Ministerpräsident im Interview Oettinger: "Ein kurzer, harter Wahlkampf"

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger warnt vor einem Linksruck der CDU, präferiert eine Insolvenz der HRE und lobt die föderale Schuldenbremse.

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Der baden-württembergische Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Ministerpräsident, ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl liegt die Union in Umfragen nur bei 34 Prozent. Erschrickt Sie das?

Oettinger: Nach einem Wahlkampf um die Frage, wer das Kanzleramt übernehmen soll, traue ich der Union ein Ergebnis von 40 Prozent zu. Damit hätten wir die Aufgabe erfüllt, dass es zu einer bürgerlich-liberalen Koalition mit der FDP kommen kann.

Der Rücktritt von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos verdeutlicht, dass die Union ihre frühere Stärke in der Wirtschaftspolitik derzeit nicht darstellen kann. Woran liegt das?

Die SPD rückt in Teilen von den Beschlüssen der Agenda 2010 ab und damit ein Stück weit nach links. Damit sind die Ergebnisse einer großen Koalition immer Kompromisse, die den Blick auf unser Originalprogramm verstellen. Dazu kommt: Die Krise ist für manche marktwirtschaftlichen Grundsätze nicht die ideale Zeit. Deshalb müssen wir im kommenden Wahlkampf deutlich unterscheiden zwischen dem, was in der Koalition machbar war und der ordnungspolitischen Leitlinie, der die Union künftig folgen soll.

In Teilen rückt auch die Union von der Agenda 2010 ab – Ihr nordrhein-westfälischer Amtskollege Jürgen Rüttgers hat etwa die Verlängerung des Arbeitslosengeldes II durchgesetzt.

Die Union ruht als Volkspartei auf drei Säulen – der Säule der Sozialpolitik und der christlichen Soziallehre, auf der liberalen und auf der konservativen Säule. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Aber wir müssen darauf achten, nicht im Sog einer nach links driftenden SPD ebenfalls nach links zu rücken. Deshalb brauchen wir ein Wahlprogramm, das die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft herausstellt. Und wenn Anfang Juli der Bundestag in die Sommerpause geht, muss die Union einen kurzen, harten Wahlkampf führen und sich bis zur Bundestagswahl am 27. September klar von der SPD abgrenzen.

Wie muss das Unions-Wahlprogramm aussehen?

Erstens die Rezession überwinden. Zweitens für ein starkes Wirtschaftswachstum sorgen, sodass die Steuereinnahmen wieder fließen. Damit müssen wir drittens die Neuverschuldung auf null senken. Dann haben wir viertens ab 2011 Spielraum, um die Steuern zu senken.

Volker Kauder, Unions-Fraktionschef im Bundestag, fordert 25 Milliarden Euro Entlastung.

Ich stimme in der Dimension mit Volker Kauder überein. Eine gewisse Steuersenkung ist auch im Konjunkturprogramm II enthalten. Ich will mich bei einer großen Steuerreform jedoch nicht auf ein Jahr festlegen, sondern erst den Aufschwung abwarten, um dann solide die Bürger und Unternehmen entlasten zu können.

Wer in der Union verkörpert nach Friedrich Merz noch die wirtschaftsliberale Säule?

Friedrich Merz war ein glänzender Debattenredner und konnte in Talkshows überzeugen. Aber auch mit Reinhard Göhner und Matthias Wissmann hat die Union exzellente Wirtschaftspolitiker verloren. Dennoch verfügen CDU und CSU über genügend Männer und Frauen, die die soziale Marktwirtschaft und Ordnungspolitik verkörpern können; ein Beispiel ist der neue Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg...

...dessen Interesse bislang eher der Außenpolitik galt.

Er tritt sein Amt mit dem Verständnis an, Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesregierung anzumahnen, und ich erwarte, dass er sehr schnell in die erste Reihe der Bundespolitik vordringt und seine Stimme nicht nur in Wirtschaftsfragen, sondern auch in der Umwelt- Energie- und Finanzpolitik erhebt.

In allen diesen Fragen macht Bundeskanzlerin Angela Merkel zu viele Kompromisse?

Es war nicht zwingend nötig, den Sozialdemokraten bei den Mindestlöhnen so weit entgegenzukommen. Dabei geht es mir weniger um die Branchen im Einzelnen, obwohl ich Mindestlöhne für die Zeitarbeit für völlig verfehlt halte, sondern es geht mir um die Grundphilosophie, dass sich der Gesetzgeber um die Lohnfindung kümmert. Das ist eine originäre Aufgabe der Tarifpartner. Ab jetzt sollten wir in der großen Koalition nur noch Projekte beschließen, die mit unserer Programmatik in Einklang stehen.

Zählt dazu auch ein Deutschlandfonds im Sinne von Rüttgers, also die Rettung von Unternehmen mithilfe staatlicher Beteiligung?

Nein. Ich setze hier auf das Hausbankenprinzip. Wir müssen alles tun, damit die Banken handlungsfähig werden und gerade in Zeiten der Rezession die Finanzierung der Wirtschaft ermöglichen, und ich setze zweitens darauf, dass der Staat wie bisher auch mit Garantien und Bürgschaften über die öffentlich-rechtlichen Förderbanken sich am Risiko der Banken beteiligen. Dabei müssen wir mit Sicherheit den Bürgschaftsrahmen deutlich erhöhen, was ja auch mit dem am 20. Februar im Bundesrat zu verabschiedenden Programm geschieht.

