Migrationsforscher Ruud Koopmans Kulturelle Distanz ist ein Integrationshindernis

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"Radikalisierung hängt nicht mit Diskriminierung zusammen"

Stimmt es, dass Integration in Deutschland besser gelingt als beispielsweise in Frankreich?

Was stimmt, ist, dass die ethnische Segregation in Deutschland innerhalb der Städte nicht sehr stark ist. Das heißt, Einwanderer leben hierzulande nicht nur in abgeschlossenen Wohngebieten.

Das soll ja auch eines der Ziele des geplanten Integrationsgesetzes sein, die Konzentration der Einwanderer zu verhindern.

Dass Einwanderer die Nähe der eigenen Leute suchen, ist klar. Aber meine Studien zeigen, dass die Integration eben nicht gut funktioniert, wenn alle Syrer da hingehen, wo schon die anderen Syrer alle sind. Sie werden dann nicht Deutsch lernen und auch nicht so bald die hiesigen Wertvorstellungen übernehmen. Die Zuweisung von Wohnorten für anerkannte Flüchtlinge, die keinen Job haben, ist daher unter verschiedenen Gesichtspunkten eine gute Idee. Auch weil man so vermeidet, dass die Lasten sich in bestimmten großen Städten ballen. In manchen ländlichen Gegenden gibt es dagegen den benötigten Wohnraum und die Schulplätze.  

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Kann man mit staatlichen Maßnahmen überhaupt die Integration von Einwanderern beeinflussen?

Ich gehe davon aus, dass Einwanderer rationale Akteure sind wie jeder andere Mensch und auf Anreize reagieren. Mit richtigen Anreizen kann man Verhalten durchaus steuern. Ein Ansatz des Gesetzes, den ich selbst in politischen Beratungsrunden empfohlen habe, ist, die Aussicht auf ein dauerhaftes Bleiberecht an den Integrationserfolg zu knüpfen. Wenn in drei Jahren hoffentlich Frieden herrscht in Syrien und anderen Kriegsländern, wäre es dumm alle Flüchtlinge zurückzuschicken, die sich in den Arbeitsmarkt gut eingegliedert haben, denn die können wir ja gut gebrauchen. Aber eben nur diese. Man sollte also denen, die einen Integrationskurs bestanden, gut Deutsch gelernt und einen Job mit einem bestimmten Mindestgehalt gefunden haben, freistellen, hier zu bleiben. Andererseits müssten aber auch die anderen, die sich nicht gut integriert haben, wieder zurückkehren.

Das wird schwierig durchzusetzen sein.

Das ist nur politisch schwer, nicht in der Praxis. Man muss das eben wirklich wollen.

In einer Ihrer großen Studien haben Sie 2013 festgestellt, dass unter europäischen Muslimen mehr als 40 Prozent zum Fundamentalismus neigen. Besteht überhaupt irgendeine Hoffnung, dass sich diese Menschen jemals in die westlichen Gesellschaften integrieren?

Zunächst: In Deutschland ist die Situation ein bisschen besser als in anderen europäischen Ländern. Hier sind nur 30 Prozent der Muslime fundamentalistisch. Dennoch sind das natürlich erschreckend viele. Deren strenge Religiosität bedeutet: Ablehnung anderer Bevölkerungsgruppen,  Antisemitismus, Feindschaft gegen Schwule, und die Idee, dass der Westen den Islam vernichten will. Außerdem: schwache Sprachkenntnisse und eine extrem konservative Auffassung über die Rolle der Frau. Daher ist in dieser Gruppe das Problem der Arbeitslosigkeit noch deutlich größer als bei anderen Muslimen.

Hängt die religiöse Radikalisierung mit der Erfahrung von Diskriminierung zusammen?

Das ist eine oft in den Raum gestellte Behauptung. Sie ist aber falsch. Wir haben in unserer großen Studie die Muslime gefragt, wie stark sie sich diskriminiert fühlen, und nach Zusammenhängen zur Entwicklung eines fundamentalistischen Weltbildes gesucht. Aber die gibt es nicht. Hass gegen Nicht-Muslime ist kein besonderes Phänomen muslimischer Einwanderung, sondern ist in den Herkunftsländern noch schlimmer. Die Radikalisierung wird nicht erst hier in Europa produziert, sondern kommt aus der muslimischen Welt.

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