Merkel lädt zu Sondierungsgesprächen Lasst die Verhandlungen beginnen

Mit ihrer Einigung um eine viel diskutierte „Obergrenze“ stößt die Union nicht nur auf Zustimmung. Merkel verteidigt den Kompromiss trotzdem – und eröffnet zwei Wochen nach der Bundestagswahl die Gespräche um Jamaika.

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Merkel eröffnet die Sondierungen um Jamaika. Quelle: Reuters

Jetzt kommt die Obergrenze also doch. Beziehungsweise nicht. Es sollen zwar nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen, aber die Zuwanderung von Arbeitskräften oder EU-Ausländern betrifft die Begrenzung nicht. Gleichzeitig soll es Raum für Ausnahmen geben. Das bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montagmittag, und sieht in dem Kompromiss eine „gute Basis, um dann jetzt in die Sondierungen mit FDP und den Grünen zu gehen“. Deswegen habe sie zunächst FDP und Grüne zu Gesprächen am Mittwoch eingeladen, um am folgenden Freitag ein gemeinsames Treffen von Union, FDP und Grünen anzugehen. Auch CSU-Chef Horst Seehofer gab sich zufrieden. Entscheidend sei der materielle Inhalt, sagte der bayerische Ministerpräsident.

Was Seehofer seinem konservativen Parteiflügel als Erfolg verkaufen will, ist ein minutiös ausgehandelter Kompromiss, der das Wort „Obergrenze“ nicht einmal erwähnt – auf Drängen von Merkel. Bis spät in die Nacht haben die Parteispitzen der Union getagt und Details ausgehandelt. Auch Innenminister Thomas de Mazière (CDU) wurde einbestellt. Herausgekommen ist eine Obergrenze „light“: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“ Subsidiär Geschützte sind Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, „Relocation und Resettlement“ meint die gesteuerte Umsiedlung von Flüchtlingen.

Auch künftig soll kein Asylsuchender an der deutschen Grenze abgewiesen werden. In Fällen, in denen Menschen an der Grenze Asyl beantragten, werde es auch künftig ein ordentliches Verfahren geben, hieß es weiter. Damit werde Merkels Zusage umgesetzt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne. Neu ankommende Asylbewerber sollen demnach künftig in speziellen Aufenthaltszentren bleiben, bis über ihre Verfahren entschieden ist. Verfahren sollen nach den Plänen der Unionsschwestern in „Entscheidungs- und Rückführungszentren“ gebündelt werden. Vorbild seien entsprechende Einrichtungen in den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg. Falls Anträge abgelehnt werden, sollten die Betroffenen aus diesen Einrichtungen zurückgeführt werden.

Zudem wird in dem Entwurf die Forderung untermauert, die Liste der sicheren Herkunftsländer zu erweitern. Dies gelte mindestens für Marokko, Algerien und Tunesien. CDU und CSU einigten sich zudem auf ein neues Gesetz zur Steuerung der Fachkräftezuwanderung.

Mit einem Kompromiss in der lange schwelenden Obergrenzen-Debatte wäre das wichtigste Hindernis für eine gemeinsame Linie der zerstrittenen Unionsschwestern in den anstehenden Jamaika-Verhandlungen mit FDP und Grünen beseitigt. Die Reaktionen waren am Montag allerdings gemischt. Während Grünen-Chefin Simone Peter betonte, dass man sich an „Entrechtungsprogrammen“ nicht beteiligen werde, sprach der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann von einer Weichenstellungen für erste Jamaika-Sondierungen. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki geht davon aus, dass der Unionskompromiss die Verhandlungen sowieso nicht überstehen werde. „Die Unionseinigung zur Obergrenze beziehungsweise Kontingentierung wird nur eine kurze Halbwertszeit haben“, sagte Kubicki am Montag.

Merkel betonte, dass es viel Diskussionsbedarf in den nächsten Wochen geben werde, nicht nur in der Flüchtlingsfrage seien die Verhandlungspartner anderer Meinung. Auch in Sachen Bildung, Familie und Umwelt müssten Kompromisse gefunden werden.

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