Merkel, zum 4. Noch eben schnell die Welt retten

Die Kanzlerin will es noch einmal wissen und 2017 Kanzlerkandidatin werden. Sie tritt damit indirekt die Nachfolge von Obama als Führerin des Westens an – doppelte Selbstüberschätzung?

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„Eiserne Lady“ ohne Vision
Angela Merkel Quelle: dpa
Angela Merkel mit Norbert Röttgen Quelle: dapd
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Angela Merkel Quelle: AP

Alternativlos, das ist das Wort, das von Angela Merkel bleiben wird. So hat sie Entscheidungen begründet, die ihre Amtszeit bestimmt haben, die Eurorettung, auch die grobe Richtung ihrer Flüchtlingspolitik.

War auch Merkels nun (endlich) bekannt gewordene Entscheidung, zum vierten Mal als Kanzlerkandidatin der Union anzutreten, alternativlos? Niemand außer Merkel selbst weiß es in Berlin ganz genau – aber wenn man den Auguren ihres Umfelds trauen darf, war der Beschluss keineswegs alternativlos. Die Kanzlerin hat durchaus gezweifelt, ob sie sich selbst und andere nach zehn Jahren noch ausreichend begeistern kann. Gerade erst rief die New York Times sie nach dem Wahlsieg von Donald Trump zwar zur letzten Verteidigerin der westlichen Werteordnung aus. Die Zeitung fügte aber auch hinzu, Merkel sei durchaus „tired“.

Doch Merkels Weitermachen war, man ahnt es, alternativlos. Einmal, weil die Welt mittlerweile halt so ist, wie sie ist. Gerade war Merkel noch mit US-Präsident Barack Obama im Speisezimmer des Adlon zu sehen, das Licht umschmeichelte sie, das Arbeits-Abendessen wirkte wie ein Date. Natürlich ist dieser Blick auf ihr Verhältnis zu Amerikaner nun im Abschied ein verklärtes, so harmonisch war es gar nicht. Aber so viel harmonischer als das, was Merkel – und Europa - ab dem 20. Januar 2017 mit Donald Trump im transatlantischen Verhältnis blüht, das ganz gewiss.

Sich in so einer Phase, in der das westliche Bündnis, wie wir es kennen, vor einer völlig ungewissen Neudefinition steht, wäre unverantwortlich gewesen. Merkels konditionierte Gratulation an Trump, mit diesem zusammen zu arbeiten, wenn er akzeptiere, dass Menschenwürde etwa nicht von Geschlecht oder Religion abhänge, sorgte schließlich in den USA für jede Menge Aufsehen.

Endlich mal eine, die dem Republikaner klarmachte, so der Tenor, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auch im Trump Tower gelten soll.

In Deutschland ist Merkel bestenfalls eine Mittelmacht

Auch die gemeinsame Erklärung, die Obama und Merkel in der WirtschaftsWoche diese Woche abgeben, wirkte wie ein (Abschieds)-Ritterschlag für Merkel in ihrem anstehenden Ringen mit und womöglich gegen Trump.

Wie sollte sich die Kanzlerin da verweigern? Merkel hat stets durchblicken lassen, über den Zeitpunkt ihres politischen Abganges genau nachzudenken. Jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt gewesen.

Zugleich, das weiß Merkel natürlich, wird dieses Weitermachen nicht vergnügungssteuerpflichtig sein. Man muss nur auf die Zusammensetzung der Mächtigen-Runde (neben Trump) schauen. Bald könnte der Italiener Matteo Renzi nach einem Verfassungsreferendum gehen müssen, dann könnte eine Art italienischer Trump ihm nachfolgen. Die Britin Theresa May ist mit den Brexit-Nachwirren befasst. In Frankreich droht Marine Le Pen, Ungarns Victor Orban und Russlands Wladimir Putin bleiben Merkel erhalten.

Problematisch ist natürlich auch die drohende Verklärung von Merkels künftiger Rolle. Sie ist auf der internationalen Bühne ein Superstar, aber Deutschland weiterhin bestenfalls eine Mittelmacht. Merkel aufzubürden, nun plötzlich die Rolle der USA, der „unersetzlichen Nation“ (Madeleine Albright) zu übernehmen, heißt, ihre Rolle zu überhöhen. Das weiß die nüchterne Analystin Merkel.

Zugleich weiß sie, dass sie in ihrer Partei vor allem deshalb alternativlos ist, weil sie die Suche nach personellen Alternativen nicht zugelassen hat. In puncto Nachwuchsförderung hat die Parteichefin versagt. Das Schicksal teilt sie übrigens mit ihrem Abschiedsgast Obama, der seine eigene Partei ebenfalls in desolatem Zustand hinterlässt.

Aber wichtiger noch: Es ist völlig unklar, ob Merkels außenpolitischer Glanz (und ihre neue weiter gewachsene Verantwortung) sich auch in innenpolitische Begeisterung überträgt – nötig im Kampf gegen eine populistischen Mächte, die auch bei uns um sich greifen könnten.

Also kann Merkel durchaus versuchen, ersatzweise in der großen Welt Obamas Nachfolge antreten – aber sie tritt vor ein deutsches Wahlvolk. Das ist für die Physikerin Merkel ihre bislang heikelste politische Versuchsanordnung.

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