Mitgliederentscheid über Große Koalition Warum das Verfassungsgericht das SPD-Votum nicht verbieten wird

Kritiker sind gegen den SPD-Mitgliederentscheid über die GroKo vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Die Klagen werden aber wohl scheitern.

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GroKo: Das Verfassungsgericht wird das SPD-Votum nicht verbieten Quelle: dpa

Düsseldorf Heute ist der Tag der Entscheidung. Für die Große Koalition – und für das Bundesverfassungsgericht. Gegen das SPD-Mitgliedervotum sind mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingegangen. Eingereicht wurden fünf Eilanträge, die Abstimmung über den Koalitionsvertrag zu untersagen. Zwei davon wurden bereits abgelehnt. Vier der fünf Anträge gegen die Befragung der rund 450.000 Mitglieder enthalten dem Gerichtssprecher zufolge auch eine Verfassungsbeschwerde.

Grund ist der rasante Anstieg an Neueintritten, den die SPD in den vergangenen Wochen verzeichnet hat. Während die Politiker in Berlin noch die letzten strittigen Themenpunkte aushandeln, sind die Sozialdemokraten um mehrere tausend Mitglieder gewachsen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die meisten Neugenossen eingetreten sind, um bei der Mitgliederbefragung gegen eine Große Koalition zu votieren.

Gelingt in den laufenden Koalitionsverhandlungen von Union und SPD eine Einigung, könnte Dienstag oder Mittwoch der Koalitionsvertrag vorgestellt werden. Dann sind alle SPD-Mitglieder aufgerufen, über den Koalitionsvertrag abzustimmen. Dass die neue deutsche Regierung aus einer Großen Koalition besteht, ist also immer noch nicht sicher. Kritiker sehen mit dem Mitgliederentscheid die Freiheit der Abgeordneten und die Grundsätze der repräsentativen Demokratie gefährdet. Deswegen soll nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dabei ist die Sache rechtlich eindeutig, sagt Verfassungsrechtler Ulrich Battis.

Freiheit der Abgeordneten

Die Freiheit der Abgeordneten sei in keinster Weise gefährdet, da „das Votum rechtlich völlig unverbindlich ist“, erklärt Battis. Der Parteivorstand hat zwar festgelegt, dass sie dem Ergebnis der Abstimmung Folge leisten, aber das sei Sache der Partei. Nach dem Gesetz ist der Vorstand nicht gebunden. Bei dem Fraktionszwang sei es ähnlich, erklärt Battis. Darunter versteht man die Verpflichtung der Abgeordneten, mit einem zuvor gefassten Fraktionsbeschluss entsprechend ihrer Parteilinie abzustimmen. Das ist im Grundgesetz nicht vorgesehen, aber trotzdem parlamentarischer Alltag. „Der einzelne Abgeordnete ist in seinem freien Willen also nicht eingeschränkt“, erklärt Battis.

Gefahr für die repräsentative Demokratie

Abgeordnete sind die gewählten Vertreter des ganzen Volkes. Ihr Auftrag ist es, eine Regierung zu bilden, die dem Wohl des Volkes dient. Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sehen vor, dass das Volk seinen Willen in Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck bringt. Die Regierungsbildung ist die Folge dieser Wahl. Kritiker betonen nun, dass eine Koalitionsregierung deswegen keine Regierung der Parteien ist – und die SPD mit ihrem Votum die Grundsätze der repräsentativen Demokratie gefährde.

Aber auch dieses Argument entbehre einer Grundlage vor dem Bundesverfassungsgericht, sagt Battis. „Es ist normal, dass Parteien bei Verhandlungen aussteigen“. Das sei ja auch bei der FDP so gewesen. Auch hier sei der Wählerwille nicht in Gefahr gewesen. „Das Bundesverfassungsgericht wird das SPD-Votum nicht verbieten“, ist Battis sicher.

Schon im Dezember 2013 hatte das höchste deutsche Gericht den Eilantrag einer Privatperson gegen das damalige Mitgliedervotum der SPD über eine große Koalition abgewiesen. Die Entscheidungsfreiheit der Bundestagsabgeordneten sei durch das Votum der SPD-Mitglieder nicht beeinträchtigt, hieß es damals zur Begründung. Eine Verfassungsbeschwerde sei gar nicht erst zulässig, weil es sich bei dem Mitgliederentscheid nicht um einen staatlichen Akt handele.

Bis 18 Uhr können die GroKo-Gegner noch mit dem Slogan „Tritt ein, sag nein!“ werben. Wer bis dahin im Mitgliederverzeichnis steht, darf wie alle anderen SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag mit CDU und CSU abstimmen. Speerspitze der „GroKo“-Gegner sind die Jusos. Die bayerische SPD, die derzeit rund 60.000 Mitglieder hat, verzeichnete allein seit dem Bundesparteitag 2950 Eintritte – davon rund 40 Prozent im Juso-Alter. Der Berliner Landesverband zählte mehr als 1000 neue Parteimitglieder seit Jahresbeginn. Damit würde die Hauptstadt-SPD die Schwelle von 20.000 Mitgliedern überschreiten. Ähnliches war aus Niedersachsen zu hören: „Wir hatten bis vergangene Woche 1100 Eintritte, seitdem dürften aber noch weit über hundert dazu gekommen sein“, sagte der niedersächsische SPD-Sprecher Axel Rienhoff der dpa. Die SPD in Brandenburg registrierte seit Jahresbeginn fast 400 neue Mitglieder, die Saarland-SPD verzeichnete zwischen dem 21. und dem 30. Januar 124 Neuzugänge.

Damit könnte die Abstimmung über eine Große Koalition denkbar knapp werden. Schon auf dem Sonderparteitag am 21. Januar stimmten lediglich 56 Prozent der 600 Delegierten überhaupt erst für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

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