Mietendeckel „Mieter sollten Geld zur Seite legen“

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„Wir sind mit dem Mietendeckel eines der größten Probleme angegangen“

Ab dem 23. November, also neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, müssten die Mieten selbst bei laufenden Verträgen effektiv abgesenkt werden. Gehen Sie davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht vor diesem Datum über den Mietendeckel entscheidet?
Nein. Nach Aussagen des Bundesverfassungsgerichts rechnen wir im zweiten Quartal 2021 mit einer Entscheidung zum Mietendeckel.

Für Mieter und Vermieter ist das eine lange Zeit der rechtlichen Unsicherheit. Sollten die Mietabsenkungen bis zur finalen Klärung also besser ausgesetzt werden?
Das Gesetz ist in Kraft, deshalb gibt es auch keinen Grund, die Absenkungen auszusetzen. Ich würde Mieterinnen und Mietern aber empfehlen, das Geld bis zur finalen gesetzlichen Klärung zur Seite zu legen.

Aber 2021 stehen nicht nur die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus an, sondern auch die Bundestagswahl. Mitten im Wahlkampf drohen Wählerinnen und Wählern dann womöglich erhebliche Nachzahlungen, wenn das Gericht doch den Mietendeckel kippt.
Wir sind optimistisch, was den Ausgang des Verfahrens angeht. Wir haben mit dem Mietendeckel Neuland betreten. Sollte das Bundesverfassungsgericht entscheiden, dass wir die Landeskompetenzen überschritten haben, dann werden wir auf Bundesebene aktiv. Die Berliner Landesregierung würde dann im Bundesrat einen neuen Vorstoß machen, um die Mieten entsprechend regulieren zu können

Eines der rot-rot-grünen Lieblingsprojekte wäre dann erheblich beschädigt. Das ist doch eine große Sache, die da im Wahlkampf platzen könnte?
Das sehe ich anders. Wir sind mit dem Mietendeckel eines der größten Probleme angegangen, das die Mieterinnen und Mieter in dieser Stadt umtreibt. Ich bin zuversichtlich, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Engagement des rot-rot-grünen Senats würdigen, auch, wenn das Bundesverfassungsgericht unserer Auffassung nicht folgen sollte.

Was macht Sie überhaupt so optimistisch, was das Karlsruher Urteil angeht? Grundsätzlich ist Mietrecht Bundesrecht. Die Landesregierung hat deshalb die Annahme einer überhöhten Miete zur Ordnungswidrigkeit erklärt. Einige Juristen halten das für einen Trick, den das Bundesverfassungsgericht nicht akzeptieren kann.
Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt die Rechtsverhältnisse zwischen Mietern und Vermietern. In dieses Verhältnis mischen wir uns nicht ein. Wir haben es aber mit einem Wohnungsmarkt im Ganzen zu tun. Da geht es um Mietpreisrecht, das ist ein öffentliches Recht. Unserer Rechtsauffassung nach, ist das Land Berlin sehr wohl berechtigt, das zu regeln. Bis in die Achtzigerjahre gab es eine Altbaumietenverordnung, bundesrechtlich, die genau das Gleiche gemacht hat. Sie hat festgelegt, was Wohnungen kosten dürfen. Den größten Teil der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es also schon einen öffentlich reglementierten Mietpreismarkt. Der Bund hat seine Kompetenz für dieses Thema 2006 an die Länder abgegeben. Diese Kompetenz nutzt nun das Land Berlin.

Sind weitere Verschärfungen des Mietendeckels geplant?
Wir haben einen guten Rechtsrahmen gefunden. Ich sehe keine Notwendigkeit, über Verschärfungen nachzudenken.

Dann vielleicht eine Ausweitung: Kommt der Mietendeckel für Gewerbeimmobilien?
Das ist eine Frage für die Berliner Wirtschaftssenatorin. Wir sehen aber, dass viele gewerbliche Mieterinnen und Mieter in der Corona-Pandemie ernsthafte Probleme haben. Für diese müssen wir Lösungen finden, wenn die Innenstädte nicht veröden sollen. Dafür gibt es bereits viele Fördermaßnahmen. Es macht doch das Flair einer Stadt aus, wenn es kleine Ladengeschäfte gibt, wenn da zum Beispiel ein Schuster ist, der die Lieblingsschuhe repariert.


