
WirtschaftsWoche Online: „Der Zusammenhang von Religion und Integration wird generell überschätzt“, verkündete kürzlich der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Es lägen „keine belastbaren wissenschaftlichen Belege dafür vor, dass individuelle Religiosität bzw. Religion grundsätzlich die Teilhabe an Bildung und am Arbeitsmarkt erschwert“. Stimmt das?
Ruud Koopmans: Das stimmt überhaupt nicht. Im Gegenteil, dieser Zusammenhang wird generell unterschätzt. In allen europäischen Ländern liegen muslimische Immigranten bei fast allen Merkmalen der Integration hinter allen anderen Einwanderergruppen. Das gilt für den Arbeitsmarkt, aber auch für Bildungsergebnisse, für interethnische Kontakte, also solche mit der heimischen Bevölkerung, und die Identifikation mit dem Wohnland.

Die Religion, konkret der Islam, verringert also auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt?
Ich habe in einer Studie nachgewiesen, dass kulturelle Distanz auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle spielt. Das erklärt einen erheblichen Teil der Nachteile von Muslimen. Ich stelle dabei drei entscheidende Faktoren heraus, um die kulturelle Distanz festzumachen: Sprachkenntnisse, interethnische Kontakte - vor allem Heiraten als intensivste Form - und Wertvorstellungen über die Rolle der Frau. Die haben alle etwas mit der Religion zu tun. Das gilt natürlich besonders für die Vorstellungen über die Rolle der Frau, die direkt aus der islamischen Religion abzuleiten sind. Interethnische Heiraten sind umso schwieriger, je größer die kulturelle Distanz zwischen Gruppen ist - besonders, wenn es kulturelle Tabus gibt. Solche Tabus machen es zum Beispiel einem Muslim und vor allem muslimischen Frauen so gut wie unmöglich, einen Nichtmuslim zu heiraten.
Wird dieses Tabu nicht gebrochen?
Selten. Statistiken verschiedener europäischer Länder zeigen, dass weniger als zehn Prozent der Heiraten von Muslimen interethnisch sind. Zum Vergleich: Die aus Surinam oder den Antillen stammenden, schwarzen Einwanderer in den Niederlanden heiraten zu 40 bis 50 Prozent Angehörige anderer Ethnien, also in der Regel weiße Niederländer. Die Unterschiede der Rasse spielen offenbar eine viel geringere Rolle als kulturelle Distanz.
Die wichtigsten Antworten zum neuen Integrationsgesetz
Um Fördern und Fordern. Es sollen 100 000 neue „Arbeitsgelegenheiten“ - darunter vermutlich Ein-Euro-Jobs - aus Bundesmitteln geschaffen werden. Ziel ist eine Heranführung an den Arbeitsmarkt und sinnvolle Betätigung während des Asylverfahrens. Integrationskurse sollen verpflichtend sein. Wer die Mitwirkung daran ablehnt oder abbricht, dem werden Leistungen gekürzt. Bei Straffälligkeit wird das Aufenthaltsrecht widerrufen. Zur Vermeidung sozialer Brennpunkte sollen Schutzberechtigte gleichmäßiger verteilt werden. Wer den zugewiesenen Wohnsitz verlässt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Den Sicherheitsbehörden sollen mehr Befugnisse, Geld und Personal geben. Telekommunikationsanbieter müssen sich auf neue Verpflichtungen einstellen. Die Geheimdienste sollen künftig enger mit wichtigen ausländischen Partnerdiensten zusammenarbeiten. Die Internet-Branche ist aufgefordert, in einer freiwilligen Selbstverpflichtung aktiv gegen Terror-Propaganda in ihren Netzwerken vorzugehen.
Es sieht danach aus. Am Donnerstagmittag bei der großen Pressekonferenz im Kanzleramt soll auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihren Auftritt haben. Sie hat längst ein Gesetz fertig, um den Missbrauch von Werkverträgen und Leih- oder Zeitarbeit einzudämmen. Dann legte aber die CSU den Kompromiss auf Eis. Mit Werkverträgen vergeben Unternehmen etwa IT-Dienstleistungen, Catering- und Reinigungsdienste an andere Firmen.
