Merkel auf dem CDU-Parteitag Frei von Überraschungen

In einer emotionalen Rede versichert Merkel, dass sie ihrem Land weiter dienen will. Doch was genau die Kanzlerin vor hat, bleibt offen. Will sie sich nicht von den Bürgern entfremden, muss Merkel liefern. Ein Kommentar.

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German Chancellor Angela Merkel gestures after addressing delegates during her conservative Christian Democratic Union (CDU) party's congress in Essen, western Germany, on December 6, 2016. German Chancellor Angela Merkel launches into campaign mode for elections taking place in 2017. / AFP PHOTO / TOBIAS SCHWARZ Quelle: AFP

Essen Die Kanzlerin braucht eine gute halbe Stunde bis sie den Delegierten auf dem CDU-Bundesparleiteitag aus den Herzen spricht. In der Bewerbungsrede der CDU-Vorsitzenden für ihre vierte Kanzlerkandidatur geht es zunächst viel um Digitalisierung, die Krise in Syrien, Steuerpolitik, einen ausgeglichen Haushalt. Angela Merkel springt im Minutenrhythmus von Thema zu Thema. Die CDU-Funktionäre spenden dabei nur lediglich dünnen Applaus. Die Rede ist frei von Überraschungen.

Lediglich beim Thema innere Sicherheit liefert Merkel dann das, was die Basis erwartet. Merkel spricht sich für ein Verbot der Vollverschleierung aus, dort wo es rechtlich möglich ist. Das Internet sei keine rechtsfreier Raum, in der jeder Hetze und Hass frei verbreiten können. In der Flüchtlingspolitik versprach Merkel, „eine Situation wie im Sommer 2015 darf sich nicht wiederholen“. Sie pochte auf die schnelle Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.

Doch die Rede zeigt: Die CDU-Vorsitzende, die auf dem Parteitag in Leipzig 2003 die Reformerin gab, ist schon längst Vergangenheit. In Essen klang vieles nach einem Weiter-So. Merkel versicherte in ihrer streckenweise emotionalen Rede: „Ich will Deutschland dienen“.

Eine Aussage der dienstältesten westlichen Regierungschefin, die in den Zeiten von Brexit, dem Krieg in Syrien oder dem Italien-Schock beruhigend wirkt. Doch die bürgerliche Mitte hätte es schon etwas genauer, was Merkel eigentlich mit dem Land bis 2021 noch vorhat. Merkel ist keine, von der man große Visionen für Europa oder gar für Deutschland erwartet. Doch etwas mehr davon dürfte es dann doch sein.

Die Zusicherung, die Steuern nicht zu erhöhen, ist bei den gewaltigen Steuerzahlungen der Bürger eine Selbstverständlichkeit. Steuersenkungen gibt es nur noch in Wahlkämpfen. Danach will keiner mehr etwas davon wissen. Von der Abschaffung des Solidaritätszuschlags dürfen die Bürger einstweilen nur weiter träumen.

Junge Familien würden auch gerne wissen, wie sie sich angesichts der explodierenden Immobilienpreise ein Eigenheim leisten können. Schön wäre auch eine Antwort gewesen, was Merkel gegen den maroden Zustand vieler Schulen unternehmen will. Doch auch dazu hat sie nichts gesagt.

Auch in der Sicherheitspolitik muss Merkel liefern. Bis Ende 2017 werden rund eine halbe Millionen abgelehnter Asylbewerber auf ihre Abschiebung warten. Realistisch ist die Abschiebung mit den jetzigen personellen Mitteln von 80.000 Personen pro Jahr. Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt von Jahr zu Jahr, doch die Polizei wurde jahrelang kaputtgespart. Die personelle und technische Aufrüstung der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Hass im Netz und gegen Cyberangriffe wird Jahre dauern.

Es muss noch viel passieren, damit Angela Merkel und die Bürger, zwei Partner, die ehemals eine innige Liebesbeziehung pflegten, sich nicht weiter entfremden.

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