1) 8,50 Euro plus x: Druck auf die Mindestlohn-Kommission
Politisch die unterste Grenze einziehen, aber alles Weitere schön den Tarifpartnern überlassen – das war die Idee hinter der Mindestlohn-Kommission. Mitte 2016 muss der Rat unter dem Vorsitz des ehemaligen RWE-Vorstands Jan Zilius seine erste, mit Hochspannung erwartete Empfehlung abgeben. Soll der Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde zum 1. Januar 2017 steigen – oder besser nicht?
Den sieben Mitgliedern – jeweils drei Gewerkschaftern und Arbeitgebervertretern sowie Zilius – und den zwei beratenden Ökonomen ohne Stimmrecht dürfte eine Menge Aufmerksamkeit zukommen; vielleicht mehr, als ihnen lieb ist.
Die Kommission arbeitet zwar mit einem dezidiert unabhängigen Mandat, aber entpolitisiert ist die Mindestlohnfrage damit noch lange nicht. Das hängt auch 2016 vor allem mit dem bestimmenden Thema des Jahres 2015 zusammen: den Flüchtlingen. Das Lohn-Gremium soll sich, so steht es als Leitplanke im Gesetz, an der Entwicklung der Tariflöhne orientieren. Demnach dürfte kommendes Jahr nur eines herauskommen: eine Empfehlung, den Mindestlohn heraufzusetzen. Denn die Löhne sind in Deutschland zuletzt überall gestiegen, zum Teil sogar kräftig. 8,60 Euro, vielleicht sogar 8,65 Euro wären also denkbar.
Genauso wichtig allerdings ist es, die Folgen für den Arbeitsmarkt zu bedenken. Bislang hat der Mindestlohn fast keine negativen Spuren hinterlassen. Aber muss das so bleiben? Hier kommen die Flüchtlinge ins Spiel. Im kommenden Jahr werden die Arbeitsmarktstatistiker erstmals in ihren Zahlen ausweisen müssen, dass viele, gerade ungelernte Flüchtlinge nicht ohne weiteres in Jobs vermittelt werden können. Es fehlt ihnen wahrlich nicht an Motivation, sondern an Deutschkenntnissen, Qualifikationen, Erfahrung.
In dieser Gemengelage wird die Kommission überzeugende Antworten formulieren müssen: Riegelt ein höherer Mindestlohn den Arbeitsmarkt gerade für die Schwächsten zur Unzeit ab? Oder gibt es andere Möglichkeiten, Hürden zu senken? Und was wäre das für ein Signal, wenn gerade die Niedrigverdiener wegen der Zuwanderung zurückstecken müssten?
Es wird interessant zu beobachten sein, wie die Politik mit den Empfehlungen der noch jungen Kommission umgeht. 2016 beginnen schließlich die ersten Positionierungen für den Bundestagswahlkampf. Aus Perspektive der Mindestlohn-Experten kann man aus der Lage aber auch Mut ziehen: Unabhängigkeit sichert man gerade in schwierigen Zeiten. Und mit unbequemen Forderungen.
2) Flexibilisieren oder regulieren: Zeitarbeit und Werkverträge
Mitte Dezember kamen Arbeitgeber, Gewerkschafter und Vertreter des Arbeitsministeriums auf Einladung des Kanzleramtes zu einem Gespräch zusammen. Der einzige Tagesordnungspunkt: das neueste Vorhaben aus dem Hause Andrea Nahles (SPD). Genauer gesagt: der Streit darum.
Mit Geschick und Ruhe hat die Arbeitsministerin die dicksten und prestigeträchtigsten Bretter in ihrem Ressort bereits durchbohrt. Sowohl der Mindestlohn als auch die Rentenreform, so umstritten und umkämpft sie auch waren, stehen längst im Gesetzblatt, ebenso die Tarifeinheit. Doch die geplante Reform von Zeitarbeit und Werkverträgen dürfte deutlich schwieriger werden.
Warum? Ungewöhnlich früh im Gesetzgebungsprozess hat sich diesmal die Bundeskanzlerin eingeschaltet. Auf dem Arbeitgebertag Ende November warf sich Angela Merkel höchstselbst als Verteidigerin der Wirtschaftsinteressen in die Bresche. Bei den Werkverträgen, sagte Merkel, gehe Nahles in ihrem Entwurf deutlich über den Koalitionsvertrag hinaus: „Hier verstehe ich mich als Wächterin des Koalitionsvertrages.“
Das wurde von den Anwesenden als Versprechen gewertet: das drehen wir wieder zurück. Kurz vor Weihnachten legt dann noch Unions-Fraktionschef Volker Kauder nach: der Entwurf sei vorerst „gestoppt“, sagt er im WirtschaftsWoche-Interview. Beides waren Ausrufezeichen in Richtung Koalitionspartner.
Sondieren und einen Kompromiss verhandeln muss nun Kanzleramtschef Peter Altmaier. Das vorweihnachtliche Treffen an seinem Tisch brachte allerdings noch keinerlei Einigung. Das Nahles-Lager betont, man halte sich sowohl bei Zeitarbeit (mit grundsätzlich 18 Monaten maximaler Verleihdauer und Equal-Pay-Gebot nach neun Monaten) als auch bei den Werkverträgen (Kriterien der Rechtsprechung werden gesetzlich niedergeschrieben) klar an die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag.
