
E.On bekommt eine zweite Chance für sein Kohle-Großkraftwerk in Datteln am Rand des Ruhrgebietes. Nachdem der Konzern die 1100-Megawatt-Anlage kilometerweit vom landesplanerisch genehmigten Bauplatz entfernt errichtet hatte und 2009 vor Gericht damit böse auf den Bauch gefallen war, machte das zuständige Regionalparlament jetzt den Weg frei für eine nachträgliche Genehmigung. Doch von einem Happy End ist E.On weit entfernt: Weitere Klagen werden erwartet. Fachleute rechnen mit drei Jahren, bis das Kraftwerk endlich regulär am Netz ist - wenn überhaupt.
Dabei wird der riesige Steinkohleblock dringend gebraucht. Nicht nur zur Sicherung der Grundlast in Energiewendezeiten. Das Kraftwerk ist speziell für die Erzeugung von Bahnstrom ausgelegt und soll rund ein Viertel des deutschen Bedarfs abdecken. Bahnstrom hat eine besondere Spannung und kann ohne erhebliche technische Vorkehrungen nicht in anderen Kraftwerken erzeugt werden. Eon hätte dank der Sonderverträge mit der Bahn und anderen Industriekunden auch wieder ein Kohlekraftwerk, das dauerhaft und solide schwarze Zahlen schreibt.
Umso unverständlicher aus heutiger Sicht, dass der Konzern ab 2007 im Vertrauen auf den städtischen Bebauungsplan das riesige Bauwerk mit einem 180 Meter hohen Kühlturm direkt an den Dortmund-Ems-Kanal und sehr nah an ein Wohngebiet setzte. Der Landesentwicklungsplan sieht den Bauplatz fünf Kilometer entfernt vor. Es hagelte Einsprüche und Klagen, die Anwohner fürchteten Kohleemissionen, Verschattung und Schäden in einem nahe gelegenen Waldstück.
Ein Bauer aus der Nachbarschaft setzte sich schließlich mit seiner Klage durch. Danach verhängte die Aufsichtsbehörde einen weitgehenden Baustopp. Eine Milliarde Euro hat E.On verbaut, zu 80 Prozent ist die Anlage fertig - und steht seit Jahren ertragslos herum. NRW drohte eine weitere spektakuläre Milliarden-Bauruine von Format des gescheiterten „Schnellen Brüters“ in Kalkar.
Jetzt soll ein kompliziertes Verfahren im Zusammenspiel von Landes-, Regional- und Stadtplanung das Kraftwerk aus der verfahrenen Lage befreien. Der Dattelner Stadtrat hat einen neuen, korrigierten Bebauungsplan erarbeitet. Das rot-grün regierte Land hat der „Zielabweichung“ rechtlich zugestimmt, hält sich mit politischen Stellungnahmen aber ansonsten zurück. Denn die „CO2-Schleuder“, wie es viele Grüne sehen, könnte natürlich den Koalitionsfrieden mit der industriefreundlichen NRW-SPD stören. „Am Ende werden die Gerichte entscheiden“, sagt der Grünen-NRW-Chef Sven Lehmann.
Fachleute erwarten zahlreiche neue Klagen, sobald der neue Bebauungsplan vorliegt. Das Problem des sehr geringen Abstandes von einer Wohnsiedlung bleibt bestehen. Generell ist die Stimmung in der Stadt gespalten. Es gibt lautstarke und gut organisierte Gegner, aber auch viele Befürworter.
Schließlich hatte E.On viele der Bauaufträge auch an regionale Unternehmen vergeben - ein Investitionsprogramm für das nördliche Ruhrgebiet. Wegen des Baustopps mussten am Standort drei Uralt-Kraftwerke mit wesentlich höheren Emissionen jahrelang weiterlaufen, die eigentlich längst abgeschaltet sein sollten. Das Kraftwerk soll nicht nur Industriestrom liefern, sondern zusätzlich rund die Hälfte der Dattelner Haushalte mit Fernwärme versorgen. Der parteilose Dattelner Bürgermeister Wolfgang Werner ist für das Kraftwerk und sieht in seiner Stadt 60 bis 80 Prozent Befürworter. Nicht wenige Dattelner seien auch einfach des jahrelangen Dauerstreits überdrüssig, sagt der Stadtsprecher.