Merkel beim Beamtenbund „Unsere Lebensqualität hängt an Ihrem Einsatz“

Auf der Jahrestagung des Beamten packt Merkel große Themen an: Terrorismus und Flüchtlingspolitik. Sicherheit und Freiheit gebe es nur mit bestimmten Prinzipien, sagt die Kanzlerin – und gibt ihren Ministern Ratschläge.

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Kanzlerin Merkel spricht bei der dbb-Jahrestagung über Sicherheit und Freiheit. Quelle: Reuters

Berlin „Wie wissen, dass Sie oft auch mit Hass konfrontiert werden“, sagte Angela Merkel (CDU) am Montagnachmittag vor den Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst auf der dbb-Jahrestagung in Köln. „Wir werden alles tun um ein Klima zu schaffen in dem ihr Einsatz möglich ist, weil davon unsere Lebensqualität abhängt“, versprach die Bundeskanzlerin.
Die Kanzlerin ist zu Gast bei den Staatsdienern, die im Zweifel den Kopf hinhalten müssen. Bei den Polizisten, denen im Alltag mit immer weniger Respekt begegnet wird. Bei den Asylentscheidern in den Flüchtlingsbehörden. Bei den Lehrern, die eine Verrohung ihrer Klassen erleben.

Internationaler Terror sei nicht die einzige Herausforderung. Die Politik die richtige Antworten für neue Situationen finden, die nicht in einem Zuständigkeitsstreit untergehen, sagte die Kanzlerin. Der Terroranschlag in Berlin sei eine Mahnung gewesen, „nicht nur in Ankündigungen stecken zu bleiben sondern wirklich Flagge zu zeigen. Sicherheit und Freiheit gibt es nur, wo wir uns bestimmten Prinzipien verpflichtet fühlen.“

Dazu gehört für Merkel auch die Integration von Flüchtlingen, aber jene ohne Bleiberecht oder Schutzstatus müssten zurückgeschickt werden. In Zeiten geringer Flüchtlingszuwanderung „war die Umsetzung beider Teile nicht so verfolgt, wie das nötig gewesen wäre. Doch die Rückführung sei eine Aufgabe, bei der wir nicht aufeinander mit Fingern zeigen sollten, sondern eine für Alle.

Der Vorsitzende des dbb Beamtenbund und Tarifunion, Klaus Dauderstädt, hatte vor Merkels Rede harte Worte gefunden. Es sei einfach nicht in Ordnung, wenn man sich nicht mehr in die U-Bahn trauen könne, ohne Gefahr zu laufen, die Treppe hinunter getreten oder gar vor den fahrenden Zug gestoßen zu werden. „Der Bürger, der sich als Frau oder Herr Jedermann damit konfrontiert sieht, ist mehr als nur besorgt“, sagte Dauderstädt.

Die Sorge vor Kriminalität beschränke sich längst nicht mehr nur darauf, Opfer eines Einbruchs oder Taschendiebstahls zu werden. Neu hinzu komme die Terrorangst: Man könne über das Asylrecht oder Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen streiten, sagte Dauderstädt: „Aber den organisierten Import von Hass müssen wir unterbinden.“ Menschen, deren ganzer Lebenszweck darauf ausgerichtet sei, möglichst viele in den Tod zu reißen, müsse keine Gesellschaft dulden.

Das sieht auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) so. Es sei ein Ausweis der „Stärke der Demokratie“, dass nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin über nötige Konsequenzen geredet werde. Er habe vor wenigen Tagen Vorschläge unterbreitet und werde darüber an diesem Dienstag mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) reden. Der hatte sich zuletzt de Maizières Forderung angeschlossen, Gefährder leichter in Abschiebehaft nehmen zu können. Auch bei der Überwachung von Gefährdern durch eine elektronische Fußfessel zeichnet sich eine gemeinsame Linie ab.

Nur indirekt übte de Maizière Kritik an der zögerlichen Haltung des Koalitionspartners. Der Berliner Attentäter Anis Amri habe nur deshalb verschiedene Identitäten nutzen können, weil bei seiner Einreise der Flüchtlingsausweis und das Kerndatensystem noch nicht existierten. Dieses habe man erst unter dem Eindruck der massenhaften Einreise von Flüchtlingen beschlossen. „Warum machen wir gute Maßnahmen immer nur, wenn wir in einer Krise leben?“, fragte der Innenminister.

Defizite sieht er auch in Europa. Solange die Sicherung der EU-Außengrenzen nicht funktioniere, werde er die Grenze zu Österreich weiter verstärkt sichern lassen, auch über den 15. Februar hinaus. Dies bedeute aber nicht das Ende des Schengen-Raums, er wolle so schnell wie möglich zur Reisefreiheit zurück.


Mehr Polizei allein reicht nicht

Kritsch äußerte sich de Maizière auch über die schleppende Abschiebepraxis und Forderungen nach einem „Bleiberecht für alle“. „Die Ablehnung von Abschiebungen wäre das Signal, dass wir es mit dem Recht nicht so genau nehmen.“ Es gelte aber auch: „Nicht jedes Vollzugsdefizit in der öffentlichen Verwaltung ist ein Kontrollverlust des Staates.“ Berlin-Attentäter Amri konnte auch deshalb seinen Anschlag begehen, weil eine Abschiebung in seine Heimat Tunesien gescheitert war. Außerdem stand er als „Gefährder“ unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden, allerdings fehlten ausreichende Beweise, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen.

Auch von Gewerkschaftsseite erhobene Vorwürfe, den öffentlichen Dienst kaputt gespart zu haben, wies der Innenminister zurück. Wenn der Beamtenbund bemängele, dass seit 2005 rund 63.000 Stellen weggefallen seien, entfalle der weitaus größte Teil auf die Bundeswehrreform. Seit Beginn der Legislaturperiode sei der Personalhaushalt des Bundesinnenministeriums um 13.000 Stellen angewachsen, betonte de Maizière.

Für 2018 bis 2020 seien fast 4000 zusätzliche Stellen geplant. Tatsächlich bescheinigte Dauderstädt dem Bund, „enorm viel Personal“ aufgestockt zu haben. Dagegen schrieb SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Beitrag für die „FAZ“, allein bei der Bundespolizei fehlten 14.000 Stellen. Gewerkschaften und SPD dürften aber nicht nur nach dem Bund rufen, sondern müssten eben auch mal in den Ländern nachfragen, ob sie nicht dessen Beispiel folgen wollten, konterte de Maizière.

Einigkeit bestand zwischen den Staatsdienern und ihrem obersten Dienstherren, dass mit mehr Polizei allein der Bedrohung nicht begegnet werden kann. Die moderne Gesellschaft ist anfällig, die Telekommunikationsnetze, die Stromnetze, alles „kritische Infrastruktur“, die angegriffen werden kann. „Auch die Demokratie ist so etwas wie eine kritische Infrastruktur“, sagte de Maizière. Ihr Schutz gehe jede und jeden an. Wer sich nur bei Facebook und Twitter informiere, der nehme nicht ausreichend an der öffentlichen Debatte teil. „Algorithmen liefern keine Gegenargumente“, sagte de Maizière.

Auch Gewerkschafter Dauderstädt forderte ein entschiedeneres Eintreten für die Demokratie: Das fange schon damit an, dass man stärker gegen die Verrohung der Sprache in den Schulen angehen müsse. Aber auch Übergriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute oder andere Staatsdiener gehörten konsequent geahndet.

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