




Offensive statt Krise, Attacke statt Defensive: SPD und Grüne machen endlich mal Druck auf die Regierung - man kann den Seufzer der Erleichterung fast hören. Schwarz-Gelb hat die Opposition aber diesmal auch geradezu eingeladen, mit monatelangen rhetorischen Irrungen und Wirrungen in Sachen Mindestlohn/ Lohnuntergrenze.
Ein quer über das Land gültiger, einheitlicher Mindestlohn sei mit der FDP nicht zu machen, tönte es lange von den Liberalen. Das koste Wachstum, vernichte Arbeitsplätze, kurzum: Unfug. Was krachenden Streit in der Sache postulierte, war nichts anderes als Blendwerk. Denn zumindest der Koalitionspartner hatte einen solchen strikten Mindestlohn nie gefordert - sondern Lohnuntergrenzen, die von Arbeitgeber und Arbeitnehmern verhandelt werden sollten, zudem differenziert je nach Region und Branche. Den angeblichen Graben, auf den da mit Inbrunst gezeigt wurde, gab es nie.
Der rot-grüne Vorstoß im Bundesrat (in Brandenburg auch durch die Linke unterstützt), einen gesetzlichen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro einführen zu wollen, ist natürlich vor allem ein Wahlkampfmanöver - aber er ist auch ein Beitrag zur Klärung. Und zur Schärfung der Positionen. Schwarz-Gelb wird gezwungen, endlich die Frage zu beantworten: Wie haltet ihr es mit niedrigen Löhnen?





Die FDP vollzieht dabei - vorsichtig formuliert - die erstaunlichste Wandlung. Von Parteichef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler über Außenminister Guido Westerwelle und Generalsekretär Patrick Döring bis hin zu Frontmann und Fraktionschef Rainer Brüderle drehen plötzlich alle Spitzenliberalen bei und zeigen sich offen für Lohnuntergrenzen. Plötzlich wollen sie erkannt haben, dass in Deutschland hier und da Löhne gezahlt werden, die der sozialen Marktwirtschaft unwürdig sind. Drei Euro pro Stunde hätten mit "Leistungsgerechtigkeit nichts mehr zu tun", findet etwa Westerwelle. Darauf hätte man früher kommen können.
Trotzdem ist das wahrscheinlichste Szenario, dass vor der Bundestagswahl in der Sache nichts mehr passieren wird. Selbst wenn sich Schwarz-Gelb vielleicht schon im nächsten Koalitionsausschuss zu einem Kompromiss durchringen sollte, würde er gegen die neue rot-grüne Mehrheit im Bundesrat niemals Gesetz. Und andersherum wird die dortige Initiative später im Parlament mit Sicherheit ausgebremst.
Der Bundesratsvorstoß von SPD, Linken und Grünen besticht ohnehin nur durch sein gutes Wahlkampf-Timing, nicht aber durch ökonomischen Verstand. 8,50 Euro Stundenlohn, egal ob in Stuttgart oder in der Uckermark, ob für Friseure oder Metzger, dürften zu weniger Beschäftigung führen. Nicht immer und überall, aber doch gerade dort, wo ohnehin von Aufschwung wenig zu merken ist.
Nach den Schein-Abgrenzungen der Vergangenheit könnte die amtierende Regierung jetzt mit einem abgestimmten wie stimmigen Vorschlag zeigen, wo die Vorteile eines flexibleren Vorgehens liegen könnten. Die Historie dieser Koalition aber lehrt eher, dass man darauf nicht hoffen sollte.