Mindestlohn 8,50 Euro machen der Gurke den Garaus

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50, vielleicht 60 Prozent mehr

Über die Jahre investierte er 120 Millionen Euro. Aus einer heruntergekommenen Klitsche wuchs ein profitabler Betrieb mit rund 200 festen Mitarbeitern. Den einstigen Stammsitz im Westen gibt es heute nicht mehr, alles ist in den Osten verlagert, nur der rheinische Klang seiner Stimme ist Linkenheil von dort geblieben. Der Betrieb im kleinen Golßen ist sein Lebenswerk. So was macht stolz. Und empfindlich.

Linkenheil gibt wieder Gas, die Stachelbeeren verschwinden im Rückspiegel. Nach ein paar Minuten Fahrt über seine Ländereien rollt der Mercedes auf ein Gurkenfeld. 20 Hektar, alles bio. Auf den Gurkenfliegern, Lastern mit Tragflächen wie bei einem Flugzeug, liegen bäuchlings die Saisonarbeiter und pflücken die Sträucher ab. Mühsame Arbeit.

Um einen Hektar Gurken abzuernten, sind rund 3000 Arbeitsstunden nötig. Als der Mindestlohn sich ankündigte, vereinbarte die Landwirtschaft mit der Gewerkschaft IG BAU einen Übergangstarifvertrag. Früher bekamen die Polen, Rumänen und Bulgaren hier rund fünf Euro pro Stunde für ihre Plackerei. In diesem Jahr sind es nach Tarif 7,20 Euro, ab Januar 2017 werden es 8,60 Euro sein, Ende 2017 sogar 9,10 Euro – ohne diesen Zuschlag auf den Mindestlohn hätten die Gewerkschafter dem Deal gar nicht zugestimmt.

Satte 50, vielleicht 60 Prozent mehr wird Linkenheil dann für die rohen Gurken zahlen müssen. Nicht, dass er es den Saisonkräften nicht gönnen würde. Aber er selbst kriegt die höheren Kosten nicht voll bei den großen Lebensmittelketten durchgedrückt. Deshalb fährt er die Produktion runter, in diesem Jahr allein wird ein Fünftel weniger Gurken durch seine Produktionslinien laufen. Außerdem benötigt er in diesem Jahr nur 150 statt sonst 250 Helfer im Feld. Zahlen, die einen Abschied auf Raten ankündigen.

Die deutsche Volkswirtschaft wird das wenig beeinträchtigen, auch die Politiker in Berlin nicht, die gerade das erste Halbjahresjubiläum des Mindestlohns gefeiert haben. In den Supermarktregalen stehen künftig eben häufiger günstige Gurken aus Polen, aus Indien oder sonst woher. „Die Spreewaldgurke wandert ins teure Delikatessregal im KaDeWe.“ Konrad Linkenheil wird noch mehr Stachelbeeren pflanzen und das neuerdings so beliebte Obstpüree für Kinder in kleine Quetschbeutel füllen, um seine Angestellten weiter halten zu können.

Irgendwann wird er mit seinem Hund auf die Jagd gehen und in den stillen Wald hineinschauen. Dann, in der Ruhe, wird die Frage in ihm hinaufkriechen, die längst in ihm rumort. Wie das angehen konnte: dass das Unternehmen lebt – aber die Tradition stirbt?

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