Millionen an Rückforderungen Die Coronahilfen werden für viele Unternehmen zum Bumerang

Mehr als 121 Milliarden Euro sind mittlerweile zur Unterstützung von pandemiegeplagten Firmen abgeflossen. Seit einiger Zeit fließt längst auch wieder Geld zurück an den Staat. Quelle: imago images

Mit Milliarden hat der Staat pandemiegeplagte Firmen erst unterstützt. Jetzt müssen viele Geld zurückzahlen, teils drohen zusätzlich Strafen.

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Im Tagestakt vermeldet das Bundeswirtschaftsministerium neue Zahlen zur Auszahlung von Coronahilfen. Mehr als 121 Milliarden Euro – Kurzarbeitergeld noch ausgeklammert – sind mittlerweile zur Unterstützung von pandemiegeplagten Firmen abgeflossen. Was weit weniger bekannt ist: Seit einiger Zeit fließt längst auch wieder Geld zurück an den Staat.

Unternehmen haben bereits mehr als ein Prozent der Staatshilfen zurückgezahlt. Das geht aus der Antwort des Bundes auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion und Recherchen der WirtschaftsWoche bei den Bewilligungsstellen der Länder hervor. Den rund 121 Milliarden Euro ausgezahlten Hilfsgeldern stehen bislang rund 1,36 Milliarden an Rückflüssen gegenüber. Zum 30. Juni waren es laut Antwort der Bundesregierung bereits 902 Millionen Euro an freiwilligen Rückzahlungen und 322 Millionen an Rückforderungen allein für die Soforthilfe.

Hinzu kommen nun nach WirtschaftsWoche-Abfrage zum Stand Mitte September noch mindestens weitere 142 Millionen an Rückflüssen, auch aus späteren Programmen wie etwa den Überbrückungshilfen. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen und weiter steigen, da Länder wie NRW und Bayern bisher nur unvollständige Zahlen liefern und einige andere ihr Rückforderungsmanagement erst aufbauen. „Dass viele Betriebe ihre Coronahilfen jetzt schon freiwillig zurückgeben, zeigt wie verkorkst das System ist“, kritisiert der FDP-Abgeordnete Christian Dürr. „In Zeiten von großer wirtschaftlicher Unsicherheit brauchen wir funktionierende Maßnahmen, die Unternehmen und Selbstständigen aus der Krise helfen.“

Der Hintergrund: Mit der Corona-Soforthilfe wurden bis Ende Mai 2020 vor allem Gewerbetreibende und Selbstständige unterstützt, wenn ihre laufenden Einnahmen nicht mehr reichten, um die Verbindlichkeiten der kommenden drei Monate zu decken. Dabei sollten die Antragsteller Einnahmen und Ausgaben prognostizieren. „Schon seit Ende vergangenen Jahres laufen Überprüfungsverfahren“, sagt Alexander Littich, Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht beim Beratungsnetzwerk Ecovis. Die jeweiligen Förderbanken der Länder würden, als erste Kontrollinstanz, stichprobenartig und grob prüfen, ob die Angaben bei Antragstellung richtig sind. Sie könnten etwa kontrollieren, ob ein angeblich Gewerbetreibender auch wirklich ein Gewerbe angemeldet hat. „Weil viele Förderbanken im vergangenen Jahr massiv überlastet waren, kommen sie zum Teil aber erst jetzt zu solchen Prüfungen“, sagt Littich.

Relevanter sei aber der zweite Teil der Prüfungen: Dabei wird kontrolliert, ob die erhaltenen Mittel, in der Regel zwischen 5.000 bis 9.000 Euro – in der Spitze jedoch sogar bis zu 50.000 Euro in Sonderfällen -, wirklich zweckgerecht verwendet worden sind. Solche Prüfungen werden oft von Banken angestoßen. Bei Auffälligkeiten, etwa der Einzahlung von Corona-Soforthilfen auf Privatkonten oder einem stillgelegten Konto, meldeten diese einen Verdachtsfall an die Staatsanwaltschaft oder die für Geldwäscheverdachtsfälle zuständige Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU).

„In der Praxis gehen derzeit die meisten Ermittlungen auf solche Meldungen zurück“, so Littich. Er rät Empfängern von Corona-Soforthilfen daher dringend dazu, spätestens jetzt zu überprüfen, ob wirklich Anspruch auf die erhaltenen Mittel bestanden hat und ob diese zweckgerecht eingesetzt worden sind. Auch in der Steuererklärung für 2020 müssen Coronahilfen eingetragen werden. Spätestens beim Finanzamt könnten Fehler dann auffallen. Eine gesonderte Meldestelle soll solchen Fällen nachgehen.

Die Höhe des Anspruchs auf Corona-Soforthilfe orientierte sich am ermittelten Liquiditätsengpass. Doch in der Praxis konnte es schnell dazu kommen, dass dieser letztlich geringer war als ursprünglich gedacht. „Manche Gewerbetreibende haben stärker auf Onlinehandel gesetzt oder ihr Sortiment umgestellt, um Umsatzausfälle zu minimieren“, sagt Littich. Damit könne der Engpass geringer als gedacht ausgefallen sein. Eine solche „Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ binnen drei Monaten nach Antragstellung hätte allerdings gemeldet werden müssen – jedenfalls eigentlich.

In vielen Fällen seien solche Meldungen jedoch unterblieben. „Viele Empfänger sind kleine mittelständische Betriebe, etwa Handwerker, die haben einmal im Leben mit so einem Thema zu tun und lesen da in einer Krisenlage nicht die letzten Detailregeln“, sagt Littich. Immer wieder stellt er fest, dass Betroffene überrascht werden. Viele seien mit der Situation schlicht überfordert gewesen. „Kaum jemand wollte mutwillig Geld behalten, das ihm eigentlich nicht zusteht.“

In solchen Fällen seien Empfänger von Soforthilfe zur unverzüglichen Mitteilung an die jeweilige Förderbank verpflichtet, heißt es etwa beim Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg. Der überzahlte Betrag müsse zurückgezahlt werden. Littich beobachtet, je nach Bundesland, einen unterschiedlichen Umgang mit dem Thema. Manche belassen es bei der Rückforderung. Andere greifen zu härteren Mitteln.

In Berlin würden praktisch nach jeder Rückzahlung strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Schnell stehe der Vorwurf eines Subventionsbetrugs im Raum. „Anders als im Steuerrecht gibt es hier keine strafbefreiende Selbstanzeige“, so Littich. Als Strafe könne es schnell um 60 bis 90 Tagessätze gehen. Für die Staatsanwaltschaften seien die Fälle aber komplex, die Ermittlungen aufwendig. „Wenn sich Empfänger dann melden und den Sachverhalt aufklären, ist das sehr willkommen“, sagt Littich. Meist könne ein öffentliches Hauptverfahren damit vermieden werden.

Für die FDP ein Grund, Lehren zu ziehen und das Steuer- und Hilfssystem für die Zukunft grundsätzlich neu aufzustellen. Seine Partei wolle eine „negative Gewinnsteuer als Kriseninstrument verankern“, sagt Parlamentarier Dürr. „So hätten wir den vom Lockdown betroffenen Betrieben unbürokratisch helfen und die Zahlungen später über eine Steuerentlastung verrechnen können.“

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