Merkel bei Anne Will So unvermeidbar wie das Wetter

Im Interview mit Anne Will gab sich Angela Merkel gewohnt vage. Wahlversprechen? Ansage des politischen Kurses? Fehlanzeige. Für die meisten Gäste der Talk-Show schien das kaum ein Problem zu sein.

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Am Sonntag verkündete die Bundeskanzlerin eine weitere Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2017. Quelle: HC Plambeck

Düsseldorf Im Studio von Anne Will gab sich Angela Merkel (CDU) bescheiden: „Kein Mensch ist alternativlos“, sagte die Kanzlerin im Interview zur Sendung mit dem Thema „Merkels Entscheidung – das richtige Signal in unsicheren Zeiten?“.

Den Alternativen den Weg freimachen möchte die Kanzlerin aber nicht – am Sonntagabend gab sie offiziell bekannt, bei der Wahl 2017 als Kandidatin antreten zu wollen. Zwar erinnere sie sich an ein Interview Ende der Neunziger, in dem sie sagte, mit Politik aufhören zu wollen, bevor sie als ein politisches Wrack enden müsse: „Aber ich habe in den Spiegel geguckt und festgestellt, dass ich das noch nicht bin.“

Auch die anderen Gäste im Studio schienen der Meinung zu sein, dass das Schiff „Merkel“ Deutschland noch eine Weile tragen könne. Allen voran Giovanni di Lorenzo. Der „Zeit“-Chefredakteur argumentierte – untypisch für sein Medium – aus einer Position der Angst heraus.  „Wir sollten uns fragen, wie wir heute diskutieren würden, wenn Merkel es nicht machen würde“, sagte er. In Europa krisele es schließlich, Rechte wie Marine Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in den Niederlanden seien auf dem Vormarsch. Dass Merkel aber – zumindest im Interview – keine klare Antwort auf die Frage nannte, wie diesen Populisten zu begegnen sei, sah er ihr nach: „So macht sie eben Politik.“

In ihrem Gespräch mit Will blieb die Kanzlerin vage. Immer wieder betonte sie, wie lange sie über die erneute Kandidatur nachgedacht habe, wie sie sich fragte, was sie dem Land und ihrer Partei noch geben könne. Sie stelle sich auf eine schwierige Wahl ein. Und nein, sie werde nicht sagen, ob sie auch dann noch angetreten wäre, wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl nicht gewonnen hätte (obwohl Will sie das zweimal gefragt hat).

Eine „Politik von Maß und Mitte“, deren Ziel es sei, den „Zusammenhalt der Gesellschaft“ zu beschwören, wolle Merkel fortsetzen. Ein möglicher Rechtsruck, um AfD-Wähler abzufangen? Nicht doch. Nur einmal stockt Merkel, als die Moderatorin sie fragt, ob sie wirklich antreten wolle oder ob sie glaube antreten zu müssen. Die Pause ist minimal, dann findet die Kanzlerin in ihren gewohnten Ton zurück. Ja, sie wolle, lautet die Botschaft, vorhersehbar und einlullend.


Schöne, alte Merkel-Welt

„Für mich ist das purer Populismus“, empörte sich Hans-Joachim Maaz. Phrasen würde die Kanzlerin von sich geben, aber ohne Überzeugung. Maaz ist Psychoanalytiker und untersucht nicht nur die Befindlichkeiten einzelner Personen sondern auch ganzer Gesellschaften. In Wills Studio war er mit seiner Meinung der klare Außenseiter.

Merkels Anhänger würden die Realität verkennen, findet er. „Die Menschen wählen sie damit alles so schön bleibt wie es ist“, sagte Maaz. Sie würde die Idee verkörpern, dass es mit der Wohlstandsgesellschaft immer weitergehen könnte – ohne echte Reformen. Die Kanzlerin hätte mit ihrer erneuten Kandidatur die Möglichkeit für einen würdigen Abgang verpasst: „Es ist peinlich für eine so große Volkspartei, wenn es keine Alternative zu ihr gibt. Man fragt sich, wer sich hinter Mutti versteckt.“

Optimistisch gab sich dagegen Berlins ehemaliger Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD): „Natürlich ist Merkel schlagbar“, sagte er. Nur wie? Über Alternativen zu Merkels vierter Kanzlerschaft hatten Wills Gäste kaum gesprochen. Nur kurz kam eine mögliche Kandidatur Sigmar Gabriels (SPD) zur Sprache. Über Horst Seehofer (CSU) sagte Merkel er habe sich nach der Bekanntgabe ihrer Entscheidung „konstruktiv geäußert“.

Der bayerische Ministerpräsident – als ein möglicher Kanzler-Kandidat gehandelt – sagte am Sonntag, dass gut sei, dass Merkel sich entschieden habe und nun Klarheit herrsche. Es hört sich nach Resignation an. Und ob sie tatsächlich konstruktiv ist, ist fraglich. Im Moment jedenfalls sieht es so aus, als wäre Merkels Kanzlerschaft eine Art Naturgewalt – einfach unvermeidbar.

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