Angesichts rasch steigender Infektionszahlen haben sich Bund und Länder in der Corona-Pandemie auf eine neue Impfstrategie mit den Hausärzten verständigt. Wegen der zunehmenden Impfstofflieferungen könnten neben den Impfzentren auch die Arztpraxen mit zunächst einer Million Dosen in der Woche versorgt werden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagabend nach einer Telefonkonferenz mit Ländervertretern.
Die wöchentlich Menge für die Hausärzte verdreifacht sich dann in der letzten Aprilwoche. „Wir können schneller und flexibler werden“, sagte Merkel. Deutsche Gründlichkeit werde um mehr Flexibilität ergänzt. „Die Devise lautet: Impfen, Impfen, Impfen.“ Allerdings werde man Lockerungen der Corona-Auflagen auch zunächst wieder zurücknehmen müssen. „Wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen“, betonte sie mit Blick auf den Bund-Länder-Gipfel am Montag. (Den Beschluss im Wortlaut können Sie hier als PDF herunterladen.)
Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht die Zahl Corona-Fälle exponentiell wachsen. Es sei sehr gut möglich, dass die Lage um Ostern ähnlich sei wie vor Weihnachten mit sehr hohen Fallzahlen und vielen Corona-Patienten in den Krankenhäusern, sagte RKI-Vize-Präsident Lars Schaade. „Verbringen Sie die Ostertage nur im engsten Kreis“, appellierte er an die Bevölkerung und forderte einen Verzicht auf Reisen. „Es stehen uns schwere Wochen bevor.“
Mehr Flexibilität durch Hausärzte
Deutschland rechnet im April insgesamt mit rund 15 Millionen Impfdosen, nachdem der AstraZeneca-Stoff wieder freigegeben ist. Die Impfzentren sollen stabil jede Woche 2,25 Millionen Dosen erhalten. Dazu kommen die Kontingente für die Hausärzte, später auch Betriebsärzte. Für die 50.000 Hausarztpraxen sind dies zunächst jeweils nur 20 Dosen pro Woche. An der Impfpriorisierung für Ältere und Kranke soll sich grundsätzlich nichts ändern. Jedoch würden die Ärzte besonders anfällige Patienten am besten kennen und diese gezielt zum Impfen einladen.
Der Hausärzteverband kritisierte den geplanten Starttermin für Impfungen in den Praxen als zu spät. Es sei unerklärlich, warum Hausärzte „erst irgendwann im April einsteigen und dann auch nur übrig gebliebenen Impfstoff verimpfen sollen“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, der Funke Mediengruppe laut Vorabbericht. „Wir stehen zum Impfen bereit – und wollen keine Resterampe werden.“
Da Deutschland von Biontech fast 600.000 Dosen extra bekommt, sollen diese in Gebieten mit besonders hohen Infektionszahlen und Virus-Varianten eingesetzt werden. Dies gilt etwa für Regionen in Bayern, Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Teilweise sollen hier ebenfalls die Hausärzte impfen.
Ähnlich wie zuvor schon Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprach sich auch Merkel für den Einsatz des russischen Impfstoffs Sputnik V aus, wenn dieser eine Zulassung für Deutschland erhalte. Sollte die EU keine Bestellungen aufgeben - wofür es keine Anzeichen gebe – werde dies Deutschland auch alleine tun, sagte Merkel. Spahn hatte davon gesprochen, dass schon bald erste Verträge geschlossen werden könnten.
Schnelle Impfungen gelten als einziger Ausweg aus der dritten Welle der Pandemie, die sich immer schneller aufbaut. Immer mehr Bundesländer liegen inzwischen wieder über der als „Notbremse“ eingezogenen Inzidenz-Marke von 100, also 100 Fällen über eine Woche täglich auf 100.000 Einwohner. Ab dieser müssen eigentlich nach Bund-Länder-Beschluss die Öffnungen von Anfang März wieder zurückgenommen werden. Einige Länder sind hier aber zögerlich. Hamburg jedoch zog die Bremse: Unter anderem müssen in dem Stadtstaat der Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen sowie Museen und Galerien ab Samstag schließen, wie Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher sagte.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verlangte schnelle Entscheidungen vom Bund-Länder-Gipfel am Montag: „Wir müssen zurück in den Lockdown“, forderte er. Andernfalls würde die Inzidenz auf über 200 bis Mitte April steigen und die Intensivstationen überlastet werden.
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