Ansonsten, so hat es das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung analysiert, dürfte die Untergrenze dazu geführt haben, dass rund 60 000 neue Arbeitsplätze weniger entstanden sind, als es ohne der Fall gewesen wäre. Der gesamtdeutsche Boom fällt also nicht aus, er wird gebremst.
Man sollte Oliver Holtemöller deshalb zuhören, weil er ein Kritiker ist, aber kein Apokalyptiker war. Ist diese erste Bilanz nun schwarz oder weiß? Man muss wohl sagen: eine grau schattierte. Der Mindestlohn, sagt der Ökonom, bleibe dennoch "ein großer wirtschaftspolitischer Eingriff", gerade im Osten. "Wo die Einkommen niedriger sind, ist der Lohnkostenanstieg eben am größten." Wenn die Untergrenze nun bereits 2017 weiter nach oben geschoben werde, sei nichts Gutes zu erwarten. "Der wirtschaftliche Druck im Kessel steigt."
Dann wird er grundsätzlich. Eigentlich ginge es ja um das Problem geringer Löhne. Und die hätten schließlich meistens damit zu tun, dass die betroffenen Arbeitnehmer gesundheitlich eingeschränkt seien, ihre Qualifikation mangelhaft sei oder die Kita-Versorgung unzureichend, sodass sie nicht ganztags zur Verfügung stehen. "Der Mindestlohn behebt keines dieser drei Probleme, er adressiert nur die Symptome", kritisiert Holtemöller. Es wird nicht über Schulabbrecher geredet, über mehr Erzieher oder Rehabilitationskurse, sondern lieber über plakative Zahlen. Kurzfristige politische Geländegewinne schlagen die langfristige Ursachenbekämpfung. "Echte Armutsbekämpfung sieht anders aus."
Vielleicht ist dies die größte Schwäche des Mindestlohns: dass er vorgibt, soziale Missstände an der Wurzel zu packen, aber eigentlich nur ein bisschen am Unkraut zupft. Und dass er die Kluft zwischen anpackenden Unternehmern draußen im Land und der Politik noch tiefer und breiter geschlagen hat. Es wird zwar schlecht übereinander geredet, aber zu sagen hat man sich nichts.
Kalte Verachtung
Regina Gröger fragt sich jedenfalls fast jeden Tag, was sie eigentlich für ihre Arbeit an Wertschätzung bekommt. Für die Hektik an sieben Tagen die Woche mit gut und gerne zwölf Stunden - täglich, versteht sich. Eine rhetorische Frage, Gröger weiß das natürlich. Sie kriecht trotzdem immer wieder in ihr hoch.
Die 66-Jährige ist gebürtige Dessauerin, sie lebt in Dessau, sie hat Arbeitsplätze geschaffen in Dessau. Drei Restaurants betreibt sie hier, mit 55 festen Mitarbeitern und mehr als einem Dutzend zusätzlicher Minijobber. Für die Politik hat die Gastronomin eigentlich nur noch kalte Verachtung übrig. Weil die kein Verständnis hat für ihre Situation. Vor etwas mehr als drei Jahren übernahm Gröger das Kornhaus, ein Bauhaus-Kleinod direkt auf dem Deich an einer Elbschleife.
Als Erstes kontaktierte sie das Denkmalschutzamt, engagierte einen Historiker und ließ den Bau wieder in den Zustand von 1930 versetzen. Sie baute Lampen nach, riss den Teppich heraus, kopierte den Originalfußboden und rekonstruierte alte Wandfarben. Einen sechsstelligen Kredit investierte sie in die Renaissance der eleganten Bauhaus-Sachlichkeit. Sie wollte es richtig machen oder gar nicht.
So hoch ist das Gehaltsniveau in Deutschland
Das Vergleichsportal Gehalt.de hat die Gehälter von 448.997 Arbeitsverhältnissen analysiert und dabei nach Bundesland, Hauptstadt, Region, Geschlecht, Firmengröße, Wirtschaftssektor, Führungsverantwortung und Berufseinstiegsgehalt differenziert. Quelle: Gehaltsatlas http://www.gehalt.de/downloads/presse/gehaltsatlas-2015-Gehalt-de.pdf
In München werden die höchsten Löhne gezahlt: Das Lohnniveau in der bayerischen Landeshauptstadt liegt 20,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Auch in Stuttgart (+19 Prozent) und Düsseldorf (+14 Prozent) sind die Gehälter überdurchschnittlich. Und das gehaltsstärkste Bundesland ist Baden-Württemberg. „Im Süden und im Westen werden zwar sehr gute Löhne gezahlt, allerdings sind hier die Lebenshaltungskosten entsprechend hoch. Arbeitnehmer, die ihren Job wechseln möchten, sollten diesen Aspekt stets vor Augen haben und gut kalkulieren“, sagt Artur Jagiello von Gehalt.de.