Ungewiss. Klar ist, dass die Koalition den miesen Absatz von Elektroautos mit verschiedenen Maßnahmen ankurbeln will. So soll das spärliche Netz von Ladestationen ausgebaut werden. Höhe und Ausgestaltung einer möglichen Prämie für E-Auto-Käufer waren zuletzt immer noch offen. Wirtschaftsminister Gabriel hatte einmal 5000 Euro ins Spiel gebracht. Die Kosten würden sich Staat und Industrie teilen. In Koalitionskreisen war auch die Rede von einer Selbstverpflichtung der Autobranche, in heimische Batterietechnologie zu investieren. Schwarz-Rot muss etwas tun, weil die Bundesregierung vom Ziel, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen, bereits jetzt meilenweit entfernt ist.
Zuletzt hieß es in Parteikreisen, es sei keine Einigung in Sicht. Die Konfliktlinie verläuft hier eher zwischen der CSU auf der einen und CDU/SPD auf der anderen Seite. Zum 1. Juli muss die Reform der Erbschaftsteuer in Kraft sein. Das Bundesverfassungsgericht hatte gerügt, dass Erben großer Familienunternehmen mit Steuerbefreiungen zu gut wegkommen. Union und SPD hatten sich schon mehrfach geeinigt, die CSU hatte jedoch immer wieder Korrekturen zugunsten der Firmenerben verlangt. Dies war dann wiederum der SPD zu weitgehend, aber auch in der CDU sowie von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurden die Forderungen der CSU kritisch gesehen. Ohne Neureglung bis Ende Juni droht Firmenerben, dass sie die Privilegien ganz verlieren.
Die Entscheidung der Bundesregierung ist in jedem Fall heikel. Sie wird aber noch in dieser Woche erwartet und möglicherweise bei der Pressekonferenz gleich mit bekanntgegeben. Merkel dürfte auf größtmögliche Geschlossenheit setzen. Die Regierung hat die Wahl zwischen einer Ermächtigung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung Böhmermanns wegen dessen vulgären Gedichts über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem Nein zu einem entsprechenden Wunsch der Türkei. So oder so wird es Kritik hageln: entweder aus Ankara, wo das Gedicht als Beleidigung Erdogans gewertet wird, oder in Deutschland, wo viele eine Beschränkung der Meinungsfreiheit fürchten.
Darauf vertrauen viele Koalitionspolitiker nicht. Dem Vernehmen nach hatten sich die drei Parteichefs bereits in der vorigen Woche im kleinsten Kreis darauf verständigt, nach den Zerwürfnissen vor allem zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik Ruhe walten zu lassen. Aber schon kurze Zeit später brachen CSU und SPD eine Rentendebatte vom Zaun. Alle drei Partner - und besonders die Sozialdemokraten - stehen angesichts sinkender Umfragewerte enorm unter Druck. Sie dürften versuchen, sich frühzeitig in Position zu bringen. Was die Union und SPD noch am ehesten eint: die Sorge vor einem weiteren Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD).
Im Gegensatz zu vielen anderen sagen Sie, dass kulturelle Assimilation die beruflichen Aussichten von Einwanderern befördert. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen Assimilation und Integration?
Assimilation ist der ältere Begriff. Er kommt aus der klassischen amerikanischen Einwanderungsdiskussion. Er bedeutete früher letztlich nichts anderes als das, was man heute unter Integration versteht: nämlich die Angleichung der Alteingesessenen und Einwanderer. In Amerika unterschied man zwischen struktureller Assimilation, also dem Arbeitsmarkt vor allem, und kultureller Assimilation, also Sprache, interethnische Kontakte und Identifikation mit dem Einwanderungsland. Diese kulturelle Assimilation ist seit den 1960er Jahren sehr in Misskredit geraten und ersetzt worden durch die Idee des Multikulturalismus.
Bis zu einem bestimmten Punkt war das auch gut so, denke ich. Man kann zwar sagen: Wir haben nicht das politische Ziel, die Leute an die deutsche Kultur anzugleichen. Aber man sollte dennoch nicht die Augen davor verschließen, dass kulturelle Assimilation einen positiven Effekt hat auf die strukturelle Assimilation oder Integration, wie man heute sagt. Das Problem ist: Viele, leider auch in der Wissenschaft, gehen aus normativen Gründen davon aus, dass Kultur und Religion einfach keine Rolle spielen dürfen. Aber Kultur ist nun einmal relevant für die Integration. Und dass man diese Integration will, darüber sind sich alle einig. Wir wollen ja nicht, dass die Einwanderer schlechtere Arbeitsplätze und Wohnungen haben als die Einheimischen.