Merkel beim Mittelstand Familienunternehmer hadern mit der Kanzlerin

Ein „schwerer Fehler“ sei es, Flüchtlinge ins Land zu lassen, sagt der Vorsitzende der Familienunternehmen. Kanzlerin Merkel hat in Berlin Mühe, dem Mittelstand ihre Politik zu erklären – auch bei der Erbschaftssteuer.

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„Eine der großen Tugenden, die Sie im Unternehmerischen ja auch kennen, ist, dass man immer auf den richtigen Zeitpunkt warten muss.“ Quelle: dpa

Berlin Darüber, wie Politik aussehen sollte, hat Brun-Hagen Hennerkes klare Vorstellungen. Die Flüchtlinge ins Land zu lassen, nennt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Familienunternehmen einen „schweren Fehler“, Selfies von Kanzlerin Angela Merkel mit Flüchtlingen „schlimm“ und die Vereinbarung mit der Türkei „Erpressung“. Besonders herzlich also würde der Empfang für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht ausfallen, macht Hennerkes gleich am Morgen klar. Auch wenn er dann noch mit Blick auf die Flüchtlingskrise hinterherschiebt: „Die große Hilfsbereitschaft uns Reputationsgewinn gebracht hat, dafür müssen wir der Kanzlerin dankbar sein.“

Zur Jahrestagung der Stiftung haben sich an diesem Freitag 400 Eigentümer großer Familienunternehmen versammelt, die für 750.000 Arbeitsplätze und zig Milliarden Umsätze stehen. Unter ihnen sind Carl-Jürgen Brandt von Brandt-Zwieback, Wolfgang Grupp von Trigema und Peter Pohlmann vom Möbeldiscounter Poco. Traditionell kommt wie jedes Jahr auch die Kanzlerin ins Berliner Hotel Adlon. Seit der Euro-Krise ist sie herbe Kritik von Hennerkes gewöhnt. Der dann aber, ebenfalls wie immer, am Ende ihrer Rede wieder ganz besänftigt ist und versöhnlich wissen will: Ob sie denn wieder antreten werde zur nächsten Bundestagswahl: „Es ist diesmal das Geschenk, das wir von Ihnen erbeten.“

Doch wie bei Flüchtlingspolitik und Erbschaftsteuer lässt sich Merkel nicht drängen. „Eine der großen Tugenden, die Sie im Unternehmerischen ja auch kennen, ist, dass man immer auf den richtigen Zeitpunkt warten muss“, antwortet sie freundlich. Timing ist alles, und so nutzt sie ihre Rede, den Unternehmern ihre Politik zu erklären.

Die Europäische Union sei getestet worden in ihrem Zusammenhalt, so Merkel. Erst durch die Finanzmärkte in der Euro-Krise, dann durch die Flüchtlinge aus den nahöstlichen Kriegsgebieten, auf die Europa nach dem Rückzug der Amerikaner aus der Region zu spät reagiert habe. So zieht sie die große Linie. „Wir haben eine geballte Ladung von nicht unproblematischen Nachbarschaften“ rund um den Schengen-Raum, dessen Freizügigkeit gerade auch Unternehmern nutze.

Und eine Wassergrenze lasse sich eben nicht so leicht schützen wie Landgrenzen. Abkommen wie das mit der Türkei seien notwendig, „damit nicht Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt. Wir müssen das auf legalem Wege tun“, sagt sie und erntet endlich Beifall. Ähnliche Abkommen wolle sie auch mit afrikanischen Staaten schließen. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der nach ihr auftritt, wirbt für Verhandlungen mit all den schwierigen Partnern an Europas Außengrenzen.


„Wir müssen bei Innovationen vorne dranbleiben“

Bei der Erbschaftsteuer zeigt Merkel Verständnis für die Sorgen der Familienunternehmer. „Natürlich wäre es am schönsten gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht alles so gelassen hätte, wie es war, nur den Gefallen hat und uns das Bundesverfassungsgericht nicht getan“, erinnert sie daran, dass die höheren Hürden vor der Steuerfreiheit für große Unternehmenserbschaften nicht die Idee der CDU/CSU waren.

„Sie haben das Thema ja gut platziert beim Bundesfinanzminister und auch bei einigen Ministerpräsidenten“, spielt sie auf Seehofers Vorstoß für mehr Vergünstigungen in der Großen Koalition an. Und erntet Lacher aus dem Publikum, bevor sie sich den Russland-Sanktionen, den Weltkrisen und innenpolitisch der Energiewende und der Forschungsförderung zuwendet: „Wir müssen bei Innovationen vorne dranbleiben“, appelliert sie, auch an die Unternehmer.

Die Unternehmer reagieren gespalten in Bezug auf das Türkei-Abkommen. Heinrich Strunz, geschäftsführender Gesellschafter des Lichtspezialisten Lamilux in Rehau, hält das Abkommen für unabdingbar: „Ich würde in der Flüchtlingskrise immer eine Regelung über die Außengrenzen des Schengen-Raumes bevorzugen.“

Peter Kulitz, geschäftsführender Gesellschafter der Esta Apparatebau-Gruppe und Präsident des Industrie- und Handelskammertages Baden-Württemberg macht sich dagegen Sorgen, „dass die Akzeptanz unserer Gesellschaft zum Verhältnis zur Türkei sowie zu den fortlaufend hohen Geldtransfers nach Griechenland erheblich schwinden wird.“ Kulitz schlägt vor, Griechenland zum "Europäischen Aufnahmeland auf Zeit für anerkannte Flüchtlinge" zu machen, dies europäisch zu finanzieren und zur Regelung der Freizügigkeit im Schengen-Raum eine „Ergänzungsvereinbarung“ zu treffen, die „diese in Bezug auf Flüchtlinge differenziert.“ Ein Vorschlag, der im Tourismusland Griechenland vermutlich nicht gut ankommen dürfte.

Pohlmann wiederum schätzt Merkels Politik: Ja, sie habe ein paar Fehler gemacht. „Aber sie hat uns aber auch sehr genutzt für unser Ansehen in der Welt. Jetzt bemüht sie sich, den ungehinderten Zufluss zu begrenzen“, sagt er. Für ihn ist Merkel alternativlos. „Ich kann mir keinen anderen Mann oder eine andere Frau im Kanzleramt vorstellen.“

Zu den enttäuschten Zuhörern zählt dagegen Andreas Land, Chef von Griesson-de Beukelaer: „Die Rede war eher nichtssagend. Ich hätte mir gewünscht, dass sie beim Thema Erbschaftssteuer näher dran und inhaltlich präziser gewesen wäre. Ich habe wenig davon mitgenommen“, sagte er. Und Thomas Hoyer, Chef der gleichnamigen Hamburger Spedition, ist gar wegen ihr aus der CDU ausgetreten, nach 36 Jahren. „Das war ein schwerer Schritt, die CDU war meine Heimat. Aber meine CDU gibt es nicht mehr. Frau Merkel hat die Partei entkernt“, sagt er.

Am Nachmittag schließlich bekommt Merkel prominente Unterstützung auch für das Türkei-Abkommen. Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio lobt Merkel ausdrücklich für ihr Vorgehen: „Bei allem Türkei-Bashing in diesen Tagen: Die Türkei hat ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen bisher eingehalten, das muss man auch mal sagen“, stellt er klar.

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