Merkel mahnt Europäer „Nur gemeinsam sind wir stark“

Der scheidende US-Präsident Obama trifft in Berlin fünf europäische Spitzenpolitiker. Es geht auch um seinen Nachfolger Trump. Kanzlerin Merkel plädiert für einen verstärkten Schulterschluss der Europäer.

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Merkel und Obama beim Treffen mit europäischen Staats- und Regierungschefs. Quelle: AP

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt angesichts der großen Ungewissheit über den Kurs des künftigen US-Präsidenten Donald Trump auf eine besonders enge europäische Zusammenarbeit. „Ein Mensch alleine kann niemals alles lösen, sondern wir sind nur gemeinsam stark“, sagte sie am Freitag in Berlin bei einer Pressekonferenz mit Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Dies sei auch bei einem Gespräch mit dem scheidenden US-Präsidenten Barack Obama und vier anderen europäischen Staats- und Regierungschefs deutlich geworden.

Obama hatte am Donnerstagabend nach einem Gespräch mit Merkel die große Verantwortung der Kanzlerin für das westliche Werte- und Sicherheitsbündnis betont. Sie sei zäh und stark genug, diese Rolle auszufüllen. Merkel sagte am Freitag, sie wolle tun, „was meine Aufgabe ist als deutsche Bundeskanzlerin. Nämlich einerseits meinen Dienst für die Menschen in Deutschland zu tun. Aber das schließt für mich ein, auch für den Zusammenhalt Europas und für den Erfolg Europas zu arbeiten.“

Die britische Premierministerin Theresa May versicherte vor einem Gespräch mit Merkel am Nachmittag, trotz bevorstehenden EU-Austritts setze ihr Land auf eine enge Kooperation bei Herausforderungen wie dem Kampf gegen den Terror, Syrien-Konflikt und Flüchtlingskrise. „Das werden wir als Vereinigtes Königreich auch tun, wenn wir die Europäische Union verlassen.“

Ihr Amtskollege Rajoy machte deutlich, dass Spanien zu einer engeren europäischen Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik bereit sei, die aber kompatibel mit der Nato-Zugehörigkeit sein solle. Mit Blick auf Merkels Rolle sagte Rajoy, die Stabilität Deutschlands in dieser Zeit sei „wirklich sehr wichtig für ganz Europa“.

Die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Deutschland, Großbritannien, Spanien, Italien und Frankreich verständigten sich in Berlin darauf, dass der Westen an den Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise festhalten solle. Die Sanktionen müssten bestehen bleiben, bis das Minsk-Abkommen in Gänze umgesetzt sei, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses zu dem Sechser-Treffen. „So wie es jetzt aussieht, hat es noch nicht genug Fortschritte gegeben“, sagte Merkel. „Bis jetzt sind die Fortschritte sehr unsichtbar.“

Hinsichtlich der Situation in Syrien habe es bei dem Spitzengespräch keine Diskussion über Sanktionen gegen Russland gegeben, hieß es vom Weißen Haus. Das Regime von Baschar al-Assad, Russland und der Iran müssten aber die Angriffe auf die Stadt Aleppo umgehend einstellen und den humanitären Zugang sicherstellen. Deeskalation und diplomatische Bemühungen blieben die einzige Möglichkeit, den Syrien-Konflikt zu lösen. Die Angriffe auf Ost-Aleppo hatten zuletzt nach Wochen relativer Ruhe wieder mit voller Wucht eingesetzt. Dutzende Menschen starben, mehrfach wurden Krankenhäuser von Bomben des syrischen Regimes und seiner Verbündeten getroffen.

Merkel, Obama, May, Rajoy, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi berieten im Kanzleramt auch über die Folgen des Machtwechsels in Washington. In Europa und in den USA herrscht nach der Wahl Trumps zum künftigen US-Präsidenten Sorge über die Zukunft internationaler Verabredungen, etwa des Pariser Klimaabkommens oder des Atomdeals mit dem Iran.

