Mitgliederentscheid Für die SPD starten die Stunden des Zitterns

Die SPD beginnt mit der Auszählung des Mitgliederentscheids. Nicht nur die Genossen sind nervös, auch Kanzlerin Merkel muss zittern.

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SPD-Votum zur GroKo: Für die SPD starten die Stunden des Zitterns Quelle: dpa

Berlin An diesem Samstagnachmittag treffen im Willy-Brandt-Haus brisante Unterlagen ein. Per Lastwagen werden die Stimmzettel gebracht, auf denen in den vergangenen Tagen und Wochen die SPD-Mitglieder angekreuzt haben, ob sie einer Neuauflage der Großen Koalition zustimmen. Mehr als 463.000 Genossen durften an dem Votum teilnehmen, die Beteiligung soll hoch sein. Rund 120 ehrenamtliche Helfer werden in der SPD-Zentrale nun auszählen. Am Sonntagmorgen soll das Ergebnis verkündet werden.

Damit haben in Berlin bange Stunden des Wartens begonnen. Es geht um viel, für manche geht es um alles. Bekommt Deutschland mehr als fünf Monate nach der Bundestagswahl endlich eine Regierung? Oder verhindern die SPD-Mitglieder ein weiteres Bündnis ihrer Partei mit der Union? In diesem Fall stünde Andrea Nahles, Fraktionschefin und designierte Parteivorsitzende der SPD, vor einem Scherbenhaufen. Aber auch für Angela Merkel (CDU) wäre eine Nein der Genossen ein Problem. Nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen mit Grünen und der FDP wäre dann schon ihr zweiter Anlauf zu einer Regierungsbildung gescheitert.

Selten dürften Merkel, Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer sich so einig gewesen wie in diesen Stunden, da sie alle drei einem Ja der SPD-Mitglieder entgegenfiebern. Die Chancen, dass sich die Hoffnung erfüllt, stehen nicht schlecht. Vor wenigen Tag ergab der ARD-Deutschlandtrend, dass die Zustimmung der SPD-Anhänger gegenüber der letzten Erhebung von vor zwei Wochen um 15 Prozentpunkte auf 66 Prozent geklettert ist.

Möglicherweise zahlt sich die Kampagne der SPD-Spitze für die GroKo also aus. Die Parteivorderen waren in den vergangenen Wochen durchs Land gezogen und hatten auf internen Veranstaltungen für den Koalitionsvertrag mit der Union geworben. „Ich bin zuversichtlich, dass eine Mehrheit unserer Mitglieder Ja zu diesem Koalitionsvertrag sagt“, gibt sich die bisherige Familienministerin Katarina Barley in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zuversichtlich.

Wenn es so kommt, dann könnte Angela Merkel sich am 14. März im Bundestag wieder zu Kanzlerin wählen lassen. Anschließend würden die Minister vereidigt. Die CDU hat ihre Minister bereits benannt. Fest steht auch, dass es CSU-Chef Horst Seehofer nach Berlin zieht. Die SPD will ihre Ministerliste hingegen erst nach dem Ergebnis des Mitgliederentscheids verkünden.

Mit der Geheimhaltung wollte die Parteispitze verhindern, dass Personaldebatten das Votum überlagern. Es gehe um Inhalte, das war die Botschaft an die Genossen. Doch ist sie verfangen angesichts der Personalquerelen, die es trotzdem gab? Sicher sein kann sich niemand. Auch wenn die Umfragen für ein Ja sprechen. SPD-Anhänger in Umfragen sind nicht gleich SPD-Mitglieder. Und ohnehin haben sich Umfragen zuletzt bei Wahlen als nicht immer zuverlässig erwiesen. Schon bei dem Sonderparteitag, als über Koalitionsverhandlungen abgestimmt wurde, war das Ergebnis knapp.

Kein Wunder dass die Nervosität in der SPD-Spitze steigt. Sie schlafe von Nacht zu Nacht schlechter, bekannte Nahles am Dienstag in der Fraktionssitzung. Ein Nein würde nicht nur ihre Pläne gefährden, SPD-Chefin zu werden. Die ganze Partei würde in ein Chaos stürzen, das sich zu einer existenzbedrohenden Krise auswachsen könnte. Schon jetzt ist die SPD in Umfragen auf 16 Prozent abgerutscht.

Dagegen steht die CDU noch solide da. Doch auch Merkel muss vor dem Ergebnis der SPD-Abstimmung zittern. Scheitert auch die Große Koalition, blieben nur Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung. Beides Optionen, die für Merkel wenig verlockend sind. 

Sollte die SPD Nein sagen, würden sich die Augen zunächst wieder auf den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier richten. Er muss dem Bundestag einen Kanzlerkandidaten vorschlagen. Vermutlich wäre das Merkel, auch wenn die SPD-Mitglieder die Große Koalition abschmettern. Der erste Wahlgang könnte dann trotzdem am 14. März stattfinden. Um gewählt zu werden, bräuchte Merkel die absolute Mehrheit. Nicht ausgeschlossen, dass sie die erreicht. Viele Bundestagsabgeordnete haben kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen, da sie dann ihr Mandat verlieren könnten. Das gilt vor allem für die schwächelnden Sozialdemokraten.

Sollte Merkel durchfallen, gibt es einen zweiten Wahlgang, dann schließlich einen dritten, bei dem die relative Mehrheit reichen würde. Wenn der Bundespräsident sie dann zur Kanzlerin ernennt, könnte Merkel eine Minderheitsregierung anführen. Zumindest eine Zeit lang.

Doch über einen solchen Plan B mag in Berlin derzeit niemand sprechen, weder bei der Union noch bei der SPD. Die Möchtegern-Partner der Großen Koalition sind sich einig, sie setzen auf Plan A: Dass die SPD-Spitze am Sonntagmorgen die Zustimmung der Mitglieder verkündet und den Weg für die Große Koalition freimacht.

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