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Und ein Mietendeckel für Gewerbeimmobilien könnte da helfen?
Die Digitalisierung ist sicher eine der Haupttreiberinnen dieses Umwälzungsprozesses. Ob ein Mietendeckel da zusätzlich helfen könnte, muss man sich ansehen. Als Land Berlin haben wir im Bundesrat eine Initiative eingebracht, die ein Eingriffsrecht auch in Gewerbemieten fordert. Denn in dem Bereich fehlt uns als Land tatsächlich die Regelungskompetenz.

In Berlin wird derzeit intensiv über einen Deal zwischen der Landesregierung und dem Investor Signa diskutiert. Dabei geht es um den Erhalt von wenigstens vier Karstadt-Filialen und im Gegenzug um Unterstützung bei Bauprojekten, etwa am Hermannplatz. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sperrt sich hier, Sie sollen nun übernehmen. Machen Sie das?
Bislang gibt es eine Absichtserklärung. Die sagt: Wir nehmen die Entwicklungswünsche von Signa in den Blick. Ziel ist der Erhalt von Arbeitsplätzen und von zentralen Orten in den jeweiligen Kiezen. Dass Politik sich dafür einsetzt, sich auch schnell einsetzt, halte ich für richtig. Ich bin als Bausenator aber auch Hüter des Baurechts. Das Baugesetzbuch hat klare Regelungen zur Zulässigkeit von Kopplungsgeschäften. Daher wird es ein geregeltes Verfahren geben, wie bei jedem anderen Bauvorhaben.

Das heißt?
Wir werden Abwägungen treffen müssen: Allgemeinwohl auf der einen, private Interessen auf der anderen Seite. Entscheidend ist, was städtebaulich wo am meisten Sinn ergibt. Im ersten Schritt möchte ich nun mit den Beteiligten sprechen. Fest steht aber schon jetzt: Baurecht ist nicht käuflich.

Klingt so, als ob Sie jetzt wirklich übernehmen?
Das werde ich entscheiden, wenn ich die weiteren Gespräche geführt habe. In der Absichtserklärung steht, der Senat solle das Verfahren übernehmen. Vielleicht übernehmen wir an einer Stelle eine Vermittlerrolle, an der anderen den Prozess. Das wird sich aber im weiteren Verlauf zeigen. Nicht in Ordnung ist jedenfalls, dass ein Bezirk, der das Planungsrecht hat, die Kommunikation mit einem Vorhabenträger verweigert.

Der Senat verweigert offenbar auch die Kommunikation, nämlich mit der Enteignungsinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Seit Juni 2019 sind die nötigen Unterschriften für ein Volksbegehren laut der Initiative übergeben, seitdem prüft Innensenator Geisel. Die Initiative hat sogar Klage wegen der langen Prüfung eingereicht. Dauert Ihnen die Prüfung auch zu lange?
Das Thema liegt beim Innensenator. Meines Wissens gibt es jetzt eine Einigung mit der Initiative, sodass in den nächsten Wochen über die Zulässigkeit des Volksbegehrens entschieden wird. Darauf folgend wird meine Verwaltung eine Stellungnahme erarbeiten und einreichen, sobald wir dazu aufgefordert worden sind.

Warum erst jetzt?
Das kann ich nicht sagen. Es wird Gründe für die Dauer der Prüfung geben.

Sollte es zur Enteignung kommen, müssen die Unternehmen dann zum Marktwert der Immobilien entschädigt werden? Oder reichen geringere Summen?
Mein Haus hat hierzu eine Kostenschätzung abgegeben. Natürlich ist auch eine Entschädigung unter Marktwert möglich. Um möglichst rechtssicher zu sein, sind wir bei der Kostenschätzung nahe an den Verkehrswerten geblieben.

Sie selbst haben sich als Jugendlicher in Frankfurt an der Oder in der Hausbesetzerszene rumgetrieben. Kleine Zeitreise: Wo würde sich Scheel Junior in Berlin heute engagieren? Bei der Enteignungsinitiative?
Ich stünde auf der Seite, die sich für das Allgemeinwohl einsetzt. Die Initiative hat eine wichtige Diskussion angestoßen: Wo sind die Grenzen des Kapitals? Welchen Stellenwert hat das Allgemeinwohl? Diese Debatte muss geführt werden.

Sie haben also Sympathien für die Enteignungs-Initiative?
Ich habe mindestens großes Verständnis für den Hintergrund der Debatte.

Mehr zum Thema: Um den Berliner Mietendeckel tobt ein Rechtsstreit. Mietern drohen hohe Nachzahlungen.

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