"Schöne Absichtserklärungen reichen nicht"
Manfred Weber (Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament) Quelle: dpa
Katarina Barley (SPD-Generalsekretärin): "Wir treten für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für alle ein – und das weltweit. Dafür ist eine enge und freundschaftliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten unverzichtbar. Die SPD hat sich immer für die Soziale Marktwirtschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Klimaschutz eingesetzt. Viele Initiativen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung – sei es beim Handel, fairen Steuern oder dem Umweltschutz – sind in der Vergangenheit aber oft am Widerstand von Konservativen und Liberalen gescheitert. Schöne Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen für unsere gemeinsamen Ziele auch gemeinsam einstehen. Noch ist unklar, wohin der neue US-Präsident sein Land außenpolitisch führt. Darauf wird es aber ankommen, wenn wir unsere transatlantische Freundschaft auf der Basis gemeinsamer Werte mit neuem Leben füllen wollen." Quelle: dpa
Norbert Röttgen (CDU-Außenpolitiker): "Das Manifest zeigt deutlich auf, wie verwoben die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind. Auf vielen Ebenen wird heute so eng zusammengearbeitet, dass eine weitere Verflechtung des europäischen-amerikanischen Wirtschaftsraums durch TTIP eine natürliche Folge ist. So sind die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern oft schon weiter gedacht als die politischen. Die Politik muss nun folgen und den nötigen Einsatz für unsere Werte, Interessen und Lebensarten zeigen, um den Antiglobalisierungskräften entschieden entgegen zu treten. Entweder die USA und Europa übernehmen dafür gemeinsam die Verantwortung oder wir lassen die Kräfte, die Liberalismus, Modernisierung und Globalisierung ablehnen, unsere Zukunft gestalten." Quelle: dapd
Jürgen Trittin (Grünen-Außenpolitiker): "Merkel und Obama sind bemüht um transatlantische Selbstvergewisserung. Aber die Normalität ist dahin. Europa und die USA haben überragend gemeinsame Interessen - ökonomisch wie politisch. Doch auf welchem Wertefundament diese Interessen verfolgt werden ist ebenso offen, wie die Frage ob Donald Trump sie gemeinsam mit Europa verfolgen will. In einer multipolar gewordenen Welt voller globaler Krisen ist eine Kooperation auf der Basis gemeinsamer Werte für beider Interessen von Vorteil. Make America Great again heißt auf transatlantisch Stronger Together." Quelle: dpa
Christian Lindner (FDP-Vorsitzender): "Präsident Obama und Kanzlerin Merkel haben viel Wichtiges aufgeschrieben. Nachdem aber Sigmar Gabriel TTIP für gescheitert erklärt hat und die Vereinigten Staaten einen Nachfolger Trump gewählt haben, wirkt die richtige Initiative reichlich verspätet. Diesseits und jenseits des Atlantiks liegt jetzt viel Überzeugungsarbeit vor uns. Klar ist, dass die transatlantische Partnerschaft eine neue Belebung benötigt, um der Globalisierung einen Ordnungsrahmen zu geben." Quelle: dpa
Robert Kimmitt (früherer US-Botschafter in Deutschland): "Es ist sehr wichtig, dass unsere beiden Staatsoberhäupter TTIP unterstützen. Das Freihandelsabkommen kann eine ähnliche Bedeutung für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen haben, wie es das nordatlantische Abkommen in der Vergangenheit hatte, das zur Gründung der NATO im Jahr 1949 geführt hat. Der Buchstabe “I” in TTIP trägt die größte Bedeutung, weil transatlantische Investitionen mindestens 640.000 amerikanische Arbeitsplätze bei deutschen Firmen in den USA geschaffen haben. Eine vergleichbare Anzahl von deutschen Arbeitsplätzen bei amerikanischen Firmen in Deutschland sind ebenfalls entstanden. Die künftige Trump-Regierung hat neue Arbeitsplätze für amerikanische Arbeiter versprochen. TTIP könnte ein hervorragender Ausgangspunkt sein, um diese neuen Arbeitsplätze tatsächlich zu verwirklichen." Quelle: AP
David McAllister (CDU-Europaabgeordneter): "Der Beitrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Barack Obama ist ein eindrucksvolles Plädoyer für eine enge transatlantische Partnerschaft. Die Verbindung Deutschlands und der Europäischen Union mit den USA reicht von der NATO, dem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, über enge Wirtschaftsbeziehungen bis zu einem regen kulturellen Austausch. Unsere Partnerschaft ist eine tragende Säule der globalen Stabilität." Quelle: dpa

Obama hatte in Berlin in Abgrenzung zu Trumps Wahlkampf-Rhetorik für Nato und EU geworben. „Wenn wir kein starkes transatlantisches Bündnis haben, werden wir unseren Kindern eine schlechtere Welt hinterlassen.“ Merkel versicherte am Donnerstag, sie strebe eine enge Kooperation mit Obamas Nachfolger an. Die Beziehungen Deutschlands und Europas zu den USA seien ein „Grundpfeiler unserer Außenpolitik“.

Aus Sicht des Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ist ein US-Präsident Trump auch eine Chance. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Europa sicherheitspolitisch endlich erwachsen wird“, sagte er am Freitag im RBB-Inforadio. „Wir haben uns über ein halbes Jahrhundert gemütlich eingerichtet darin, dass - wenn es irgendwie kracht und knallt und schwierig wird -, dass dann immer die USA da sind, um die Westeuropäer zu schützen.“

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