Mindestlohnkommission Wirtschaft und Gewerkschaften streiten über künftigen Mindestlohn

In der Coronakrise ist die Anpassung des Mindestlohns umstrittener als sonst. Rein statistisch läge die neue Grenze bei 9,82 Euro, doch die Kommission könnte davon abweichen.

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Aktuell liegt der Mindestlohn bei 9,35 Euro. Quelle: dpa

Vor der entscheidenden Sitzung der Mindestlohnkommission zur Festlegung einer neuen gesetzlichen Lohnuntergrenze ab Januar 2021 werden tiefe Gräben in der Kommission sichtbar. Die Gewerkschaften fordern eine spürbare Anhebung des Mindestlohns, der heute bei 9,35 Euro pro Stunde liegt. Die Arbeitgebervertreter warnen angesichts der Belastungen vieler Unternehmen in der Coronakrise vor zu großen Erhöhungen.

Er habe kein Verständnis dafür, „wenn sich in diesen Zeiten Politik und Gewerkschaften mit öffentlichen Vorschlägen geradezu überschlagen“, sagte Steffen Kampeter, der für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) in der Kommission sitzt, der Deutschen Presse-Agentur. Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und ebenfalls Mitglied der Mindestlohnkommission sagte der dpa, viele Arbeitnehmer, die vor kurzem noch beklatscht worden seien, weil sie die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet hätten, verdienten am unteren Ende der Lohnskala. „Dass sie sich jetzt in Verzicht üben sollen, kommt nicht infrage.“

Am Dienstag triff sich die Kommission zu ihrer entscheidenden Sitzung und wird gegen Mittag ihren Vorschlag über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns ab Januar 2021 vorlegen. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015 in Deutschland. Zum Start lag er bei 8,50 Euro die Stunde und ist seitdem mehrfach in kleinen Schritten erhöht worden.

Laut Mindestlohngesetz muss eine aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern, zwei Wissenschaftlern und einem Vorsitzenden besetzte Kommission alle zwei Jahre die künftige Höhe der Lohnuntergrenze neu festlegen. Den Vorschlag des Gremiums kann die Bundesregierung dann per Verordnung verbindlich machen. Stimmberechtigt sind die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Kommt es zum Patt, kann der Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herstellen.

10-Euro-Grenze in Sichtweite

Zur konkret möglichen Mindestlohnhöhe ab Januar 2021 machte vorab keine Seite genaue Angaben. Eine maßgebliche Grundlage bei der Entscheidung sind Daten des Statistischen Bundesamtes zu den Tariferhöhungen der vergangenen beiden Jahre. Bereits im Februar war bekanntgeworden, dass auf dieser Basis der Mindestlohn im kommenden Jahr auf 9,82 Euro angehoben werden könnte. Die 10-Euro-Grenze wäre also in Sichtweite, aber nicht erreicht.

Gewerkschaftsvertreter fordern mehr und argumentieren, dass eine reine Orientierung an der Tarifentwicklung nicht ausreiche und eine Gesamtabwägung stattfinden müsse. Körzell sagte vor wenigen Tagen in einem Video-Interview bei dgb.de: „Wir kämpfen da um jeden Cent, der noch herauszuholen ist“.

Im Mindestlohngesetz ist neben der Orientierung an den Tarifen vorgegeben, dass die Kommission „im Rahmen einer Gesamtabwägung“, prüft, „welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden“.

Arbeitgeber warnen vor Belastungen

Auf diesen Passus verweist auch die Arbeitgeberseite. Zu den Anpassungskriterien der Mindestlohnentwicklung gehöre die Vorgabe, Beschäftigung nicht zu gefährden, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter. Er sprach im Zusammenhang mit Corona von einer „so noch nie da gewesenen Wirtschaftskrise“.

Am Ende brauche man ein ausbalanciertes Ergebnis für eine stabile Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklung. Der Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Karl-Sebastian Schulte, ebenfalls Mitglied der Mindestlohnkommission, sprach von einer „beispiellosen Rezession“. „Der gesetzlichen Vorgabe, Beschäftigung nicht zu gefährden, kommt dieses Mal eine besondere Bedeutung zu“, sagte er mit Blick auf die anstehende Mindestlohnentscheidung.

Nach Ansicht der Gewerkschaften wäre es gerade jetzt wichtig, den Mindestlohn kräftig zu erhöhen, um die Kaufkraft zu stärken und damit den Konsum anzukurbeln. „In der aktuellen Situation beim Mindestlohn die Handbremse anzuziehen, wäre das falsche Signal“, sagte Körzell. Andrea Kocsis, die als stellvertretende Vorsitzende die Gewerkschaft Verdi in der Kommission vertritt, sagte der dpa: „Gute und für uns alle wichtige Arbeit muss ordentlich entlohnt werden, das zeigt sich in Zeiten der Pandemie nochmal besonders deutlich“.

Die Gewerkschaften fordern schon lange einen deutlichen Sprung beim Mindestlohn und haben das vor der Sitzung der Kommission noch einmal bekräftigt. IG-BAU-Chef und Mindestlohnkommissionsmitglied Robert Feiger sagte der dpa: Der Mindestlohn müsse weiter ausgebaut werden, damit jeder von seiner Hände Arbeit leben könne. Perspektivisch fordere man einen Mindestlohn von 12 Euro. Die Arbeitnehmervertreter argumentieren, dass der aktuelle Mindestlohn von 9,35 Euro zu einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze führe. Zudem drohe Altersarmut wegen zu geringer Rentenansprüche, die damit erworben würden.

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