Merkel im Bundestag Die kühle Kämpferin

Die Kanzlerin spielt einmal mehr ihre Stärke in Krisenzeiten aus: Sie zeigt Nerven und Standhaftigkeit. Während Seehofer und Gabriel ihre Flüchtlingspolitik attackieren, setzt sie auf Fakten statt Gefühle. Ein Kommentar.

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Die Bundeskanzlerin zählte bei einer Rede im Bundestag auf, was die Koalition in der Flüchtlingskrise schon geschafft hat. Quelle: dpa

Berlin Wie schon in den Hochzeiten der Euro-Krise zeigt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut: Unter Druck wirkt sie stark. So auch an diesem Mittwoch im Bundestag: Kurs halten statt Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik ist ihre klare Botschaft in der Haushaltsdebatte. Aber nicht hölzern-trotzig, wie ihr manches Interview im Vorfeld der Mecklenburg-Vorpommern-Wahl misslang, sondern nachdenklich und um Vertrauen werbend. Nachdenklich, wenn sie sagt, nach der krachenden Wahlniederlage müsse sich „jeder an die eigene Nase fassen“, und damit sich selbst meint.

Merkel wirbt um Vertrauen, indem sie darauf besteht, dass Fakten sehr wohl zählen müssen in der Debatte unter Demokraten – und nicht dumpf-fremdenfeindliche Gefühle. Womöglich macht Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in seinem gebetsmühlenartigem Einfordern der „Obergrenze für Flüchtlinge“ gerade im Machtkampf gegen Merkel jenen Fehler, an dem viele innerparteiliche Gegner in den elf Jahren ihrer Kanzlerschaft schon scheiterten: Sie zu unterschätzen.

Ihre Kritik an Seehofer formulierte Merkel wie üblich indirekt, aber deutlich wie nie, wenn sie mahnt, dass Suchen nach dem kleinsten Vorteil vor Wahlsonntagen endlich einzustellen. Dies stärke nur jene, die auf Parolen und einfache Antworten setzten wie die AfD. Merkels Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) durfte sich gleich mitgemeint fühlen. In den letzten Tagen war er auf Distanz zu ihr gegangen und hatte der Union Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen.

Merkel strich stattdessen kühl heraus, was die Koalition gemeinsam schon geschafft habe: Das Flüchtlingschaos des letzten Jahres geordnet, die Zahl der Neuankommenden deutlich gesenkt, Sicherung der EU-Außengrenzen mithilfe der Türkei. Fakten statt Ressentiments: Dazu gehört für sie jetzt auch, klar zu nennen, was nicht klappt. Das Abschieben zum Beispiel. Wofür übrigens die Bundesländer zuständig sind und damit auch Seehofer.

Die Generaldebatte im Haushalt markiert für Merkel einen Neuanfang im Kampf gegen die AfD: Der Bundeshaushalt – der nach Jahren guter Konjunktur, niedriger Zinsen und vorsichtiger Ausgabenpolitik mit Geld gesättigt ist – soll ihr Mittel sein, Vertrauen zurückzugewinnen. Nicht nur für Flüchtlinge will sie etwas tun, auch für Einheimische: mit einer Mini-Steuersenkung im Wahljahr 2017 und Aussichten auf größere Entlastungen nach der Wahl.

An ihrer Seite hat sie dabei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der setzte am Vortag anders als die kühle Kämpferin Merkel auf Wärme: Die Sorge um den Wohlstand sei verständlich, die Antwort dürfe aber nicht in der Verweigerung jeder Veränderung bestehen. Schnell, so die Einsicht beider CDU-Granden, werden sie die AfD nicht los. Aber bis zum Parteitag im Herbst wollen sie die Reihen der CDU wieder fest um sich schließen. Notfalls erst einmal ohne Seehofer und seine CSU.

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