Bei der angeschlagenen Hypo Real Estate Bank (HRE) denkt die Bundesregierung sogar an eine Verstaatlichung. Kann die Union als Sachwalterin der Marktwirtschaft das mittragen?

Ich halte eine Enteignung für bedenklich. Der bessere Weg ist ein Einstieg des Staates über eine Kapitalerhöhung, und zwar im Einvernehmen mit den bisherigen Aktionären.

Und wenn die Alteigentümer sich weigern?

Die Frage ist doch, ob die HRE um jeden Preis erhalten werden muss.

Muss sie das?

Davon bin ich nicht überzeugt. Möglich wäre auch, dass die HRE in ein Insolvenzverfahren käme. Dann wären zwar alle beteiligten Banken zu Wertberichtigungen gezwungen. Aber den in Deutschland betroffenen Banken könnten wir dann zielgenauer und möglicherweise auch kostengünstiger helfen als durch eine in ihrer rechtlichen Dimension und finanziellen Auswirkung nicht überschaubare Verstaatlichung dieser Bank. Ich erwarte zumindest, dass die Bundesregierung diese Alternative prüft. Mir wird in Berlin etwas zu schnell davon gesprochen, dass diese Bank und ihr wirtschaftlicher Erhalt zwingend notwendig seien.

Trotz 480 Milliarden Euro für den Bankenrettungsschirm ächzt die Realwirtschaft über die Kreditklemme. Was kann die Politik tun?

Die operative Tätigkeit der Banken können wir nur wiederherstellen, wenn die vergifteten Bankenbeteiligungen nicht weiter die Eigenkapitalbasis verringern. Deshalb bin ich für eine Abwicklungsbank...

...Sie meinen eine Bad Bank?

Ich rede nicht von einer staatlichen Bank, bei der die Banken alles abladen können, was stinkt. Vielmehr sollte eine solche Bank die vergifteten Produkte aufnehmen, verwalten und anfallende Wertberichtigungen oder Verluste dann an die Banken zurückreichen, wenn die akute Krise vorüber ist und die Banken das besser verkraften können. So können wir verhindern, dass Buchverluste zum jetzigen ungünstigsten Zeitpunkt entstehen.

Wie schlimm ist die Wirtschaftskrise im industrie- und exportlastigen Baden-Württemberg?

In normalen Zeiten ist unsere Exportstärke ein Vorteil. Sie macht uns unabhängig von Schwankungen der Binnenkonjunktur. Derzeit haben wir den bislang einzigartigen Fall einer globalen Krise, und das ist nun ein Nachteil. Das Gute dabei ist, wir fertigen vor allem Investitionsgüter. In der Krise mögen viele Unternehmen auf neue Pressen oder Druckmaschinen verzichten, aber irgendwann später müssen sie diese Investitionen nachholen. Unsere Wirtschaft muss also 12 bis 18 Monate überstehen, kräftig in Forschung und Entwicklung investieren und ist deshalb auch auf funktionierende Banken angewiesen. Ab September dieses Jahres rechne ich aber mit ersten Impulsen, und im zweiten oder dritten Quartal 2010 werden wir wieder ein richtiges Wirtschaftswachstum erleben.

In Ihrem Bundesland verfügen Sie über große ökonomische Kompetenz. Warum bringen Sie sich nicht stärker in die Bundespolitik ein?

Das tue ich, aber mir geht es nicht darum, bundesweit Schlagzeilen zu machen. Ich nehme alle Möglichkeiten in den Gremien wahr – im Bundesrat, im Präsidium und im Bundesvorstand meiner Partei bin ich präsent und auch für einen marktwirtschaftlichen Kurs bekannt. Grundlage ist eine gute Debattenkultur im Inneren und Geschlossenheit nach Außen.

Spielen Sie auf Horst Seehofer an, der die Union kräftig aufmischt und vor Konflikten mit Bundeskanzlerin Merkel nicht zurückschreckt?

Horst Seehofer hat zumindest das Gesicht der CSU auf Bundesebene sichtbarer gemacht. Ich halte Streit im Übrigen für unschädlich und vorteilhaft, wenn er begrenzt ist und zu positiven Ergebnissen führt. Eine bürgerliche Partei muss schließlich Geschlossenheit wahren. Und Seehofer schafft die Balance sehr gut.

Die Föderalismus-Kommission hat einen Durchbruch bei der Schuldenbremse für Bund und Länder erzielt. Kann keiner mehr querschießen?

Ganz sicher kann ich noch nicht sein. Die parlamentarischen Beratungen werden noch bis Juni dauern. Hilfreich bei den Verhandlungen ist jedoch – und das mag seltsam klingen – die Wirtschafts- und Finanzkrise. Wir erleben 2009 und 2010 Neuverschuldungsrekorde, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro summieren. Das führt allen Beteiligten die Dramatik und die Notwendigkeit einer Schuldenbremse vor Augen.

Hans Eichel wollte 2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, Peer Steinbrück 2011, und nun peilen Sie für 2020 einen ausgeglichenen öffentlichen Haushalt an. Warum soll es beim nächsten Mal endlich klappen?

Weil wir die Verschuldungsregeln im Grundgesetz verschärfen. Weil wir die Finanzhilfen für ärmere Bundesländer an Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung knüpfen. Und weil die Bürger sensibler auf neue Schulden reagieren werden.

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