Die Koalition will nach britischem Vorbild Sozialleistungen für Zuwanderer aus anderen EU-Staaten kürzen. So soll das Kindergeld für EU-Ausländer auch in Deutschland an die niedrigeren Lebenshaltungskosten in den Heimatländern angepasst werden, wenn die Kinder dort leben. „Gerade die Frage des Sozialmissbrauchs beschäftigt uns in Deutschland auch“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem EU-Gipfel in Brüssel.
Dort war Großbritannien, wo viele Gastarbeiter aus Osteuropa leben, zugebilligt worden, Sozialleistungen auf breiter Front einzuschränken. „Auch Deutschland kann davon Gebrauch machen, kann ich mir vorstellen“, meinte Merkel. Die CDU-Chefin machte in Brüssel aber deutlich, dass es für Deutschland anders als für London nicht in Frage komme, den Zugang zu Sozialleistungen für EU-Ausländer für einige Jahre komplett auszusetzen.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Das SPD-geführte Bundesfamilienministerium signalisierte bei der Anpassung des Kindergeldes für EU-Ausländer bereits Zustimmung. „In der Regel sind die Lebenshaltungskosten geringer als in Deutschland. Wir werden nun innerhalb der Bundesregierung beraten, wie Deutschland damit weiter verfahren wird“, sagte eine Sprecherin.
Beifall kam umgehend von der CSU. Ihre Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, lobte die Brüsseler Vereinbarungen mit Großbritannien. „Die Beschlüsse insbesondere in Bezug auf den Anspruch auf Sozialleistungen von EU-Ausländern und Kindergeld sind ganz im Sinne der CSU“, sagte Hasselfeldt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Ihre Partei fordere das seit zwei Jahren.
Der familienpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Marcus Weinberg (CDU), betonte, das Kindergeld diene in erster Linie der Sicherung des Existenzminiums. Das sei in jedem EU-Mitgliedstaat unterschiedlich hoch. Eine Anpassung sei gerecht. „Damit werden zudem Fehlanreize reduziert, den Lebensmittelpunkt wegen der Höhe der Sozialleistungen in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen“, sagte Weinberg.
Nach Ansicht der Grünen-Familienpolitikerin Franziska Brantner müsste die Anpassung in diesem Fall aber auch für Kinder gelten, die in vergleichsweise teuren Ländern leben. „Will heißen: Für Angehörige bestimmter Staaten wie Dänemark oder Schweden müsste Deutschland dann auch höhere Kindergeldzahlungen leisten“, sagte Brantner. Außerdem wäre es nötig, auch die Zahlungen für Kinder von Deutschen anzupassen, die zurzeit im Ausland lebten.
Nach den Vereinbarungen des EU-Gipfels soll die neue Regelung bis 2020 nur für Neuanträge gelten. Danach können die Staaten diese Regelung auf alle Zahlungen anwenden - auch wenn diese bis dahin in anderer Höhe geflossen sind. Dies soll für alle EU-Staaten gelten, nicht nur für Großbritannien. „Dass künftig Kindergeldzahlungen für anderswo in der EU lebende Kinder an das dortige Niveau angepasst werden können, kommt allen 28 Mitgliedstaaten zugute“, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul.
Tschechien befürchtet einen Dominoeffekt in Europa. „Die Summe der Kindergeldzahlungen aus Großbritannien ist bei uns relativ gering, aber bei Deutschland oder Österreich liegen die Zahlen deutlich höher“, sagte Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis wiederum ist froh, dass die Einschränkungen der Sozialleistungen für EU-Ausländer in Großbritannien nicht rückwirkend angewendet sollen und im Falle künftiger Gastarbeiter später schrittweise wieder ausgeglichen würden. In Großbritannien leben und arbeiten mehr als 100 000 rumänische Staatsbürger.