Noch immer herrschen große Unterschieden zwischen Ost und West. Die Gehaltsspanne zwischen dem vergütungsschwächsten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und Baden Württemberg mit dem höchsten Lohnniveau in Deutschland liegt bei 33 Prozent. Laut Untersuchung von Gehalt.de befinden sich alle neuen Bundesländer auf einem unterdurchschnittlichen Vergütungsniveau.
Im Vergleich der Landeshauptstädte belegen entsprechend Erfurt (-20 Prozent), Magdeburg (-23 Prozent) und Schwerin (-26 Prozent) die letzten Plätze. Die Gehaltslücke zwischen München und Erfurt liegt demnach bei 46 Prozent.
Bei der Betrachtung der regionalen Unterschiede nach ihren Postleitzahlen befinden sich die Gebiete mit den Anfangsziffern 0 und 1 auf den hinteren Rängen. Diese decken zum größten Teil die neuen Bundesländer ab. Dahinter folgen die Regionen mit der Postleitzahl 9 am Anfang. Hierzu gehören auch Teile des gehaltsstarken Bayerns sowie strukturschwächere Gebiete in Thüringen. Die besten Gehälter werden in Regionen mit den Anfangsziffern 8, 6, 7, 4 und 5 gezahlt.
Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin sind zwar beliebt, die Löhne jedoch geringer. In Berlin zahlen Arbeitgeber rund sieben Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt. „Durch die Beliebtheit von Großstädten müssen die dort ansässigen Unternehmen nicht ganz so stark mit dem Gehalt locken, wie es im ländlichen Bereich der Fall ist“, erklärt Jagiello.
Die höchsten Gehälter können Akademiker in den südlichen Bundesländern erwarten. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt verdienen Uniabsolventen in Baden-Württemberg mit einem Plus 7,5 Prozent mehr Lohn am besten. Die hinteren Ränge belegen auch bei dieser Vergleichsgruppe die neuen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Nach wie vor verdienen Frauen weniger als Männer. Je nach Bundesland ergeben sich laut Studie unterschiedliche Entgeltlücken – die größte in Baden-Württemberg. Hier bekommen Arbeitnehmerinnen 37 Prozent weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen. Allerdings werden hier die höchsten Löhne gezahlt. Einzig in Hessen (93,3 Prozent) und Hamburg (89,4 Prozent) verdienen Frauen im Schnitt besser als in Baden-Württemberg (87,1 Prozent). Mit rund 17 Prozent ist die Lücke in Mecklenburg-Vorpommern am kleinsten. Hier werden jedoch auch die geringsten Gehälter gezahlt.
Gröger sitzt auf der Terrasse ihres Kornhauses und blickt auf den ebenso träge wie mächtig dahinziehenden Strom und die sattgrünen Elbauen. Kein Gebäude weit und breit außer ihrem, ein gesegnetes Plätzchen. Sie weiß das, sie will hier Geld verdienen und erwartet keinen Dank, aber ist es denn zu viel verlangt, dass einem wenigstens keine Hürden in den Weg gelegt werden?
Mit der Energiewende stiegen zuerst die Strompreise. Als sie mehr Geburtstagsfeiern und Hochzeiten akquirierte, um den dringend nötigen Zusatzumsatz zu machen, schlug als Nächstes die Gema mit immer höheren Gebühren zu. Sie schrieb ihrem Bundestagsabgeordneten einen langen Brief dazu, in dem sie ihre Schwierigkeiten schilderte. Als Antwort kam: nichts. "Der Mindestlohn", sagt sie, "war das letzte Tröpfchen, der hat das Fass zum Überlaufen gebracht." Die Kosten, der zusätzliche Papierkram, überall Paragrafenfallen. Manchmal sieht sie Andrea Nahles, die verantwortliche Bundesarbeitsministerin, im Fernsehen. Dann gehen ihr "die Haare hoch".