Migrationsforscher Ruud Koopmans Kulturelle Distanz ist ein Integrationshindernis

Die Religion spielt für den Misserfolg eingewanderter Muslime auf dem Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle, hat Ruud Koopmans festgestellt - auch wenn das viele Menschen nicht wahr haben wollen.

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Eine Muslima mit Kopftuch steht vor einem Jobcenter in Berlin. Quelle: dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche Online: „Der Zusammenhang von Religion und Integration wird generell überschätzt“, verkündete kürzlich der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Es lägen „keine belastbaren wissenschaftlichen Belege dafür vor, dass individuelle Religiosität bzw. Religion grundsätzlich die Teilhabe an Bildung und am Arbeitsmarkt erschwert“. Stimmt das?

Ruud Koopmans: Das stimmt überhaupt nicht. Im Gegenteil, dieser Zusammenhang wird generell unterschätzt. In allen europäischen Ländern liegen muslimische Immigranten bei fast allen Merkmalen der Integration hinter allen anderen Einwanderergruppen. Das gilt für den Arbeitsmarkt, aber auch für Bildungsergebnisse, für interethnische Kontakte, also solche mit der heimischen Bevölkerung, und die Identifikation mit dem Wohnland.

Ruud Koopmanns Quelle: PR

Die Religion, konkret der Islam, verringert also auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt?

Ich habe in einer Studie nachgewiesen, dass kulturelle Distanz auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle spielt. Das erklärt einen erheblichen Teil der Nachteile von Muslimen. Ich stelle dabei drei entscheidende Faktoren heraus, um die kulturelle Distanz festzumachen: Sprachkenntnisse, interethnische Kontakte - vor allem Heiraten als intensivste Form - und Wertvorstellungen über die Rolle der Frau. Die haben alle etwas mit der Religion zu tun. Das gilt natürlich besonders für die Vorstellungen über die Rolle der Frau, die direkt aus der islamischen Religion abzuleiten sind. Interethnische Heiraten sind umso schwieriger, je größer die kulturelle Distanz zwischen Gruppen ist - besonders, wenn es kulturelle Tabus gibt. Solche Tabus machen es zum Beispiel einem Muslim und vor allem muslimischen Frauen so gut wie unmöglich, einen Nichtmuslim zu heiraten.

Wird dieses Tabu nicht gebrochen?

Selten. Statistiken verschiedener europäischer Länder zeigen, dass weniger als zehn Prozent der Heiraten von Muslimen interethnisch sind. Zum Vergleich: Die aus Surinam oder den Antillen stammenden, schwarzen Einwanderer in den Niederlanden heiraten zu 40 bis 50 Prozent Angehörige anderer Ethnien, also in der Regel weiße Niederländer. Die Unterschiede der Rasse spielen offenbar eine viel geringere Rolle als kulturelle Distanz.

Die wichtigsten Antworten zum neuen Integrationsgesetz

Im Gegensatz zu vielen anderen sagen Sie, dass kulturelle Assimilation die beruflichen Aussichten von Einwanderern befördert. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen Assimilation und Integration?

Assimilation ist der ältere Begriff. Er kommt aus der klassischen amerikanischen Einwanderungsdiskussion. Er bedeutete früher letztlich nichts anderes als das, was man heute unter Integration versteht: nämlich die Angleichung der Alteingesessenen und Einwanderer. In Amerika unterschied man zwischen struktureller Assimilation, also dem Arbeitsmarkt vor allem, und kultureller Assimilation, also Sprache, interethnische Kontakte und Identifikation mit dem Einwanderungsland. Diese kulturelle Assimilation ist seit den 1960er Jahren sehr in Misskredit geraten und ersetzt worden durch die Idee des Multikulturalismus.

Bis zu einem bestimmten Punkt war das auch gut so, denke ich. Man kann zwar sagen: Wir haben nicht das politische Ziel, die Leute an die deutsche Kultur anzugleichen. Aber man sollte dennoch nicht die Augen davor verschließen, dass kulturelle Assimilation einen positiven Effekt hat auf die strukturelle Assimilation oder Integration, wie man heute sagt. Das Problem ist: Viele, leider auch in der Wissenschaft, gehen aus normativen Gründen davon aus, dass Kultur und Religion einfach keine Rolle spielen dürfen. Aber Kultur ist nun einmal relevant für die Integration. Und dass man diese Integration will, darüber sind sich alle einig. Wir wollen ja nicht, dass die Einwanderer schlechtere Arbeitsplätze und Wohnungen haben als die Einheimischen.

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