
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die europäischen Partner erneut eindringlich zu einer gemeinsamen Lösung der Flüchtlingskrise aufgerufen. „Meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit besteht darin, dass dieses Europa einen gemeinsamen Weg findet“, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will. Sie setze ihre gesamte Kraft auf den von ihr eingeschlagenen Weg einer europäischen Lösung sowie einer Bekämpfung der Fluchtursachen vor allem in Syrien. „Das alles mag manchen zu langsam gehen“, sagte die Kanzlerin. Sie glaube aber daran, dass dies der einzige Weg zu einer nachhaltigen Lösung sei.
Zur Grenzschließung in Mazedonien sagte Merkel, die deutsche Verantwortung sei es, die Situation nicht zu Lasten eines Landes, sondern gemeinsam mit den EU-Partnern zu lösen. Sie setze auf die Verhandlungen mit der Türkei bei dem EU-Türkei-Gipfel in einer Woche. Merkel sagte Griechenland weitere Unterstützung zu: „Dieses Land können wir doch jetzt nicht im Stich lassen.“ Man habe das Land doch nicht im Euro gehalten, um es jetzt fallenzulassen.
Persönliche Konsequenzen für den Fall, dass der EU-Türkei-Gipfel am 7. März scheitere, schloss Merkel aus. Sie werde dann an ihrem Lösungsansatz weiterarbeiten, der nächste Gipfel sei schließlich schon am 17. und 18. März. „Ich bin sehr optimistisch, dass uns der europäische Weg gelingt.“ Es sei nicht die Zeit, über Alternativen nachzudenken. Auf die Frage, ob sie einen „Plan B“ mit nationalen Lösungen wie etwa Grenzschließungen habe, sagte Merkel: „Nein, ich habe ihn nicht.“
Angesichts der Flüchtlingsströme quer durch Europa warnte Merkel vor nationalen Alleingängen. „Das ist genau das, wovor ich jetzt Angst habe, wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das ist nicht mein Europa.“ Niemand solle glauben, dass durch einseitige Grenzschließungen die Probleme beseitigt werden könnten. Sie leite dabei der Gedanke, „dass Europa nicht kaputtgeht“.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Die Kanzlerin bat die Bürger um Geduld für ihren internationalen Ansatz. Europa zusammenzuhalten und Humanität zu zeigen sei ihre Priorität. Es gehe auch um Deutschlands Ansehen in der Welt. „Das ist eine ganz wichtige Phase unserer Geschichte.“
Merkel kritisierte das Verhalten von Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Flüchtlingskrise. Dessen Vorstoß zu einem Sozialprojekt für einheimische Bedürftige parallel zur Flüchtlingshilfe lehnte sie ab. Sie bezeichnete den von Gabriel zitierten Satz als „schlimm“: „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Gabriel hatte im ZDF gesagt, dieser Satz, den er auf allen seinen Veranstaltungen höre, sei „supergefährlich“.
Merkel sagte, einen solchen Satz solle man sich gar nicht erst zu eigen machen. Und weiter: „Ich finde, die SPD und der Vorsitzende Herr Gabriel machen sich damit klein“, sagte Merkel. Die schwarz-rote Koalition habe vieles für Kinder, Eltern, Rentner und Kranke getan - Krankenhausreform, Kindergelderhöhung, Rente mit 63, Mütterrente. „So zu tun, als bräuchten wir eine riesenzusätzliche Anstrengung, sehe ich nicht.“ Union und SPD hätten bisher gemeinsam Verantwortung gut wahrgenommen und machten das auch Schritt für Schritt weiter.
Auf die Frage, ob sich angesichts der teils gewalttätigen Proteste und des offenen Hasses gegen Flüchtlinge eine demokratiegefährdende Situation wie in der Weimarer Republik entwickeln könnte, antwortete Merkel: „Das glaube ich nicht.“ Zwar müsse man entsprechende Warnungen ernst nehmen. Es sei aber ihre Aufgabe, „Probleme so zu lösen, dass wir zu unseren Werten stehen können“.
Die jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffe in Sachsen kritisierte die Kanzlerin scharf: „Das sind Bürgerinnen und Bürger, die etwas tun, was ich zutiefst ablehne.“ Wer Sorgen habe, könne friedlich demonstrieren.
Artikel 1 des Grundgesetzes laute „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gelte für jeden in Deutschland - für Deutsche und Flüchtlinge. Übergriffe mit kriminellem Charakter verabscheue sei. Dennoch sei sie zu Gesprächen bereit. Voraussetzung sei die Fähigkeit und Bereitschaft des Gegenüber zum Zuhören. „Natürlich geben wir niemandem auf. (...) Ich mache für alle Menschen Politik.“