Mindestlohn-Entscheidung Was 8,84 Euro für den Osten bedeuten

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Der ganze Unternehmerstolz

Buchholz führt die Bäckerei in vierter Generation. Er ist froh, sie durch die verrückte Wendezeit gebracht zu haben. Vor zwei Jahren schwor er sich: Den Mindestlohn, den schaffe ich auch. Er begann damit, seinen Mitarbeitern Stunden zu kürzen, um Gehalt einzusparen. Doch das reichte nicht. Als Nächstes ging der Bäckermeister das Sortiment an.

50 Kuchensorten produzierten sie vor dem Mindestlohn. Eine Auswahl, die schön für den Kunden ist, aber unschön für die Bilanz. Denn sie ist furchtbar ineffizient: Für jeden Kuchen muss ein anderer Teig angerührt werden, müssen andere Cremes und Beläge hergestellt oder Früchte bestellt werden. Jeder dieser zusätzlichen Schritte kostet Arbeitskraft, die für Buchholz zu teuer geworden ist. Nun können seine Kunden halt nur noch aus 25 Sorten auswählen.

Die Gastronomin Regina Gröger hat nichts gegen gute Löhne, aber der staatliche Zwang macht ihr zu schaffen. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Buchholz kam so ohne Kündigungen aus - aber er besetzte Stellen, die frei wurden, nicht neu. Aus seinen 41 Angestellten wurden 36. Außerdem wurde Buchholz kreativ und stellte zum ersten Mal günstige Lehrlinge nur für den Verkauf ein. "Wie soll ich sagen - eine Verkäuferin alleine schafft es nicht, und zwei sind zu teuer", sagt er, "aber mit einer Verkäuferin und einer Auszubildenden passt es genau."

Der Bäcker hat seinen Betrieb kontrolliert geschrumpft. Anders hätte er den Wandel nicht überlebt. Nur so konnte er den Anstieg der Lohnkosten von 20 auf 5 Prozent drücken. Den Rest der Mehrausgaben holt er über höhere Preise rein.  Das Stück Quarkkuchen kostet jetzt eben 1,55 Euro statt 1,40 Euro. Ein Brötchen 33 Cent statt 30 Cent. Und ein Mischbrot geht nicht mehr für 2,80 Euro, sondern für 2,95 Euro über den Tresen. Buchholz' treue Kundschaft macht es glücklicherweise mit.

So hat sich Buchholz sogar ein wenig Reserve nach oben verschafft. Neun Euro Stundenlohn, das würde er ebenfalls gut packen, glaubt er. Aber, sagt er, es gibt Grenzen - der Belastbarkeit und seiner Anpassungsfähigkeit. "Irgendwann ist Schluss mit Preiserhöhungen. Sonst kaufen alle nur noch beim Discounter."

Die Wirklichkeit von Olaf Buchholz passt nicht recht zu den widerstreitenden Lehren, die über das Wohl und Wehe des Mindestlohns im Umlauf sind. Weder deckt sie sich mit den Märchen des uneingeschränkten Regulierungserfolgs, der der schwächelnden sozialen Marktwirtschaft überhaupt erst wieder Geltung verschafft habe. Ebenso wenig jedoch folgt sie dem Geschrei mancher Ökonomen und Verbandsvertreter, die den Teufel nicht grell genug an die Wand malen konnten.

Gerade die Zunft der Wirtschaftswissenschaftler hat bei Fragen des Mindestlohns in den vergangenen Jahren nicht immer scharf getrennt zwischen Agitation und Analyse. Bis zu einer Million Jobs, menetekelten einzelne Forscher, könnten dem Mindestlohn zum Opfer fallen. Der Aufschwung würde rasiert. Der Arbeitsmarkt blockiert. Die Depression schien nah.

Es kam dann anders.

Wo sich der Mindestlohn für Praktikanten bezahlt macht
Ein Stempel mit dem Stempeltext Mindestlohn Quelle: dpa
Professionelle Programmierer Quelle: dpa
Energie-Branche Quelle: Fotolia
Praktika im Bereich Konsum- & Gebrauchsgüter Quelle: dpa/dpaweb
Praktika in der Chemiebranche Quelle: dpa
Baugewerbe & -industrie Quelle: Fotolia
Praktikanten im Bereich Transport und Logistik haben nach Einführung des Mindestlohns mehr bekommen Quelle: Fotolia

Oliver Holtemöller kann für sich in Anspruch nehmen, deutlich näher an der Wahrheit gelegen zu haben. Der Professor für Volkswirtschaftslehre leitet als stellvertretender Vorsitzender das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, das zweimal im Jahr mit drei weiteren Instituten für den Bundeswirtschaftsminister die Gemeinschaftsdiagnose erstellt. Was Holtemöller und Kollegen in ihrem Frühjahrsgutachten 2014 skizzierten, ein gutes halbes Jahr vor der Einführung des Mindestlohns, erscheint rückblickend ziemlich treffend.  Spürbare Einschläge auf dem Arbeitsmarkt prophezeiten sie in einer Größenordnung von bis zu 200 000 Stellen, vor allem bei den schlecht bezahlten Minijobs, und das wiederum verstärkt im Osten.

Bei den 450-Euro-Jobs gibt es in der Tat eine Zeit vor und nach dem Mindestlohn, die Klippe ist unübersehbar. Gerade Rentner, Schüler und Studenten haben ihre beliebten Zubrotjobs verloren, weil sie zu teuer geworden sind.  Ungelernte Arbeiter wiederum arbeiten in Ostdeutschland eindeutig weniger Stunden als vor dem Mindestlohn, auch das können die Fachleute bereits sehen.

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