Millionäre kaufen goldene Pässe „Der Mobilitätsadel schwebt im Privatjet über Grenzen hinweg“

Russland, China, Indien: Immer mehr Superreiche flüchten in sicherere Länder, mit goldenen Pässen optimieren sie ihr Portfolio. Wie das Prinzip Staatsbürgerschaft damit kommerzialisiert wird, erklärt der Soziologe Steffen Mau.

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WirtschaftsWoche: Herr Mau, angesichts von Corona, Krieg und Klimawandel flüchten immer mehr superreiche Menschen in vermeintlich sicherere Länder: Aus Russland werden bis Ende des Jahres mehr als 15.000 Millionärinnen und Millionäre wegziehen, aus China wollen sich rund 10.000 Superreiche verabschieden, aus Indien werden 8.000 so genannte High Networth Individuals abwandern, zeigt eine Studie der Beratungsfirma Henley & Partners. Welche Folgen hat diese Migration der Millionäre?
Steffen Mau: Diese Flucht der Superreichen ist kein neues Phänomen, aber die Dimension könnte noch größer werden durch den russischen Krieg in der Ukraine, die strikten Lockdowns in China und Hitzerekorde in Indien. Die Zahlen spiegeln auch die zunehmende Ungleichheit wider: Wenn’s ums Geld der Menschen geht, ist Mobilität über Grenzen hinweg willkommen. Wenn’s ums Überleben der Menschen geht, dann werden Grenzen immer strikter geschlossen.

Die Superreichen dürften bereits in ihrer Heimat mehr Freiheiten und Möglichkeiten haben als die restliche Bevölkerung. Was treibt sie an?
Auch Millionäre flüchten aus Ländern, wo es eine Form der politischen Willkür gibt und wenig Rechtsstaatlichkeit. In Russland sehen die Superreichen aktuell, dass der lange bestehende Interessenspakt von Putins Regime und ihrem exzessiven Wohlstand aufbricht. Sie wollen Freiheit, Sicherheit und Zukunft, für ihr Vermögen, für ihre Familien und sich selbst.  

Viele der Superreichen sind bereit, für diese Sicherheit Millionen auszugeben. Goldene Pässe werden solche Visa genannt, mit denen eine Staatsbürgerschaft ohne langwierige Verfahren erkauft werden kann. Wer zahlt, darf rein?
Der goldene Pass gibt den Superreichen die Austrittsgarantie für den Fall, dass sich die Bedingungen vor Ort verändern oder sich anderswo bessere Chancen ergeben. Von den weltweit reichsten Menschen haben laut Schätzungen rund 30 bis 40 Prozent mindestens einen zweiten Pass. Seit Jahren hat sich über diese goldenen Pässe ein globaler Mobilitätsadel entwickelt, für den Grenzen keine Bedeutung mehr haben. Diese Personen schweben quasi im Privatjet über Grenzen hinweg, sie bilden damit eine eigenständige, sehr privilegierte Kaste, zugleich gibt es auch Personen aus der gehobenen Mittelschicht, die so versuchen, politische und wirtschaftliche Risiken zu minimieren.

Zur Person

Geht es dabei vor allem um eine finanzielle Besserstellung?
Auch, aber nicht nur. Wer verschiedene Aufenthaltsrechte hat, kann damit sein gesamtes Portfolio optimieren, also gewissermaßen Ortsrenditen so generieren, wie sie gebraucht werden. Etwa, in dem dort Steuern gezahlt werden, wo es günstiger ist. Oder jemand lässt sich dort nieder, wo er mehr Rechte und Freiheiten bekommt und sich nicht der Willkür ausgesetzt sieht. Im Idealfall gibt es beides auf einmal.

Haben Sie ein Beispiel für einen Flüchtling de luxe?
Ja, der Multimilliardär Roman Abramovich hat neben der russischen Staatsbürgerschaft auch einen Aufenthaltstitel in Großbritannien, eine israelische und eine portugiesische Staatsbürgerschaft, die ihm automatisch Freizügigkeit im gesamten Schengen-Raum ermöglicht. Statt seinen Pass an der Botschaft abgeben zu müssen und womöglich wochen- oder monatelang auf ein zeitlich begrenztes Visum zu warten, setzt er sich einfach ins Jet und fliegt los. Er kann dieses Staatsbürgerschaftsportfolio flexibel einsetzen und sich seinen Lebensmittelpunkt je nach den verändernden politischen, aber auch wirtschaftlichen Bedingungen aussuchen.