Mitnichten – so tönt es vom Wirtschaftsflügel der Union und von Unternehmern. Vor allem die heikle Regulierung der Werkverträge wird heftig attackiert: entgegen der Nahles-Rhetorik sei das der eindeutige Versuch, Flexibilisierungs-Instrumente einzudämmen. Werkverträge – selbst die absolut gängigen und unumstrittenen – könnten in Zukunft unmöglich gemacht, lautet die scharfe Warnung.
Die erfolgsverwöhnte Arbeitsministerin muss sich dieses Mal auf hartnäckigeren Widerstand als in der Vergangenheit einrichten. Wenigstens einmal wollen die Wirtschaftspolitiker aus CDU und CSU nicht als zahnlose Tigerchen enden.
3) Die Geschlechter-Lücke schließen: Gleicher Lohn für Frauen und Männer
Selten ist mit Zahlen und Daten derart viel Stimmung gemacht worden, wie mit diesen: Laut Statistischem Bundesamt verdienen Frauen in Deutschland rund 22 Prozent weniger als Männer. Selten fehlt dann allerdings der Gegenangriff, und der ist ebenfalls munitioniert mit Statistik: Rechnet man nämlich heraus, dass Frauen häufig in schlechter bezahlten Branchen arbeiten, häufiger und Teilzeit und wegen Schwangerschaften nicht so schnell Karriere machen wie manche Männer, dann schrumpft diese Lohn-Lücke auf deutlich unter zehn Prozent.
Ein wesentlicher Teil der Lohnlücke wäre dann nicht mit Diskriminierung, sondern mit individuellen Lebensentscheidungen, Bildung oder gar schlicht Verhandlungsgeschick zu erklären.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Berechnung stützt sich allein auf den durchschnittlichen Stundenlohn. Aus den 21 Prozent lässt sich also nicht ableiten, dass alle Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Die Qualifikation der Beschäftigten und ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten, wird nicht berücksichtigt. Daran stören sich Kritiker. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wendet zum Beispiel ein, die Berechnung sei „kein Indikator für mögliche Diskriminierung, denn er vergleicht eben gerade nicht vergleichbare Tätigkeiten miteinander“.
Die Statistiker führen rund zwei Drittel der Differenz darauf zurück, dass Frauen in eher schlechter bezahlten Berufen tätig sind - zum Beispiel als Reinigungskraft (Frauenanteil 85 Prozent) oder Verkäuferin (73 Prozent). Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, deutlich weniger in höheren Führungsebenen.
Das letzte Drittel der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich daraus aber nicht erklären: Dem Statistischen Bundesamt zufolge verdienen Frauen auch bei ähnlicher Tätigkeit und Qualifikation im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen häufiger eine Auszeit vom Beruf nehmen - um sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen. Und sie treten bei Gehaltsverhandlungen anders auf.
Denkbar schlecht. EU-weit betrug der Rückstand 2013 lediglich 16 Prozent. In Slowenien zum Beispiel verdienten Frauen im Schnitt 3,2 Prozent weniger als Männer, in Italien 7,3 Prozent. Nur in Estland (30 Prozent), Österreich (23 Prozent) und Tschechien (22 Prozent) war die Lücke noch größer als hierzulande.
Davon gehen Experten zumindest aus. „Wenn der Mindestlohn eingehalten wird, werden Frauen davon profitieren, weil eben der größere Teil derjenigen, die unter 8,50 Euro verdient haben, Frauen waren“, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch Hermann Gartner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet einen solchen Effekt. Erhebungen gibt es aber noch nicht.
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die Entwicklung zumindest abzumildern. Ein Ziel ist demnach, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte künftig transparenter machen sollen, was Frauen und Männer verdienen. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht.
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat sich dennoch vorgenommen, diesen Graben zuzuschütten. Kurz vor dem SPD-Parteitag Mitte Dezember legte sie Eckpunkte eines Gesetzes vor, die genau den gewünschten Effekt hatte: die Genossen jubelten und die Wirtschaft lief Sturm.
Konkret will Schwesig mit ihrem sogenannten Entgeltgleichheitsgesetz folgendes: Arbeitnehmer (egal, ob Mann oder Frau) bekommen künftig ein Auskunftsrecht, was Kollegen in vergleichbarer Position verdienen, um künftig besser verhandeln zu können; Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sollen zudem über die Geschlechter-Lücke in ihren Häusern mit Berichten Rechenschaft ablegen.
Ebenfalls umstritten sind weitere Vorstöße: So sollen künftig in Stellenanzeigen die Mindestgehälter angegeben und Mitarbeiter von der Schweigepflicht entbunden werden, falls sie über ihr Einkommen sprechen wollen.
Das Entgeltgesetz dürfte zu heftigen Kontroversen führen: Weil die Details so kompliziert sind, taugt der Plan für beide Seiten zur Profilierung: Die SPD will sich als Vorkämpferin für Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte positionieren, die Union wieder als Lordsiegelbewahrer der Unternehmensinteressen, die Bürokratiewahn geißeln.
Diese Schlachtordnung in einem Jahr mit fünf Landtagswahlen und einer heranziehenden Bundestagswahl verspricht blutige Duelle – rein politisch, natürlich.