
Im Streit um die Vorherrschaft über den Regionalverkehr hat die Deutsche Bahn erneut Zeit gewonnen. Am Dienstag vertagte der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung darüber, ob Bundesländer die Bahn weiterhin direkt damit beauftragen dürfen, Nahverkehrsstrecken zwischen ihren Städten zu betreiben, oder ob sie die Aufträge zukünftig ausschreiben müssen.
Im Vorfeld der Verhandlung hatte die Bahn davor gewarnt, die bisherige Praxis der direkten Vergabe per Gerichtsbeschluss zu verbieten: „Wenn das passiert, landen wir in einem verkehrspolitischen Chaos“, sagte ein hochrangiger Bahnmitarbeiter der WirtschaftsWoche.
In der Auseinandersetzung geht es um viel Geld – und um die Frage, ob der deutsche Staat das Milliardengeschäft mit S-Bahnen und Regionalzügen für den Wettbewerb öffnet. In den kommenden fünf Jahren wird mehr als die Hälfte aller Zugangebote neu vergeben. Experten sehen darin eine Chance, das Monopol der Bahn zu brechen.
Bisher zögert die Politik allerdings, mehr Konkurrenz zuzulassen. Jedes Jahr gibt der Bund rund sieben Milliarden Euro für den Nahverkehr aus; über die Bundesländer und ihre Verkehrsverbünde landet das Geld häufig direkt in den Kassen der Deutschen Bahn, die bisher rund 80 Prozent des Marktes kontrolliert.
Private Wettbewerber, etwa Abellio, Keolis und Veolia, kommen nur in Ausnahmefällen zum Zug, nämlich dann, wenn sich ein Bundesland entscheidet, den Verkehrsvertrag für eine Strecke öffentlich auszuschreiben. Bisher entscheiden sich die Länder jedoch häufig für die so genannte Direktvergabe. In der Regel bedeutet das: Die Bahn bekommt den Zuschlag.
Über die Zulässigkeit dieses Verfahrens sollte jetzt der BGH entscheiden. Konkret ging es um einen Fall in Nordrhein Westfalen: Der Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR), der den öffentlichen Personennahverkehr von Neuss bis Recklinghausen organisiert, hatte im vergangenen Jahr den Betrieb sämtlicher S-Bahnen in der Region an die Bahntochter DB Regio NRW AG vergeben.
Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit zwischen Bahn und VRR: Der Verbund beklagte schlechte Leistungen des Großkonzerns und kündigte schließlich sogar den Vertrag, der eigentlich bis 2018 lief. Letztlich einigten sich die beiden Parteien aber und verlängerten das Abkommen sogar bis 2023. Auf eine Ausschreibung wurde verzichtet.
Gegen diese Übereinkunft klagte der Wettbewerber Abellio, der gerne einzelne S-Bahnlinien in Nordrhein Westfahlen übernehmen will. Das für gestern erwartete Urteil hätte Signalwirkung für die gesamte Bundesrepublik gehabt. Hätte der Bundesgerichtshof das Abkommen zwischen Bahn und VRR für unzulässig erklärt, wäre das Instrument der Direktvergabe praktisch abgeschafft.
Jetzt muss die Bahnbranche weiter auf ein Grundsatzurteil zum Wettbewerb im Nahverkehr warten. Der BGH will seine Entscheidung zwar bereits Ende Januar bekannt geben. Doch auch diese könnte ausbleiben, wenn sich Bahn, VRR und Abellio gütlich einigen, was sich in Karlsruhe bereits andeutete.
Grundsätzlich plädiert die Bahn dafür, die Direktvergabe weiterhin zuzulassen – und sie hat einflussreiche Unterstützer. So beraten die Bundesländer derzeit über eine von Nordrhein Westfalen eingebrachte Gesetzesänderung, die ihnen erlaubt, auch weiterhin Verträge für Regionalstrecken direkt zu vergeben, statt sie auszuschreiben.
„Wir möchten uns die Möglichkeit der Direktvergabe erhalten“, bestätigte der Sprecher des nordrhein-westfälischen Verkehrsministers Harry Kurt Voigtsberger (SPD) die Gespräche gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Wie das Blatt berichtet, haben bereits mehr als zehn Länder ihre Zustimmung zu dem Vorstoß signalisiert.
Sie befürchten, dass das ohnehin schon komplizierte Geschäft mit dem Nahverkehr noch komplexer und teurer wird, wenn sie in Zukunft jede Strecke ausschreiben müssen. Nach Angaben der Bahn stehen in den kommenden fünf Jahren mehr als hundert Vergabeverfahren an – und ein Ausschreibungsverfahren kostet in der Regel rund zwei Millionen Euro.