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Wird das Prinzip Staatsbürgerschaft durch die goldenen Pässe entwertet? 
Eigentlich sind wir durch einen Pass an einen Staat gebunden. Der Pass repräsentiert, dass wir eine spezifische Loyalitätsbeziehung zu einem Land haben und biografisch, familiär und wertemäßig mit ihm verbunden sind. Durch die goldenen Pässe wird die Staatsbürgerschaft aber kommerzialisiert und tendenziell entwertet. Dass, was eigentlich eine Loyalitätsbeziehung ist, wird jetzt zu einem handelbaren Gut – das allerdings so teuer ist, dass es sich nur einige wenige Menschen leisten können.

Der Handel mit Staatsbürgerschaften und goldenen Visa ist zur wichtigen Einnahmequelle für viele Länder geworden. Eine Firma steht im Zentrum des Milliardengeschäfts.
von Volker ter Haseborg

Die Mehrheit der Menschen muss jahrelang darauf warten, in einem fremden Land als Staatsbürger anerkannt zu werden. Sprach- und Wissenstests müssen die Flüchtlinge de luxe wohl kaum nachweisen?   
Nein, durch die goldenen Pässe wird eine extreme Ungleichheit produziert zwischen denjenigen, die sich eine Staatsbürgerschaft kaufen können, und den Menschen, die mühsam an einer Einbürgerung arbeiten. Sie müssen in der Regel viele Jahre in dem Land leben, ein festes Einkommen nachweisen, Sprach- und Integrationstests bestehen. Und dann kommen eben Leute, die einfach ihr Geld auf den Tisch legen und genau dieselben Rechte bekommen, manchmal selbst dann, wenn sie gar nicht beabsichtigen, in diesem Land längerfristig zu leben.

Viele Länder haben aus dem Handel mit goldenen Pässen ein Geschäftsmodell gemacht, in der EU sind sie in Malta, Bulgarien und Zypern erhältlich, aber auch die Emirate locken mit Goldenen-Visa-Programmen. Wie zugehörig fühlen und verhalten sich die Besitzer gegenüber den Staaten, von denen sie die Pässe erwerben?
Der Mobilitätsadel ist eine hochmobile Gruppe, wer dazu gehört, kann sich stets den Ort aussuchen, der gerade am besten passt. Droht irgendeine Zumutung oder eine steuerliche Extrazahlung, hüpft man einfach zum nächsten besten Ort. Es entstehen flexible Staatsbürgerschaftsstrategien. Und weil sich immer mehr Staaten um diese Leute konkurriert und ihnen den roten Teppich ausgerollt haben, um ihre eigenen Staatskassen aufzubessern, wurde die Auswahl für die Superreichen immer größer.

von Volker ter Haseborg, Sonja Álvarez, Hauke Reimer, Heike Schwerdtfeger

Das EU-Parlament fordert nun allerdings ein Verbot der goldenen Pässe, da sie Rechte, die Unionsbürger haben, für Drittstaatsangehörige käuflich machen. Auch goldene Visa, mit denen Aufenthaltsrechte erteilt werden, sollen strikter reguliert werden. Ist das Vorhaben aus Ihrer Sicht richtig?
Ja, die EU erzwingt da gegenwärtig Veränderungen, denn wenn ein einzelner EU-Mitgliedstaat wie Malta oder Zypern seine Tür gegen Geld öffnet, betrifft das gleich alle anderen Mitgliedsländer und Bürgerinnen und Bürger mit. Denn über die Staatsangehörigkeit werden die Käufer ja EU-Bürger und genießen alle damit verbundenen Privilegien. Europäische Werte oder Zugehörigkeit sollte man sich aber nicht kaufen können. Die Bedingungen zum Zugang sollten für alle Menschen gleich sein – und nicht vom Stand des Kontos abhängen.

Hier geht es zur Studie von Henley & Partners.

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