Merkel tritt von CDU-Spitze ab „Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen“

Angela Merkel bereitet ihren Rückzug aus der Politik vor. Nach der Wahlschlappe in Hessen gibt sie einen Teil der Macht ab. Spätestens 2021 soll ganz Schluss sein. In der CDU bringt man sich in Stellung.

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Politische Zeitenwende in Berlin: Unter dem Druck massiver Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und der schweren CDU-Wahlniederlage in Hessen hat Kanzlerin Angela Merkel das Ende ihrer politischen Ära eingeleitet. Die 64-Jährige will im Dezember den Parteivorsitz abgeben und sich 2021 ganz aus der Politik zurückziehen. Bis zum Ende der Wahlperiode wolle sie aber Kanzlerin bleiben, sagte Merkel am Montag. Für den Parteivorsitz gibt es bislang drei prominente Interessenten. Anders als Merkel schloss SPD-Chefin Andrea Nahles trotz ebenfalls großer Verluste ihrer Partei bei der Landtagswahl einen Rücktritt aus. Sie stellte der Union ein Ultimatum für die weitere Regierungszusammenarbeit.

„Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptabel“, sagte auch Merkel. Sie habe „das sichere Gefühl, dass es heute an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen“. Sie wünsche sich, dass die Partei den Wahltag als Zäsur nehme und alles auf den Prüfstand stelle, was seit der Bundestagswahl gesagt und getan worden sei.

Dafür rückt Merkel von ihrem Prinzip ab, dass CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft untrennbar zusammengehören. Dass sie das tue, sei „ein Wagnis“, sie halte es aber für vertretbar. Die 64-Jährige ist seit 18 Jahren CDU-Chefin und seit 13 Jahren Kanzlerin. Nun kündigte sie an, nicht nochmals als Kanzlerin und für den Bundestag zu kandidieren. Auch andere politische Ämter strebe sie nicht an. In der Sitzung des CDU-Vorstands applaudierten die Mitglieder der Langzeit-Parteichefin nach Angaben von Teilnehmern stehend für ihre Ankündigung.

Ihre Entscheidung habe sie schon vor der Sommerpause getroffen, die Verkündung - nach den Verlusten bei den Wahlen in Bayern und Hessen - vorgezogen, sagte Merkel. Ursprünglich habe sie diesen Schritt bei der am Sonntag beginnenden CDU-Vorstandsklausur ankündigen wollen.

Die Nachfolge an der Parteispitze wird beim CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg geregelt. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn kündigten laut Merkel ihre Kandidatur an. Nach dpa-Informationen will auch der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz seinen Hut in den Ring werfen. Der 62-Jährige war von 2000 bis 2002 Fraktionsvorsitzender - bis Merkel ihn von dem Posten verdrängte. Merz und Spahn sind Vertreter des besonders konservativen Flügels der CDU, was die Zusammenarbeit mit der SPD erschweren könnte. Kramp-Karrenbauer dagegen gilt als Vertraute Merkels.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schloss am Abend im ZDF eine eigene Kandidatur für den Parteivorsitz aus und erklärte, sie erwarte von den Bewerbern „ein Feuerwerk an Vorstellungen, an Ideen, an Konzepten“ in den kommenden Wochen. Sie müssten zeigen, wie sie sich die Integration der unterschiedlichen Parteiflügel vorstellen, und wie der Weg der CDU in die Zukunft aussehen soll.

Von AKK über Merz bis Schäuble - Merkels mögliche Erben

Die SPD sieht durch Merkels Rückzug zunächst keine Auswirkungen auf die Koalition. Wenn es sich gut auflöse, könne er sich auch positiv auf die Arbeit auswirken, weil Richtungskonflikte damit beendet werden könnten, sagte Nahles. Im ZDF ergänzte sie später, diesen Richtungsstreit gebe es offensichtlich noch weiter. Heute habe die Union „vielleicht ein neues Kapitel aufgeschlagen, wir werden sehen“. Für Merkel äußerte Nahles großen Respekt.

Die SPD setzte der Union eine Frist bis Dezember zur Klärung ihrer internen Konflikte und für Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit der Regierung. „Der Zustand dieser Regierung ist nicht akzeptabel“, sagte Nahles in Berlin. Sie bekam den Auftrag, zu klären, „wie die Union ihre inhaltlichen und personellen Konflikte so lösen will, dass die Regierungsarbeit davon nicht weiter negativ berührt wird“. Besonders Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer wird von der SPD als Belastung empfunden. Zur Halbzeit der Wahlperiode im Herbst 2019 will die SPD beraten, ob sie die Arbeit in der großen Koalition fortsetzt.

FDP-Chef Christian Lindner forderte Merkel nun auch zum Rücktritt als Kanzlerin auf. „Frau Merkel verzichtet auf das falsche Amt“, sagte er in Berlin. „Ein Teilrückzug auf Raten von Frau Merkel hilft weder der Union noch der Regierung noch dem Land.“ Auch die Linken-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger forderten einen klareren Schnitt und Neuwahlen. Die Grünen zollten Merkel Respekt. Sie habe die CDU durch eine schwierige Phase geführt und für ein „modernes Gesellschaftsbild“ geöffnet, sagte Parteichefin Annalena Baerbock.

Auslöser für das Beben sind neben andauernden Querelen in der großen Koalition vor allem zwei aus Sicht der GroKo-Partner katastrophale Landtagswahlen. Wie schon zuvor in Bayern wurden Union und SPD auch am Sonntag in Hessen abgestraft. Kramp-Karrenbauer sprach von einer „Denkzettelwahl“ für die große Koalition in Berlin.

Die CDU von Ministerpräsident Volker Bouffier kam nach dem vorläufigen Endergebnis mit einem Minus von 11,3 Punkten auf 27,0 Prozent. Die SPD mit Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel erzielte 19,8 Prozent (minus 10,9). Großer Wahlgewinner wurden die Grünen mit ebenfalls 19,8 Prozent (plus 8,7). Die AfD zog mit 13,1 Prozent in ihren 16. Landtag ein. Auch FDP und Linke kamen in den Landtag. Am stabilsten wäre eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP.

Vieles deutet trotzdem auf eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition hin - rechnerisch wäre das knapp möglich und Bouffier zieht ein Zweierbündnis einer Dreierkonstellation eindeutig vor. Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir zeigte sich jedoch zunächst zurückhaltend und hielt sich alle Optionen offen. „Wir werden uns jetzt sehr genau anschauen müssen, wie das am Ende in der Sache weitergeht“, sagte er dem Radiosender hr-info. Möglich wären neben Schwarz-Grün und Jamaika auch ein Bündnis von CDU und SPD sowie eine Ampel-Koalition mit Grünen, SPD und FDP. Bouffier hält eine Regierungsbildung bis Weihnachten für machbar.

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