Sechs Uhr morgens am 11. August 2016. Kevin Müller macht sich wie so oft von Berlin aus auf den Weg zu einem Kunden in Köln. Mittlerweile kann er zehn Minuten später das Haus verlassen, weil er mit dem Elektroauto im Berufsverkehr die Busspur nutzen darf. Es regnet in Strömen. Zum Glück steht der Elektro-Mini von DriveNow gleich um die Ecke. Mein Gott, im Kofferraum sieht es aus, als hätte der Vormieter Kompost transportiert. Egal, schließlich könnte sein Auto, das seit Wochen ungenutzt in der Garage steht, auch mal eine Grundreinigung brauchen.
Am Hauptbahnhof angekommen, wird Kevin sein Carsharing-Autos locker los. Die Stadt Berlin hatte jüngst 30 exklusive und, noch besser, kostenlose Parkplätze für Elektroautos reserviert.
Der ICE 3 fährt pünktlich ein, ist angenehm gekühlt, hat sogar heißen Kaffee an Bord und spuckt Kevin nur zwei Minuten zu spät in Köln aus. Schon auf Höhe Wuppertal organisierte Kevin eine Mitfahrgelegenheit mit der Uber-App per Smartphone. Der Fahrer sah auf dem Foto zwar etwas dusselig aus, war aber gut bewertet. Und tatsächlich: Er steht mit seinem Opel Adam in der Kurzparkzone am schicken Fernbusbahnhof und winkt Kevin zu. Mit der Fahrt in den Kölner Mediapark verdient er sich sieben Euro dazu. Steuerfrei.
So einfach funktioniert Reisen im Jahr 2016 – in einem schönen Traum. Hier kommt die Realität: Busspuren sind nur für Busse da, die Autos stehen im Stau, Parkplätze fehlen, und neue Dienstleister werden verboten. Die Städte wollen es nicht anders – zum Teil können sie auch nicht.
So wird der ÖPNV finanziert
Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen Schienenpersonennahverkehr (SPNV), also den von den Eisenbahnunternehmen wie der Deutschen Bahn befahrenen Strecken. Und dem Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) zu dem neben den Buslinien auch die Straßen- und U-Bahnen zählen. Die Übersicht zeigt die wichtigsten Bausteine.
Quelle: Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Der direkte Beitrag der Bürger ist der größte Baustein bei der Finanzierung des ÖPNV. Das meiste Geld wird dabei direkt über den Fahrkartenverkauf eingenommen. Hinzu kommen Erträge aus Werbe- und Pachteinnahmen. Der so eingenommen Betrag deckt oft aber nicht annähernd die tatsächlichen Kosten.
Viele ÖPNV-Nutzer zahlen für ihre Fahrkarte nicht den vollen Preis. Dazu zählen unter anderem Schüler, Studenten und Besitzer von Sozialtickets. Die Differenz übernimmt die öffentliche Hand.
Zusätzlich zu anderen Subventionen wir der ÖPNV auch steuerrechtlich begünstigt. So entfällt beispielsweise die Umsatzsteuer für Verkehrsverträge. Weil im Querverbund nichtversteuerte Gewinne aus lukrativen kommunalen Versorgungsunternehmen in den defizitären ÖPNV geschoben werden können, sparen die Kommunen so Steuern.
Für den Erhalt und Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs ist bislang der Bund in zentraler Verantwortung. Er investiert in die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Vielfach müssen sich jedoch auch die Länder und Kommunen an den Ausbaukosten beteiligen.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz war über Jahrzehnte das wichtigste Fördermittel für den öffentlichen Straßenverkehr. Doch es wurde 2006 abgeschafft und durch das Entflechtungsgesetz abgelöst, das seinerseits 2019 ausläuft. Bereits 2014 läuft eine Zweckbindung für den Verkehr in Gemeinden aus.
Seit der Bahnreform haben die Länder die Verkehrsverbünde oder andere Aufgabenträgerorganisationen über Verkehrsverträge mit dem Betrieb des Schienenverkehrs beauftragt. Dafür erhalten die Länder vom Bund über das Regionalisierungsgesetz einen Teil der Mineralölsteuereinnahmen. Dazu kommen noch die Trassenpreise, die die Unternehmen für die Nutzung der Schienen verlangen.
Der ÖPNV auf der Straße, also Busse, Straßen- und U-Bahnen, ist Aufgabe der Kommune. Je nach Finanzsituation der Kommune schwankt auch die Unterstützung und das Angebot.
Die urbane Mobilität steht vor einem Umbruch. Immer mehr Menschen drängen in die Metropolen und verdichten den Verkehr. Die Folge: ein rücksichtsloses „Mir-gehört-die-Straße“. Gab es früher Geld vor allem für den Ausbau des Autoverkehrs, leiten es Verkehrsplaner heute auch in Radwege, Bus- und Bahnspuren. Autofahrern ist das schon zu viel, Radfahrern und Nahverkehrsbetrieben nicht genug. Start-ups nutzen Ortungsdienste auf Smartphones, um neue Dienste anzubieten. Sie rütteln tradierte Märkte auf, fordern Verwaltungen heraus, verwandeln Städte in Schauplätze eines Straßenkampfs um Flächen, Vorfahrt und Finanzen.
Kampf um Vorfahrt und Finanzen
Burkhard Horn beobachtet das Getümmel seit Jahren. Er leitet die Abteilung Verkehr der Senatsverwaltung in Berlin und kennt die Rivalität zwischen Autofahrern, Fußgängern, Radfahrern und den Busbetrieben. Der „Stadtentwicklungsplan Verkehr 2025 – nachhaltig unterwegs“ beschreibt auf Hochglanzpapier die heile Welt einer besseren und umweltfreundlichen Mobilität. Jeder sei dafür, sagt Horn. Doch wenn es an die Umsetzung konkreter Maßnahmen geht, „reißen häufig alte Grabenkämpfe wieder auf“.
Und neue Spieler kommen mit Start-ups hinzu: Carsharing, Bikesharing, Taxi-Alternativen, Fernbusse, Elektroroller. „Jeder beansprucht Platz und Privilegien für seine Ideen“, sagt Horn. „Das führt zu Konflikten.“
Hamburg steht still – wie jeden letzten Freitag im Monat. Mehr als 5000 Radfahrer fuhren vor wenigen Wochen im Pulk durch die Hansestadt und legten den Autoverkehr lahm – Rekord. Sie nutzen eine Regelung in der Straßenverkehrsordnung (StVO), die mehr als 15 Radfahrer als „geschlossenen Verband“, sprich: als ein Fahrzeug, definiert. Den Radlern, die sich über Facebook verabreden, gehe es um den „kreativen Straßenprotest“, sagt Teilnehmer Jonathan Ade.
Hamburg ist die deutsche Hauptstadt der „Critical Mass“-Bewegung, die ihren Ursprung 1992 in San Francisco fand. Radfahrer organisieren sich zum Widerstand „gegen eine verfehlte Verkehrspolitik“, sagt der 26-jährige Nautik-Student Ade. Radwege seien schlecht ausgebaut, Geld fehle. Hamburg hat einen besonders schlechten Ruf als Radler-Stadt. Dort hat sich die Teilnehmerzahl innerhalb eines Jahres verfünffacht. Nun schwappt die Welle der Frustrierten über: In einem Dutzend Städte sei man mit je mehr als 100 Teilnehmern aktiv, dokumentiert die Web-Seite itstartedwithafight.de.