Migrationsproblematik Essener Tafel nimmt nur noch Deutsche auf

Die Essener Tafel nimmt keine neuen Migranten mehr auf. Zu viele Ausländer würden andere Bedürftige verdrängen. Nun hagelt es Kritik.

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Lange Schlangen vor der Tafel in Essen. Migranten werden vorübergehend nicht aufgenommen. Quelle: dpa

Essen Die Essener Tafel schließt ihre Pforten für Migranten. Der gemeinnützige Verein nimmt vorerst nur noch neue Bedürftige auf, die einen deutschen Pass vorweisen können. Das berichtete die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ am Donnerstag. Bisherige Kunden ohne deutsche Staatsbürgerschaft werden aber weiter bedient. Vereinsvorsitzender Jörg Sartor sagte der Zeitung, es handle sich dabei um eine Konsequenz aus dem steigenden Migrantenanteil beim Kundenandrang. Dieser sei in den letzten beiden Jahren auf 75 Prozent gestiegen.

Sartor meint, es habe ein schleichender Verdrängungsprozess stattgefunden. Ältere Tafelnutzer und alleinerziehende Mütter fühlten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt. Bei diesen sei teilweise „mangelnder Respekt gegenüber Frauen“ zu beobachten. „Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt.“, sagte er der „WAZ“.

Die Maßnahme wurde im Dezember letzten Jahres beschlossen und wird bereits seit Mitte Januar umgesetzt – „so lange, bis die Waage wieder ausgeglichen ist“. Nach den Berichten vom Donnerstag gab es von Wohlfahrtsverbänden, anderen Tafeln und aus der Politik überwiegend Kritik und Unverständnis.

„Man diskriminiert ja eine Gruppe“, sagte der Chef der Tafeln in Niedersachsen und Bremen Manfred Jabs am Freitag der dpa. „Das widerspricht eigentlich den Grundsätzen der Tafeln. Da muss man andere Wege finden.“ Ähnlich äußerte sich der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW Karl-Josef Laumann: „Bei großem Andrang müssen Kriterien gefunden werden, wie diese begrenzten Mittel verteilt werden. Ob die Staatsangehörigkeit hier das richtige Mittel ist, daran habe ich persönlich Zweifel.“

Nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes spiele die Essener Tafel mit dieser Entscheidung extremen Parteien in die Hände. „Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Tafeln unter großem Druck stehen und ihre Ressourcen im Blick haben müssen“, sagte Landesgeschäftsführer Christian Woltering am Freitag der dpa. „Aber Maßnahmen wie ein Aufnahmestopp sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten“. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring teilte mit, es widerspreche den Grundsätzen der Tafeln in Deutschland, die Essensvergabe an die Staatsangehörigkeit zu koppeln.

Einige Medien stellten sich am Donnerstag hinter die Entscheidung der Essener Tafel. Die Tageszeitung „Die Welt“ schrieb in einem Kommentar: „[Die Essener Tafel] hat richtig gehandelt. Die Übergangshilfe für Flüchtlinge gehört in andere Hände.“ Die Pforzheimer Zeitung lobte die Essener, die Notbremse gezogen zu haben: „So viel Sachlichkeit tut gut. Allen Beteiligten.“

Der Sozialverband Deutschland sieht hinter dem Aufnahmestopp ein größeres Problem und moniert unzureichende staatliche Leistungen: „Die Tafeln sind Lückenbüßer dafür, dass staatliche Leistungen nicht reichen“. Das Vorgehen der Essener Tafel sei aber dennoch nicht richtig.

Ebenso sieht es Haci-Halil Uslucan, Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung und Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration: „Es ist definitiv das falsche Signal. Außerdem sind die Aussagen Sartors migrationstheoretisch sehr bedenklich, da sie Ungleichheit unter ethnischen Gruppen suggerieren.“

Der „Spiegel“ zitierte Sartor, unter Syrern und Russlanddeutschen gebe es ein „Nehmer-Gen“. „Die Argumentation in dem Sinne 'Die anderen nehmen uns was weg' ist ein gefährlicher Weg“, sagte Uslucan dem Handelsblatt. Er verweist stattdessen auf den Ansatz, der von der Tafel in Mönchengladbach gewählt wurde. Auch dort habe es zuletzt einen starken Andrang von Bedürftigen mit Migrationshintergrund gegeben. Die Mönchengladbacher Tafel schaffe die Entlastung, indem sie einen zusätzlichen Ausgabetag nur für Migranten eingerichtet habe.

Am Freitag verteidigte sich der Chef der Essener Tafel gegen die Kritik: „Ich stehe dazu“ . Er sagte, die Reaktionen seien zu 80 Prozent positiv. Zudem betonte Sartor, dass es sich bei dem Aufnahmestopp für Migranten um eine vorübergehende Maßnahme handele – „wahrscheinlich nicht über den Sommer hinaus“.

Die Essener Tafel bewahrt Lebensmittel vor der Vernichtung auf und verteilt diese dann an Bedürftige. Die Empfänger müssen der Hilfsorganisation nachweisen, dass sie Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen.

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