichnungen davon. Dennoch kann man sie studieren, die Wortmeldungen wurden einfach zu Protokoll gegeben, zu finden sind sie hier: Protokoll der Beratung. Wer die virtuelle Debatte nachliest, wird feststellen: All die Aufregung, die nun um das neue Meldegesetz wabert, kommt zurecht. Und: Die Schwächen des Entwurfs waren bekannt, sie sind in den Beiträgen der Opposition gut dokumentiert.





Es ist kritikwürdig, dass der Bundestag ein solches Thema überhaupt erst so spät auf die Tagesordnung setzt und sich gleich die öffentliche Aussprache spart - noch dazu, während sich die Nationen gerade den Kick gibt. Gleichzeitig sollte die Empörung über das Verfahren ehrlich bleiben. Das Protokollverfahren ist (leider) üblich. Und: Ob Fußball oder nicht – die mediale und sonstige Beachtung parlamentarischer Debatten ist auch zu Kernzeiten meist derart mäßig, das altgediente Abgeordnete das Plenum im verschnatterten Berlin schon mal als „exklusivsten Ort der Republik“ bespötteln. Es ist schlicht Quatsch zu behaupten, dass die Aufmerksamkeit ohne EM größer gewesen wäre.
Die EM-Empörung verdeckt das Wesentliche: Skandalträchtig und fragwürdig ist, dass das neue Meldegesetz durch bewusste parlamentarische Hauruck-Arbeit in sein Gegenteil verkehrt wurde: von einem Datenaufbewahrungs- zu einem Datenverteilgesetz. Das ist kein Zufall oder ein Versehen, sondern Absicht. Und es dokumentiert die mangelnde Sensibilität gegenüber unser aller Daten.
Im Eilverfahren wurde der ursprüngliche Regierungsentwurf einen Tag vor der abschließenden Abstimmung im Bundestag am Donnerstag schlicht umgedreht. Im Innenausschuss präsentierten die Regierungsfraktionen noch am Mittwoch flugs einen Änderungsantrag. Aus einer Zustimmungsregel, bei der die Bürger jede Weitergabe ihrer Daten ausdrücklich hätten steuern und verhindern können, wurde plötzlich eine Widerspruchsregel, bei der sie sich erst ausdrücklich jeder Weitergabe entgegenstellen müssen. Wer die informationelle Selbstbestimmung nur ein bisschen ernst nimmt, hätte ersteres wollen müssen.
Schwarz-Gelb wollte es offenbar anders. Wurde die Brisanz wirklich nicht erkannt? Oder haben sich die Regierungsfraktionen absichtlich zu Handlangern der Adress-, Inkasso- und Werbewirtschaft gemacht? Warum wurden die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten vor der Abstimmung nicht beachtet? Und am Ende: Warum diese eigenartige Eile?
Der Abend des 28. Juni war kein Feiertag für den deutschen Fußball. Für den Parlamentarismus erst recht nicht.